Ausschreitungen in Syrien: Diesmal fallen die Schüsse in Homs
In der syrischen Stadt werden zwei Beduinen ermordet. Die Rache ihres Stammes richtet sich gegen Alawiten. Die Regierung schickt Truppen.
Ein grausamer Mord hat die Stadt Homs erschüttert – und eine neue Welle der Gewalt in Syrien ausgelöst. Ein Ehepaar aus dem beduinischen Stamm Bani Khalid ist am Sonntag in seinem Haus tot aufgefunden worden, im Dorf Zaydal südlich von Homs. Die Leichen zeigten Spuren von Gewalteinwirkung, der Körper der Ehefrau war verbrannt.
Ein Video zeigt einen komplett verwüsteten und ausgebrannten Raum in dem Haus. Im Badezimmer war an die Wand mit Blut geschmiert worden: „Ya Hussein“ – Oh, Hussein – ein Ausspruch, der von schiitischen Muslim*innen benutzt wird. Das ermordete Paar war sunnitischen Glaubens.
Die Hintergründe und ein mögliches Motiv der Tat sind noch vollkommen unklar. Doch das Verbrechen trat eine Welle der Gewalt in der benachbarten Stadt Homs los: Laut der Menschenrechtsorganisation Syrian Observatory for Human Rights (Sohr) fuhren am Sonntag zehn Wagen mit bewaffneten Mitgliedern des Bani-Khalid-Stammes in mehrere alawitisch und schiitisch geprägte Viertel von Homs. Die Männer sollen Racheparolen gesungen und „Allahu Akbar“ – Gott ist groß – auf den Straßen geschrien haben. Schüsse sollen gefallen sein, Zivilist*innen getroffen. Autos, Häuser und Geschäfte wurden in Brand gesteckt, Wohngebäude laut der Rekonstruktion von Sohr gestürmt. Kinder mussten in ihren Schulen ausharren.
Ein Video zeigt den syrischen Zivilschutz, die Weißhelme, die mit einem Wasserschlauch versuchen, einen Brand in einem Wohnviertel zu löschen. Ein anderes zeigt einen verunfallten Wagen in Flammen, es sind bewaffnete Männer zu sehen, Schüsse zu hören. Ein Einwohner, der nur mit seinem Vorname Amr in der Presse erscheinen möchte, schickt der taz Bilder von Rauchschwaden und einem Auto mit eingeschlagener Heckscheibe. Laut dem Direktor der Gesundheitsabteilung des Gouvernements Homs, Abdul Karim Ghali, sind insgesamt 18 Menschen verletzt worden. Sohr spricht von Dutzenden Verletzten und Toten.
Die Regierung entsendet mal wieder Truppen
Am Sonntagabend ist wieder Ruhe eingekehrt. Die syrische Regierung hat Streitkräfte in großer Anzahl nach Homs geschickt und eine Ausgangssperre verhängt. „Die Lage ist jetzt stabil“, schreibt Amr am Montagvormittag der taz. Eine weitere Einwohnerin bestätigt dies. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, die konfessionsgebundene Parole am Tatort solle wahrscheinlich die Behörden in die Irre führen und Streit verursachen.
Die Angst unter der schiitischen und alawitischen Bevölkerung ist allerdings groß. Erst im März haben Ausschreitungen zwischen alawitischen, sunnitischen Kämpfern und Regierungstruppen in der alawitisch geprägten Küstenregion mehr als 1.500 Zivilist*innen das Leben gekostet, die meisten von ihnen waren Alawit*innen. Laut den Vereinten Nationen könnte es sich dabei um Kriegsverbrechen handeln.
Nach dem Fall des Regimes von Ex-Präsident Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 hatten sunnitische Milizen in Syrien die Macht übernommen, angeführt von der ehemaligen islamistischen Terrorgruppe Hai'at Tahrir asch-Scham. Deren früherer Anführer Ahmed al-Scharaa ist nun Präsident und hat sich von seiner dschihadistischen Vergangenheit distanziert und den Schutz aller Minderheit versprochen.
Indes sind Beobachter*innen besorgt, ob al-Scharaa die radikalsten Elemente unter seinen Unterstützer*innen im Zaum halten kann. Hinzu kommt eine hoch angespannte Lage zwischen den vielen Bevölkerungsgruppen Syriens, die sich nach dem Bürgerkrieg noch nicht ganz beruhigt hat. Im Frühling gab es etwa eine Welle der Gewalt in alawitisch wie drusisch geprägten Regionen, im Juni kostete ein Terrorangriff in einer Kirche von Damaskus 25 Christ*innen das Leben.
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