piwik no script img

Abschaffung des KinderstartgeldsSöder verdirbt sich’s mit den Familien

Hunderttausende protestieren in Petitionen gegen Markus Söders Sparpolitik. Doch der bayerische Ministerpräsident findet: Hauptsache, keine Schulden.

Kinder im Vordergrund, das größte Kleinkind steht im Hintergrund Foto: Sven Hoppe/dpa
Dominik Baur

Aus München

Dominik Baur

Markus Söder sieht gerade eine Protestwelle auf sich zukommen. Auf „mittelgroß“ taxiert sie der Neue Tag aus der Oberpfalz. Dass der bayerische Ministerpräsident sie vielleicht dennoch ernst nehmen sollte, ergibt sich aus dem Umstand, dass es nicht die üblichen Verdächtigen sind, die da protestieren, also irgendwelche Linken oder Norddeutschen, die kaum Gefahr laufen, Söders CSU zu wählen.

Nein, viele junge Familien in Bayern sind es, die sich seit ein paar Tagen von Söder im Stich gelassen fühlen. Eine Gruppe, die Söder bislang als Wählerklientel durchaus im Visier hatte. Der Grund ist eine Entscheidung der Koalition aus CSU und Freien Wählern, die in der vergangenen Woche tatsächlich überraschend kam.

Die Einführung des sogenannten Kinderstartgelds stand da im Landtag auf der Tagesordnung. Es wäre der Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens gewesen, das das CSU-geführte Familienministerium im Sommer auf den Weg gebracht hatte. Ab 2026, so der Plan, sollte jedes Kind in Bayern zum ersten Geburtstag 3.000 Euro erhalten. „Das gibt es so nur in Bayern. Wir sind Familienland“, hatte Söder noch im Juni auf „X“ geprahlt. Denn: „Kinder sind unsere Zukunft.“ Doch dann besiegelte die Regierungsmehrheit statt der Einführung des Kinderstartgelds kurzerhand das Ende der noch gar nicht eingeführten Leistung.

Ein Blick zurück: Es war im Frühjahr 2018, als Söder seine erste Regierungserklärung hielt. Ein Feuerwerk an Investitionen war es, das der frisch gekürte Ministerpräsident damals zündete. Nicht nur für Söder’sche Herzensprojekte wie die Raumfahrt fanden sich hunderte Millionen, auch für die Familienpolitik. Eltern von ein- und zweijährigen Kindern sollten künftig 250 Euro pro Kind und Monat bekommen – zusätzlich zum Kinder- und gegebenenfalls Elterngeld.

Wahlgeschenk mit begrenzter Laufzeit

Das bayerische Familiengeld sollte unabhängig vom Einkommen gezahlt werden, auch unabhängig davon, ob das Kind eine Krippe besuchte oder nicht. Nicht der Staat solle entscheiden, ob ein Kind in die Kita gehe, sondern die Eltern. „Echte Wahlfreiheit für alle Eltern“, befand Söder und fügte auch damals schon hinzu: „Das gibt es nur in Bayern.“

Ein durchschaubares Wahlgeschenk, schimpfte die Opposition ihrerseits, schließlich war es nur noch ein halbes Jahr bis zu den Landtagswahlen, den ersten, die Söder als Ministerpräsident zu bestehen hatte. Söder verlor die absolute Mehrheit, aber rettete sich in eine Koalition mit den Freien Wählern. Und die Eltern bekamen das Familiengeld. Dazu kam – einkommensabhängig – noch ein Krippengeld von bis zu 2.400 Euro über einen Zeitraum von zwei Jahren. Eine Unterstützung, die junge Familien gern entgegennahmen.

Als der Söder-Regierung die Spendierhosen dann doch zu eng wurden, begann man zurückzurudern. Vor einem Jahr kündigte Söder das Ende von Familien- und Krippengeld an. Damit Eltern aber auch künftig nicht leer ausgingen, sollte es besagtes Kinderstartgeld geben, das immerhin den Verlust des Familiengelds zur Hälfte ausglich. Und jetzt? Nichts davon.

Es fehlen zigtausende Kita-Plätze

In mehreren Petitionen wenden sich junge Familien nun an den Ministerpräsidenten. „Halten Sie Ihr Wort, Herr Söder“ heißt es im Titel der größten dieser Petitionen, die bis Donnerstagnachmittag schon über 135.000 Unterschriften gesammelt hatte.

Oliver Bernt, ein 32 Jahre alter Oberfranke, der vor zwei Monaten zum dritten Mal Vater geworden ist, hat sie gestartet. Viele Familien, auch die seine, hätten Elternzeit und finanzielle Planung nach der Zahlung des Kinderstartgeldes ausgerichtet, argumentiert Bernt. Alle kämpften sie mit steigenden Lebenshaltungskosten, hohen Mieten und Kosten für Krippenplätze von bis zu 500 Euro pro Monat.

„Herr Söder, ist Ihnen bewusst, in welche schwierige finanzielle Lage Sie Familien bringen, die ab dem 1. Januar 2026 mit der Auszahlung gerechnet haben und das Kinderstartgeld, so wie wir, fest einkalkuliert haben?“ Das Familien- beziehungsweise Kinderstartgeld sei kein Geschenk gewesen, sondern ein Versprechen für Familien, auf das diese sich verlassen hätten. „Wir fühlen uns betrogen – nicht nur um das Geld, sondern um unser Vertrauen.“

Die eingesparten Millionen sollen nun in den Erhalt von Kitas fließen, versprechen Söder und seine Familienministerin Ulrike Scharf, in Personal, Ausstattung und Betriebskosten. Eine schwere Entscheidung sei dies gewesen, aber letztlich sei diese Prioritätensetzung unvermeidbar gewesen. Wohlgemerkt, es geht lediglich um den Erhalt, nicht um den Ausbau von Kitas. Dieser solle allerdings mit Mitteln aus anderen Töpfen vorangetrieben werden.

Beifall der Jungen Union

In der Tat hat Bayern, was das Gesamtangebot an Krippenplätzen angeht, erheblichen Nachholbedarf. Laut Scharf wurden in der vergangenen Legislaturperiode zwar 83.000 Kita-Plätze geschaffen, doch zum Ende der Legislatur vor zwei Jahren kam eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Ergebnis, dass noch immer mehr als 70.000 Kita-Plätze fehlten.

Aber während es sich Söder bei einem großen Teil der jungen Familien verscherzte, konnte er bei anderen jungen Leuten wieder Boden gutmachen. Denn anders als ein Teil der CDU-Spitze, die infolge der Rentendebatte derzeit einen schweren Stand bei der Jungen Union hat, wird der CSU-Chef dort immer noch gefeiert. Als er den konservativen Nachwuchs auf seinem „Deutschlandtag“ in Rust besuchte, zollte der ihm „Respekt“ für seine Haltung in der Rentenfrage und fügte hinzu: „So ein reines SPD-Basta von der Seite geht auch einfach nicht.“

Doch nicht nur in der Tonlage unterschied sich Söder von anderen Besuchern wie Kanzler Friedrich Merz. Bei der jungen Union insbesondere aus Bayern konnte er auch damit punkten, dass seine Regierung im gerade vorgelegten Doppelhaushalt für die Jahre 2026/27 auf neue Schulden verzichtet hat – wenn auch freilich auf Kosten von Projekten wie dem Kindergeld. Tatsächlich war zuvor zum ersten Mal seit vielen Jahren die Möglichkeit einer Schuldenaufnahme in Betracht gezogen worden. Manuel Knoll, neuer bayerischer JU-Chef, rechnet das dem Ministerpräsidenten hoch an. Prompt stellte die JU auch ihren Widerstand gegen die Mütterrente ein.

Auch Söder spart natürlich nicht an Selbstlob. „Wir haben auch das Rückgrat, manchmal schwere Entscheidungen zu treffen“, sagte er am Dienstag nach einer Kabinettssitzung. Man habe eine Balance erreicht, die eine gute Ausgangslage für die Kommunalwahlen sei. Diese finden in Bayern am 8. März statt.

Allgemein wird erwartet, dass die AfD dann ihre Präsenz in den Kommunalparlamenten noch einmal stark ausbauen wird. Dem glaubt Söder mit den jüngsten Entscheidungen vorgebaut zu haben. Radikale Kräfte könnten nun nicht behaupten, die Demokratie funktioniere nicht. „Nein, sie funktioniert sehr, sehr gut in Bayern. Wir sind in der Lage, Entscheidungen zu treffen.“ Ein ausgeglichener Haushalt sei „per se schon eine Einzigartigkeit in Deutschland“. Mit anderen Worten: Auch ohne besondere Förderung der Familien gibt es noch genug, was es nur in Bayern gibt.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare