piwik no script img

Schulstreik gegen Wehrpflicht„Wir wollen sie zwingen, uns zuzuhören“

Der 15-jährige Elias organisiert in Hamburg den Schulstreik am Freitag mit. Die Perspektive der Jugendlichen, sagt er, sei praktisch nicht vorhanden.

Kein Opfer fürs Militär: Mutter protestiert gegen die Wehrpflicht Foto: Martin Schutt/dpa

Interview von

Amanda Böhm

taz: Elias, du organisiert den Schulstreik gegen die Wehrpflicht mit. Wie bist du dazu gekommen?

Elias: In Anbetracht der Militarisierung und des medialen Diskurses ist das Thema Wehrpflicht wirklich in meine Nähe gerückt. Plötzlich kam diese Perspektive: Vielleicht muss ich da hin, wenn ich erwachsen werde. Gemeinsam mit Mit­schü­le­r*in­nen habe ich dann einen Streikaufruf im Internet gesehen. Das fanden wir gut, deshalb haben wir ein Streikkomitee an unserer Schule gegründet.

taz: Die Wehrpflicht wird sehr breit diskutiert, aber potenziell Betroffene – also männliche Jugendliche, die nach 2008 geboren wurden – kommen in der Debatte kaum zu Wort. Wie hast du das bisher wahrgenommen?

Elias: Ich muss dir leider zustimmen. Kriegstüchtigkeit ist ein riesiges Thema, aber die Perspektive von uns Jugendlichen, auf deren Schultern das ja letztlich aufgebaut werden soll, ist praktisch nicht vorhanden. Überhaupt erhalten unsere Perspektiven keinen Einzug in den Bundestag. Eine Mehrheit der Jugendlichen, vor allem unter denen, die davon betroffen wären, ist gegen eine Wehrpflicht. Deswegen wollen wir streiken und sie zwingen, uns zuzuhören.

Im Interview: Elias

15, geht in die 10. Klasse einer Schule in Alsterdorf und ist Mitglied im Streikkomitee an seiner Schule.

taz: Wie wird das Thema unter euch Schü­le­r*in­nen diskutiert?

Elias: Ich habe Mitschüler*innen, deren Familien aus Kriegsgebieten geflohen sind. Über die Sozialen Medien können wir, ob wir wollen oder nicht, sehen, was Krieg bedeutet. Aber wir sehen dann nur irgendwelche alten weißen Männer, die darüber diskutieren, dass die Jugend möglichst schnell zur Kampftruppe des deutschen Staates werden soll. Wir haben Angst vor der Miliarisierung, Angst vor einem Krieg. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt so viel Hoffnung in diesen Schulstreik setzen. Wir wollen Schüler*innen, die sich gelähmt fühlen von ihrer Ohnmacht, eine Perspektive geben. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft unterstützt unseren Protest. Es gibt aber auch Schulleitungen, die den Streik verhindern wollen.

Wir sehen nur irgendwelche alten weißen Männer, die darüber diskutieren, dass die Jugend möglichst schnell zur Kampftruppe des deutschen Staates werden soll.

Elias, Mitorganisator des Schulstreiks in Hamburg

taz: Es soll erstmal einen freiwilligen Wehrdienst geben. Nur wenn sich nicht genug Freiwillige finden, soll über eine allgemeine Wehrpflicht entschieden werden.

Elias: Aber letztlich ist das doch auch nur ein Ausnutzen von sozialen Hierarchien. Wenn ich als Jugendlicher pespektivlos bin und dann in Sozialen Medien Werbevideos der Bundeswehr sehe, die mehr als 2.000 Euro monatlich und einen kostenlosen Führerschein anbieten, dann ist das natürlich attraktiv. Wenn ich nirgendwo anders eine Chance auf ein Leben in finanzieller Sicherheit sehe, ist das doch auch eine Art Zwang. Haben wir zunächst dieses Modell der finanziellen Anreize und danach erst das der verpflichtenden Wehrpflicht für alle, dann heißt das letztlich nur, dass die ersten, die in den Kasernen versauern, die Armen sind.

Protest gegen die Wehrpflicht

Am Freitag, dem 5.12., wird es bundesweit Streiks und Demonstrationen gegen die Wehrpflicht geben. Hier einige der angemeldeten Proteste in Norddeutschland:

Bremen: 12 Uhr, Leibnitzplatz

Braunschweig: 12 Uhr, Ringerbrunnen

Flensburg: 12 Uhr, Rathausplatz

Hamburg: 10 Uhr, Hachmannplatz

Hannover: 13:30 Uhr, Ernst-August-Platz

Ludwigshafen: 12:30 Uhr, Theaterplatz

Lüneburg: 12 Uhr, Clamartplatz

Mehr Informationen und weitere teilnehmende Städte unter schulstreikgegenwehrpflicht.com

taz: Oft heißt es, eine Wehrpflicht sei notwendig, um die Demokratie verteidigen zu können.

Elias: Ja, es wird immer so hoch gesprochen von unserer Demokratie, von unserer Freiheit. Aber dann sollte doch mal etwas dafür getan werden, dass wir alle auch ein besseres Leben in Frieden und Freiheit haben! Wir stehen einer Regierung gegenüber, die nach unten tritt. Das Renteneintrittsalter soll weiter nach oben verschoben werden, wir haben eine rassistische Abschiebungspolitik, es wird nichts gegen Jugendarmut unternommen. Wir haben es mit einem enormen Rechtsruck zu tun. Da finde ich die Diskussion über die vermeintliche Verteidigung der Demokratie an der Waffe sehr abstrakt.

taz: Was möchtest du nach der Schule machen?Elias: Ich glaube, da kann ich nur das sagen, was die allermeisten in meinem Alter sagen würden: Ich habe überhaupt keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich sicher nicht zur Bundeswehr gehen will.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Berufssoldaten müssen her. Spezialisten, die sich mit moderner Kriegsführung bzw. Verteidigung auskennen, wie z.B. Cyberkrieg, Drohnen, moderne Abwehrtechniken, etc. Wie sollen denn junge Männer, die eine Ausbildung von wenigen Monaten absolvieren, irgend etwas bewirken. Man schickt ja auch keine Putzfrau zur Wartung eines hochkomplexen Computerzentrums.

  • "Wir haben [...] Angst vor einem Krieg."

    Dann ist die Wehrpflicht, die richtige Antwort bei Menschen wie Putin. Zutreffend ist aber, dass man auch die 18 bis ca. 40 jährigen einziehen könnte, die noch keine Wehrpflicht gemacht haben.

  • Das Renteneintrittsalter soll angehoben werden, damit es für die Generation von Elias in irgendeiner Form noch finanzierbar bleibt. Die "alten weißen Männer", die angeblich über seine Zukunft entscheiden, haben zu einem sehr großen Teil selber Wehrdienst geleistet und verlangen von ihm nichts, was sie nicht auch selber geleistet haben. Und, so wie man hört, soll der Streik während der Unterrichtszeit stattfinden. Ein weiterer Baustein für weniger Wissen und Bildung und dem folgend auch weniger Perspektiven. In diesem Fall dann selber verursacht.

    • @Puky:

      Von der Anhebung des Rentenalters ist die Generation Elias genauso betroffen wie Sie, insofern geht Ihr Einwand ins Leere.

  • Schulstreik, die Jugendlichen bestreiten dann doch sich selbst und ihre Bildung, was für einen Sinn bringt das? Es wäre doch besser in der Freizeit für sein Anliegen gewaltfrei zu demonstrieren oder wäre dann die Bereitschaft deutlich niedriger Freizeit zu opfern ?



    Was heißt eigentlich Wehrpflicht, jeder kann doch den Dienst an der Waffe verweigern und Zivildienst leisten. In meinem Jahrgng wurden noch alle gemustert und der Wehrdienst oder Zivilldienst war deutlich länger wie jetzt angedacht. Während des kalten Krieges war auch die Kriegsgefahr hoch, allerdings sind wir nicht gleich in Panik verfallen oder gar in Tränen ausgebrochen.

  • Jetzt noch schnell machen, unter Putin geht das dann nicht mehr.

  • Elias weiß wohl nicht, dass Generationen vor ihm Dienst geleistet haben, sie habe auch in die Rentenkasse eingezahlt, waren viel ärmer als er waren und trotzdem an die Demokratie geglaubt haben. Aber vielleicht wird er bald erwachsen.

  • Elias hat es auf den Punkt gebracht.

  • Der schulpflichtige Elias weiß eigentlich nicht um was es geht. Die freiheitliche Demokratie hat er definitiv nicht verstanden. Kriegsdienst und rassistische Abschiebepolitik tun ein übriges.



    Und der typische Satz von ihm: „ Ja, es wird immer so hoch gesprochen von unserer Demokratie, von unserer Freiheit. Aber dann sollte doch mal etwas dafür getan werden, dass wir alle auch ein besseres Leben in Frieden und Freiheit haben!



    Ein Leben in Frieden und Freiheit geht nur wenn man stark ist und andere Respekt vor der Stärke hat.

  • Ich würde auch mitstreiken!



    Eine Wehrpflicht ist einfach ein no-go. Die Zeiten, in denen man Wehrpflichtige als Kanonenfutter braucht sind hoffentlich längst vorbei.



    Darüber hinaus ist etwas schade, dass die o.g. Initiative sich ein dzidierte linke Position gibt. Ablehnung der Wehrpflicht sollte keine Frage von links, konservativ oder liberal sein. Wie man an den Positionen dazu von FDP und Grünen ja auch aktuell sieht.