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Wahlen in der UkraineSelenskyis geschickter Schachzug

Kommentar von

Barbara Oertel

In der Ukraine könnte es nun zu Neuwahlen kommen. Ob sich der aktuell amtierende Präsident Wolodymyr Selenskyj noch mal aufstellen lässt, ist offen.

Trump empfängt Selenskyj im Weißen Haus am 17. Oktober 2025 Foto: Alex Brandon/ap/dpa

E ines muss man Wolodymyr Selenskyj lassen: Der ukrainische Präsident ist zu einem gewieften Taktiker mutiert. Diese Eigenschaft braucht er mehr denn je, angesichts der desolaten Lage ukrainischer Truppen vor allem an der Front im Osten. Hinzu kommt, dass Selenskyj von US-Präsident Donald Trump und dessen russischem Pendant Wladimir Putin gerade gleichermaßen in die Zange genommen wird.

Ausgerechnet diese beiden Männer, deren Schnittmengen immer größer werden, bringen immer mal wieder das Thema Wahlen in der Ukraine aufs Tapet. Fast schon müßig zu erwähnen, dass Trump immer noch das Märchen von seinem angeblich gestohlenen Wahlsieg 2020 verbreitet. In die Kategorie „vollkommener Realitätsverlust“ fallen auch Äußerungen Putins, Russland habe es geschafft, in diesen kriegerischen Zeiten „Wahlen“ abzuhalten. Wahlen unter Putin, die diesen Namen verdienen – echt jetzt?

Selenskyj hingegen hat zu Protokoll gegeben, sich Wahlen nicht verschließen zu wollen. Das ist nicht neu. Schon mehrmals hat er betont, nicht „an seinem Sessel zu kleben“, wobei die Frage offen ist, ob er überhaupt noch einmal antreten würde. Neu hingegen ist, dass Selenskyj die Abhaltung von Wahlen auch mit der Forderung von Sicherheitsgarantien seitens der USA und europäischer Partnerländer verknüpft. Dies ist ein geschickter Schachzug.

Einerseits ist das wohl als Versuch zu werten, die USA dazu zu bewegen, in welcher Form auch immer, weiter an Bord zu bleiben – und das mit den Europäern. Andererseits dürfte es Selenskyj darum gehen, überhaupt verlässliche militärische Sicherheitsgarantien zu erhalten, die weit über den Kontext einer Wahl hinausgehen – für die Ukraine nichts weniger als eine Überlebensgarantie.

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Die passende Begleitmusik dazu sind die aktuellen sogenannten Friedensverhandlungen, in denen Sicherheitsgarantien ein zentraler Punkt sind. Sie sind genauso umstritten wie „freiwillige“ Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland. So massiv, wie Moskau auf der kampflosen Überlassung bisher nicht eroberter Gebiete besteht, so klar lehnt es Sicherheitsgarantien ab beziehungsweise meint, auch hier die Bedingungen diktieren zu können. Diese unverrückbaren Positionen könnten Selenskyj darauf hoffen lassen, mit seinem Angebot Washington umstimmen und dazu bringen zu können, doch noch Druck auf Russland auszuüben. Doch danach sieht es derzeit nicht aus, Washingtons Signale sind andere. Bestürzend, aber wahr.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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