Bedingungen bei Tiertransporten: Tausende Rinder seit Wochen auf Frachtschiff
Seit Wochen befinden sich knapp 3.000 Rinder in einem Frachtschiff – weil das Empfängerland die Annahme verweigerte. Die Bedingungen sind dramatisch.
Seit über 70 Tagen sind knapp 3.000 Rinder aus Uruguay auf einem Frachtschiff eingepfercht. Eigentlich sollten sie in die Türkei verschifft werden. Doch dort wurde ihnen der Empfang verweigert.
Die Reise begann am 11. September. An dem Tag verließ die „Spiridon II“ den Hafen von Uruguays Hauptstadt Montevideo mit Kurs auf die Türkei. An Bord befanden sich 2.901 Rinder. Als das Frachtschiff am 22. Oktober im Hafen von Bandırma anlegte, verweigerte die örtliche Justizbehörde die Genehmigung zum Entladen der Rinder. Als Grund wurden Unstimmigkeiten in den tierärztlichen Zertifikaten angegeben. Angeblich stimmten die Angaben einiger Tiere nicht mit ihren Ohrmarken überein.
„Eine kleine Gruppe von Tieren war vom Importeur nicht ausgewählt worden“, bestätigte Marcelo Rodríguez, Abteilungsleiter für Viehzucht im uruguayischen Agrarministerium. In einem Bericht der Animal Welfare Foundation heißt es: „Mindestens 58 Rinder waren bereits tot. Zudem haben die trächtigen Färsen bereits über 140 Kälber geboren. Die türkischen Behörden fanden 50 Kälber bei einer Inspektion – ob lebend oder tot, bleibt unklar. Vom Rest fehlt jede Spur!“ Färsen werden geschlechtsreife Rinder bis zu dem Zeitpunkt genannt, an dem sie ihr erstes Kalb auf die Welt bringen.
Uruguays Agrarminister Alfredo Fratti wies jede Verantwortung zurück. „Es handelt sich um eine Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Wir haben wiederholt betont, dass sich die Regierung – zumindest in Uruguay – nicht in Geschäfte zwischen Privatpersonen einmischt. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei uns“, so Fratti.
Die Geschäftsbeziehungen mit der Türkei seien nicht beeinträchtigt. „Die Türkei hat uns mitgeteilt, dass es keine Probleme mit Uruguay gibt und dass auch die nächste Lieferung, die in wenigen Tagen verschickt wird, problemlos ihr Ziel erreichen wird“, so der Agrarminister.
Kaum Sorge ums Tierwohl
Die Sorge um einen Imageschaden für Uruguays Agrargeschäfte ist offensichtlich größer als die Sorge um das Wohl der Tiere. Am 9. November verließ die „Spiridon II“ schließlich den Hafen von Bandırma wieder. „Die Rinder auf dem Schiff befinden sich auf dem Rückweg nach Uruguay. Wir haben jedoch mit den Verantwortlichen besprochen, dass versucht wird, die Tiere während der Überfahrt auf einen anderen Markt umzuleiten“, sagte Abteilungsleiter Rodríguez.
Berechnungen zufolge würde das Schiff am 14. Dezember im Hafen von Montevideo einlaufen. Gegenwärtig ist der Frachter noch im Mittelmeer unterwegs. Inzwischen wird auf der Internetseite Marine Traffic als Ziel der „Spiridon II“ der Hafen von Bengasi in Libyen angegeben. Offiziell bestätigt ist das nicht. Auch nicht, ob die Rinder dort schließlich das Frachtschiff verlassen können. Völlig unklar ist, was noch an Futter- und Wasservorräten an Bord ist.
Für die trächtigen Tiere ist die Lage besonders dramatisch. „In dieser Enge und unter diesen unhygienischen Bedingungen sind Fehlgeburten fast unvermeidlich. Und selbst wenn ein Kalb lebend geboren wird, hat es kaum eine Chance“, zitiert die Animal Welfare Foundation die Tierärztin Lynn Simpson. Sterben die Kälber, drohe den Müttern eine schmerzhafte Mastitis, weil sie nicht gemolken werden.
Mit knapp 3.000 Tieren handelt es sich um ein vergleichsweise geringes Transportvolumen. Andere Schiffe können bis zu 20.000 Rinder an Bord nehmen. An der Spitze der Exportländer von lebenden Rindern stehen Australien, Brasilien und die USA, erst mit Abstand folgt Uruguay. Nicht alle lebend verschifften Tiere sind unmittelbar für die Schlachtung bestimmt. Jüngere Tiere kommen zunächst in Mastbetriebe. Tragende Färsen werden exportiert, damit sie am Bestimmungsort kalben und als Milchkühe gehalten werden können. Das erklärt auch die hohe Zahl an trächtigen Tieren auf der „Spiridon II“.
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