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Reaktionen auf US-Plan zur UkraineVerwirrung in Washington, Gespräche in Genf

Die Ukraine und Europa erarbeiten Gegenvorschläge zum Ukraine-Plan der USA. Derweil streitet die US-Politik, ob es überhaupt ein Plan der USA ist.

Hier laufen seit Sonntag diplomatische Gespräche über den US-Plan für die Ukraine: die US-Vertretung in Genf Foto: Pierre Albouy/reuters
Dominic Johnson

Aus Berlin

Dominic Johnson

In Genf haben am Sonntag Bemühungen begonnen, um die Verwirrung um einen angeblichen neuen US-„Friedensplan“ für die Ukraine aufzulösen. US-Außenminister Marco Rubio traf in der Schweizer Stadt mit Politikern und Diplomaten aus mehreren europäischen Ländern sowie der Ukraine zusammen.

Es gehe darum, auf der Basis des US-Plans „ein zustimmungsfähiges Dokument“ auszuarbeiten, das auch von der Ukraine akzeptiert werden könne, sagte der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz. Am Rande des G20-Gipfels in Südafrika waren sich Merz und seine französischen und britischen Amtskollegen Emmanuel Macron und Keir Starmer am Samstag einig gewesen, dass der Plan in der vorliegenden Form inakzeptabel sei. Doch auch, dass man keinen Bruch mit den USA riskieren wolle und daher auf der Grundlage des Plans Gespräche führen werde.

Das 28 Punkte umfassende Dokument wurde am vergangenen Mittwoch geleakt und am Freitag von US-Unterhändlern in Kyjiw präsentiert. Es sieht eine nahezu vollständige Erfüllung aller russischen Forderungen an die Ukraine als Preis für einen erhofften Frieden vor. Die Ukraine soll sich nicht nur aus den von ihr noch kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk zurückziehen – und damit von ihren wichtigsten Verteidigungsstellungen im Donbass. Die geräumten Gebiete sollen auch international als russisch anerkannt werden.

Ein Waffenstillstand soll erst nach der Räumung in Kraft treten. Russland könnte also während eines laufenden Rückzugs seine Angriffe fortsetzen. Die Ukraine soll zudem innerhalb von 100 Tagen Neuwahlen ansetzen und sogenannte „Nazi-Aktivitäten“ verbieten, womit aus Kreml-Sicht das ukrainische Streben nach Freiheit gemeint ist; Kriegsverbrechen hingegen werden straffrei.

Ukraine und ihre europäischen Partner planen Gegenvorschlag

Im Gegenzug für die „Erwartung“, dass Russland keine Nachbarländer angreift, wird Russland wieder in die G8-Runde aufgenommen und die internationalen Sanktionen sollen fallen. Eingefrorene russische Guthaben im Ausland werden für US-geführte Investitionen mit europäischer Beteiligung in der Ukraine eingesetzt. Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die ihre Armee verkleinern soll – Russland aber nicht – gibt es weder in Form einer Nato-Mitgliedschaft noch einer internationalen Truppe.

In Genf wollen die Ukraine und ihre europäischen Partner laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg einen Gegenvorschlag unterbreiten. Demnach müsse als erstes ein Waffenstillstand eintreten. Es müsse Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, die ebenso robust sind wie eine Nato-Beistandsgarantie. Eingefrorene russische Guthaben sollten als Entschädigung für Kriegsschäden an die Ukraine gehen.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk sagte am Sonntag zum Auftakt der Gespräche in Genf: „Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, am 28-Punkte-Plan zu arbeiten, trotz einiger Vorbehalte. Doch bevor wir mit der Arbeit beginnen, wäre es gut, Gewissheit darüber zu haben, wer der Autor des Plans ist und wo er entstand.“ Denn da sind viele Fragen offen.

Nach einer Analyse des Kyjiw-Korrespondenten des britischen Guardian sind einige Passagen direkte unbeholfene Übersetzungen aus dem Russischen. Der Journalist Christo Grozev erklärte, er habe vor sechs Monaten einen russischen Vorschlag gesehen, der „fast identisch“ mit dem neuen Dokument sei.

„Noch amateurhafter als ich dachte“

In Washington herrschte am Wochenende Streit über den Status des Dokuments, zumal es darüber keine offizielle Mitteilung gab. Es äußerten sich nach den ersten Leaks lediglich die Unterhändler Russlands und der USA, Kirill Dmitriew und Steve Witkoff, die das Dokument bei einem Treffen in Florida ausgeheckt haben wollen. Auch der Nationale Sicherheitsberater der Ukraine, Rustem Umerow, sei da gewesen, hieß es. Umerow dementierte inzwischen, an dem Dokument mitgewirkt zu haben.

Am Mittwochabend hatte US-Außenminister Rubio den Status des Dokuments heruntergespielt. Man sei dabei, „eine Liste möglicher Ideen zu entwickeln“, erklärte er. Aber am Freitag erklärte das Weiße Haus auf eine Journalistenenfrage: „Sonderbeauftragter Witkoff arbeitet an diesem Plan seit einem Monat (…). Der Präsident ist über den Plan gebrieft und unterstützt ihn.“

Auf dieser Grundlage zu verhandeln, dürfte ein Ende des Krieges eher hinauszögern

Lawrence Freedman, Kriegshistoriker

Am Samstag erklärte der repubikanische US-Senator Mike Rounds hingegen, Rubio habe bestätigt, dies sei „nicht unser Friedensplan“, sondern bloß ein Vorschlag, den man erhalten habe und den die russische Seite geleakt habe. Rubio widersprach umgehend: Es sei sehr wohl ein US-Dokument. Er nannte ihn aber dann doch bloß einen „Vorschlag“, einen „Rahmen für laufende Verhandlungen“.

Der Plan sei „noch amateurhafter als ich dachte“, schrieb der anerkannte britische Kriegshistoriker Lawrence Freedman: auf dieser Grundlage zu verhandeln, wäre so kompliziert, dass es ein Ende des Krieges eher hinauszögern dürfte.

Derweil dominierte in der Ukraine am Sonntag ein anderes Thema: in der westukrainischen Stadt Ternopil, weit weg von der Front, wurden weitere Opfer des russischen Raketenangriffs auf ein Hochhaus in der Nacht zum vergangenen Mittwoch zu Grabe getragen. Die bestätigte Todeszahl des Angriffs stieg inzwischen auf 34.

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