piwik no script img

Polizeiliche KriminalstatistikNeuer Höchststand häuslicher Gewalt in Deutschland

Fast 266.000 Personen wurden 2024 Opfer häuslicher Gewalt, sagt das BKA. Das sind 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Mehr als 70 Prozent der Opfer sind weiblich.

Besonders häufig sind Mädchen und Frauen Opfer von häuslicher Gewalt Foto: viviolsen/imago
Patricia Hecht

Aus Berlin

Patricia Hecht

Häusliche Gewalt gegen Mädchen und Frauen in Deutschland ist auf einen bisherigen Höchststand gestiegen. Das zeigt das Bundeslagebild des Jahres 2024 zum Thema, das der Präsident des Bundeskriminalamts Holger München zusammen mit Bundesfrauenministerin Karin Prien (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag in Berlin vorstellte. „Wir müssen davon ausgehen, dass jede vierte Frau in ihrem Leben von Partnerschaftsgewalt betroffen ist“, sagte Prien.

So wurden im Jahr 2024 fast 266.000 Personen Opfer von häuslicher Gewalt, darunter mehr als 187.000 Mädchen und Frauen. Zu häuslicher Gewalt zählt unter anderem innerfamiliäre Gewalt, betroffen sind oft auch Kinder von Tatverdächtigen. 286 Menschen starben durch häusliche Gewalt, darunter 191 Mädchen und Frauen. Im Fünfjahresvergleich stieg die Zahl der Opfer um fast 18 Prozent.

Der weit überwiegende Teil häuslicher Gewalt ist allerdings Partnerschaftsgewalt. In diesem Bereich gab es mehr als 171.000 Opfer, darunter fast 80 Prozent Frauen.

Auch im Bereich der geschlechtsspezifisch gegen Mädchen und Frauen gerichteten Straftaten, deren Bundeslagebild am Freitag ebenfalls vorgestellt wurde, stiegen die Zahlen etwa bei Sexualstraftaten und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Besonders betroffen sind hier junge Frauen.

„Da muss deutlich mehr kommen“

„Tut die Politik ausreichend viel, um Frauen vor Gewalttaten zu schützen?“, fragte Dobrindt und gab sich gleich selbst die Antwort: „Da muss deutlich mehr kommen.“ Man habe sich im Kabinett gemeinsam vorgenommen, „dass wir deutlich mehr zum Schutz von Frauen in unserer Gesellschaft erreichen wollen“. So habe man diese Woche den Gesetzentwurf zur Fußfessel bei Gewalttätern auf den Weg gebracht.

Prien sagte, Gewalterfahrungen in Partnerschaft und Familie seien „für viele in Deutschland traurige Realität“. Das betreffe beide Geschlechter und alle Altersklassen, allerdings seien Mädchen und Frauen deutlich häufiger betroffen. Viele würden aus „Angst oder Scham“ schweigen, so Prien. „Aber eigentlich müssten wir als Gesellschaft beschämt sein, dass wir solche Entwicklungen zulassen.“

Die Zahlen seien „nur ein Teil der Realität, weil sie das Hellfeld abbilden, nicht das Dunkelfeld“, sagte BKA-Präsident Münch. Vor allem im Bereich der Partnerschaftsgewalt werde nur ein Bruchteil der Taten angezeigt: „Die Anzeigenquote liegt da bei unter fünf Prozent.“ Lineare Hochrechnungen etwa in Bezug auf die Anzahl der Opfer seien daraus allerdings nicht ableitbar.

Genaueres soll eine noch nicht abgeschlossene Dunkelfeldstudie bringen, deren Ergebnisse Anfang kommenden Jahres vorgestellt werden sollen. „Was man bereits jetzt sicher sagen kann: Das Dunkelfeld im Bereich der Partnerschaftsgewalt ist extrem hoch und geht über das Erwartbare hinaus“, sagte Dobrindt.

Wie viele Taten Femizide sind, ist unklar

Vergangenes Jahr hatte es an den Zahlen des BKA Kritik gegeben, weil der Begriff des „Femizids“ in der Statistik schwammig verwendet worden war – „da waren wir unsauber“, so Münch am Freitag. Wie viele der angezeigten Taten Femizide seien, lasse sich nicht genau sagen. Bisher erfasse man schlicht keine Tatmotivation, auch eine bundeseinheitliche Definition von Femiziden gebe es noch nicht. Man sei aber dabei, diese Definition zu erstellen und die Statistik entsprechend zu schärfen.

Judith Rahner, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, sagte: „Deutschland hat ein Problem der inneren Sicherheit – und das sind gewalttätige Männer.“ Seit Jahren steige die Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf der Straße, zu Hause oder im Netz. Diese Frauen würden von der Politik im Stich gelassen. „Ein erneuter Höchststand der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt ist die Quittung für jahrzehntelanges Politikversagen.“ Entscheidend sei, was jetzt getan werde, so Rahner: „Wir brauchen Prävention: vom Kindergarten bis zum digitalen Raum, vom Sportplatz bis zur Chefetage.“

UN Women Deutschland begrüßte zwar den Beschluss des Kabinetts, etwa die elektronische Fußfessel einzuführen. „Um geschlechtsspezifische Gewalt mit ihren vielfältigen Folgen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu verringern und langfristig zu beenden, braucht es jedoch dringend weitere, umfassende Maßnahmen“, so Vorständin Carolin Weyand. Das Gewalthilfegesetz müsse ausgebaut werden, zudem brauche es ein umfassendes Gesetz gegen digitale Gewalt und eine Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt „als gesamtgesellschaftliches Problem“.

Dass die Zahlen häuslicher Gewalt seit Jahren steigen, sei „auch das Ergebnis einer Politik, die Frauenhäuser von Projektmitteln und der Kassenlage abhängig macht“, kritisierte Kathrin Gebel, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Wer jedes Jahr mehr Betroffene zählt, aber nicht entsprechend in Schutz, Beratung und Täterarbeit investiert, nimmt weitere Femizide billigend in Kauf“, sagte sie.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!