piwik no script img

Tag gegen Gewalt gegen FrauenSolidarität ist männlich

Lilly Schröder

Essay von

Lilly Schröder

Patriarchale Gewalt findet nur selten gesamtgesellschaftliche Beachtung. Dabei betrifft sie uns alle. Wie können Männer feministisch handeln?

Feminismus müssen alle durchsetzen Foto: Nikos Kanistras/imago

W ütende Flinta* ziehen am Montagabend unter dem Motto „Frauen in die Offensive“ bei der Revolutionären Vorabenddemo des 25. Novembers, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, durch Friedrichshain. Am Dienstagnachmittag folgen zahlreiche Aktionen: eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor für die Umsetzung der Istanbul Konvention sowie die Demo "Keine mehr", die 18 Uhr am Justizministerium startet. Sie alle demonstrieren für die unzähligen Frauen, die patriarchale Gewalt erleben oder an deren Folgen starben.

In Berlin hat die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen im vergangenen Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. Laut Senatsinnenverwaltung wurden 2024 insgesamt 42.751 Frauen Opfer von Gewalt. 2020 waren es noch 31.833. Das Dunkelfeld dürfte um ein Vielfaches höher sein.

Dieser alarmierende Missstand wird an 363 Tagen im Jahr nahezu ausschließlich von feministischen Gruppen und Frauenrechtsorganisationen thematisiert. Gesellschaftliche Beachtung findet er nur an zwei Tagen – dem 8. März, dem feministischen Kampftag, und dem 25. November. Und selbst dann sind es vor allem Flinta*, die sich dazu äußern, mobilisieren und und auf die Straße gehen.

Viele aufgeklärte cis-Männer meinen, man wäre nur Teil des patriarchalen Problems, wenn man eine Frau vergewaltigt hat. Aber sexualisierte Gewalt ist nur eine Form patriarchaler Gewalt. Ihr Fundament liegt in den Mikroaggressionen im Alltag ebenso wie im strukturellen Desinteresse an den gewaltvollen Lebensrealitäten von Flinta*. Um das zu ändern, braucht es strukturelle Reformen – aber auch persönliches Umdenken. Was können Männer tun?

Solidarität gefordert

Wenn wir Feminismus so definieren, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht oder Sexualität die gleichen Rechte haben sollen, dann steht fest: Alle können sich dafür einsetzen. Viele cis-Männer halten feministische Demos jedoch nicht für „ihr Terrain“ und verweisen darauf, dass manche Veranstaltungen nur Flinta* vorbehalten sind. Das trifft jedoch nur auf einzelne Formate zu. In den meisten Fällen sind cis-männliche Verbündete ausdrücklich willkommen – auch bei vielen Demos in diesem Jahr. Sich zu zeigen, wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität und hätte politische Wirkkraft.

Cis-Männer müssen sich informieren: über Menstruation, PMS, Schwangerschaft, postnatale Depression oder Verhütung

Das gilt auch für den Auftritt in den Sozialen Medien. Unabhängig davon, wie man zu Online-Aktivismus steht: Wenn cis-Männer digitale Räume nutzen, um sich sichtbar zu äußern, dann müssen sie sie auch nutzen, um feministische Inhalte zu teilen, die Männern lehren, wie man sich mit anderen verbindet, kommuniziert und solidarisch handelt.

Seit Wochen dominiert die Empörung über Friedrich Merz „Stadtbild“-Aussage die Feeds; schließlich geht es um Menschenrechte. Und wenn Frauenrechte verletzt werden? Als Rammstein-Frontsänger Till Lindemann kürzlich eine Autogrammstunde in Berlin gab? Oder im April, als drei Frauen in Berlin von ihren Ex-Partnern getötet wurden? Stille. Als wären Frauenrechte keine Menschenrechte.

Ein häufiger Einwand lautet, dass cis-Männern schnell „Performativität“ unterstellt werde, also, dass sie sich nur zu Selbstvermarktungszwecken feministisch inszenieren. Viele schildern, dass sie sich kaum trauen, sich zu feministischen Themen zu äußern, weil sie befürchten, missverstanden zu werden. Diese Sorge ist nachvollziehbar: In feministischen Kreisen gibt es durchaus vorschnelle Kritik an cis-Männern, die sich solidarisch zeigen. Der pauschale Vorwurf in der „performative male“-Debatte schadet der feministischen Bewegung mehr, als er nützt.

Flinta*-Perspektive im Kopf haben

Solidarität bedeutet, sich für die Realitäten anderer zu interessieren und sich auf dieser Grundlage politisch für sie einzusetzen. Cis-Männer müssen mit Flinta*-Perspektive im Kopf durch die Welt gehen: nachts auf der Straße, in Gesprächen, in Beziehungen, in der Arbeitswelt oder im digitalen Raum. Als ein Bekannter beim Scharadespiel neulich „PMS“ mit „PTSD“ verwechselte, waren die Flinta* am Tisch wenig überrascht und trotzdem irritiert. Cis-Männer müssen sich informieren: über Menstruation, PMS, Schwangerschaft, postnatale Depression, Verhütung oder das Toxische Schocksyndrom.

Wenn cis-Männer mehr Fragen stellen würden, könnten daraus bereichernde Gespräche entstehen. Gleichzeitig muss klar sein: sie haben keinen Anspruch darauf, in Sachen Feminismus unterrichtet zu werden. Es gibt jedoch genügend Bücher, Artikel, Musik, Filme und Veranstaltungen, die sich damit befassen. Trotzdem besteht das Publikum meist nahezu ausschließlich aus Flinta*. Auch Bahar Haghanipour, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, stellte vor einigen Wochen fest: Fast nur weibliche Journalistinnen greifen ihre Themen auf – ohne sie bliebe vieles unbesprochen.

Dabei sollten vor allem cis-Männer untereinander über das Patriarchat, ihren Anteil daran sowie über Bro- und Rape Culture sprechen. Sie müssen ihre eigene Verwicklung erkennen und sich kritisch mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen. Einen ersten Schritt in diese Richtung machte der Profeministische Kongress, der im September in den Mehringhöfen stattfand.

All das ist kein Gefallen an Flinta*-Personen. Das Patriarchat verlangt von cis-Männern, emotional verstümmelt zu sein. Es hindert sie daran, Macht abzugeben, mit ihren Gefühlen in Berührung zu kommen und offen über Emotionen zu sprechen. Die Folge sind fragile Egos. Und da wird ihr Problem zum Problem der Flinta*: Besitzdenken, Trennung oder Eifersucht innerhalb von (Ex-)Partnerschaften sind mit Abstand der häufigste Auslöser von Femiziden. Das ergab eine aktuelle Studie des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Bei zwei Dritteln fanden sich Hinweise auf eine sexistische Einstellung des Täters.

Cis-Männer könnten durch feministische Perspektiven einen gesünderen Umgang mit Emotionen entwickeln und damit auch erfülltere Beziehungen führen. Die Folge wäre mehr Verbundenheit und weniger Gewalt. Davon würden nicht nur Flinta* profitieren, sondern alle.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!