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SPD in Berlin und HamburgAufgepasst, Genossen!

In Berlin zerlegt sich die SPD gerade selbst, und bei den Landtagswahlen 2026 droht eine Schlappe. In Hamburg dagegen ist die SPD weiter Volkspartei.

Ob man gut beschirmt ist mit dieser Partei? Steffen Krach (links), SPD-Spitzenkandidat für die Berlin-Wahl, will Hand anlegen Foto: Hans Christian Plambeck/laif
Uwe Rada
André Zuschlag

Aus Berlin und Hamburg

Uwe Rada und André Zuschlag

Wer keine Führung bestellt, bekommt auch keine. So ließe sich das politische Beben beschreiben, das die SPD in Berlin vor wenigen Tagen erschüttert hatte. Weil der Landeschefin bei einer Bezirksabstimmung ein sicherer Listenplatz für die Wahl zum Abgeordnetenhaus kommenden September verwehrt wurde, traten sie und ihr Co-Chef kurzerhand zurück.

Keine Führung. Anders also als in Hamburg, wo von Olaf Scholz einst Führung bestellt und auch geliefert wurde. Vielleicht ist das ein Grundproblem der Berliner SPD, die seit 1989 an allen Landesregierungen beteiligt war. Die Landesvorsitzenden, die am Sonntag vergangener Woche hingeschmissen haben, waren erst im Mai 2024 gewählt worden. In einem Mitgliederentscheid konnten sich beide, die zum eher konservativen Flügel zählen, gegen zwei Bewerberduos aus dem linken Flügel durchsetzen.

Dass die Basis eher auf Altbewährtes setzt, ist der mehrheitlich linken Funktionärsebene, die sich auf Bezirksversammlungen und Landesparteitagen austoben darf, allerdings herzlich schnuppe. Kann es ihr auch, denn ein Basta wie in Hamburg ist weit und breit nicht in Sicht.

Wer hat also das Sagen in der Berliner SPD, der einst stolzen Partei von Ernst Reuter und Willy Brandt? Ist es die Parteizentrale im Kurt-Schumacher Haus im ehemaligen Arbeiterbezirk Wedding? Ist es die Fraktion im Abgeordnetenhaus, die seit 2011 vom mächtigen Strippenzieher Raed Saleh geführt wird? Oder sind es die SPD-Senatorinnen und Senatoren in der schwarz-roten Landesregierung?

Kleine Partei, große Partei

Berlin und Hamburg

Bei 13 Prozent liegt die Berliner SPD laut Umfrage. Damit würde es nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2026 nur zum Juniorpartner von CDU und Grünen reichen. In Hamburg landete die SPD bei den Bürgerschaftswahlen mit 34 Prozent klar vorne. In Berlin Nummer 5, in Hamburg Nummer 1. Und im Osten droht die Fünfprozenthürde.

An der Regierung

Dennoch regiert die SPD noch in 12 der 16 Bundesländer. Den Regierungschef oder die Regierungschefin stellen die Genossen immerhin in Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und dem Saarland. 2026 finden Wahlen statt in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.

Letzteres ist wohl am einfachsten zu beantworten. Als es darum ging, wen die Berliner SPD als Spitzenkandidaten für die kommende Landtagswahl aufstellen wird, tauchte der Name von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey nur noch am Rande auf. Deren Aufstieg und Fall ist – neben der Existenz sich gegenseitig lähmender Machtzentren – zugleich ein Lehrstück dafür, wie der Berliner Landesverband der SPD tickt. Ihre rasante Karriere hatte Giffey als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln begonnen. Ihr Förderer und Vorgänger war der über Berlin hinaus bekannte Heinz Buschkowsky, der sich auch nicht scheute, Reizwörter wie Parallelgesellschaften in den Mund zu nehmen. Als neuer Politstern am Berliner Firmament wechselte Giffey bald schon als Familienministerin ins Bundeskabinett unter der schwarz-roten Koalition von Angela Merkel.

Nachdem Giffey wegen der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit zurücktreten musste, kehrte sie in die Landespolitik zurück und wurde 2021 Regierende Bürgermeisterin. Führung war also bestellt. Aber die Partei, das zeigte sich bald, wollte sich nicht führen lassen – zumindest nicht von Franziska Giffey. Anders als von Giffey gewünscht, verweigerten ihr die Funktionäre den Weg in eine Ampelkoalition mit der FDP, sondern drängten auf ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei.

Als nach zahlreichen Wahlpannen 2023 eine Wiederholungswahl nötig wurde, zahlte es Giffey der eigenen Partei heim – und führte ihre SPD als Juniorpartnerin in ein Bündnis mit der CDU. Statt ins Rote Rathaus zu ziehen, hat Giffey die Führung an Kai Wegner von der CDU abgegeben. Viele haben das damals als Verrat empfunden. Giffey selbst hat sich mit dieser Entscheidung ins politische Abseits manövriert.

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Ein letztes Aufzucken gab es noch. Im September wurde der ehemalige Wissenschaftsstaatssekretär und gegenwärtige Regionspräsident in Hannover, Steffen Krach, zum Spitzenkandidaten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 20. September im nächsten Jahr nominiert. Ausgewählt worden war er sehr professionell vom Duo der Landesvorsitzenden, das nun zurückgetreten ist. Nun soll Krach bei einem vorgezogenen Parteitag im Frühjahr auch zum Landeschef gewählt werden. Die Hoffnung: Er möge die heillos zerstrittene Partei heilen.

Einen Heilsbringer also sucht die Berliner SPD. Bestellt, fast schon verzweifelt, noch einmal Führung. Kann das funktionieren? Gefolgt sind die SPD-Funktionäre ihrem Führungspersonal zumeist nur dann, wenn es lief. Zurzeit läuft es eher nicht so. Nach CDU, Linkspartei, Grünen und AfD liegt die SPD in Berlin in Umfragen abgeschlagen auf Platz 5.

Der Blick nach Hamburg

Fast 6 Prozentpunkte verloren. Ja, und? Es gibt nicht so viele Städte oder Länder in Deutschland, wo das Polster der SPD so dermaßen groß ist, dass solche Verluste ähnlich irrelevant sind wie in Hamburg nach der Bürgerschaftswahl Anfang März dieses Jahres: Anderswo hätte ein ähnliches Absacken die Partei mittlerweile in die Nähe des einstelligen Wahlergebnisses gebracht, mindestens aber dafür gesorgt, dass eine andere Partei die Wahl gewinnt. In Hamburg dagegen: klarer Wahlsieg, knapp 34 Prozent. Künftig also: weitermachen wie gehabt.

Wie gehabt. Das ist für die Hamburger SPD ein Zweiklang, der sich in kaum einer anderen Szene so sehr offenbart, wie die an jenem frühen Morgen im September vor zwei Jahren. Kurzerhand traten die drei mächtigsten Hamburger Ge­nos­s:in­nen vor die Presse, um eine Entscheidung bekannt zu geben. Das Herz der Stadt, der Hafen, wird einer umfassenden Privatisierung unterzogen; ein milliardenschwerer Partner ins Boot geholt, um nach schlappen Jahren endlich wieder schlagkräftig in den internationalen Wettkampf mit den Konkurrenzhäfen zu gehen. Zum Wohle der gesamten Stadt.

Basta. Dass das eine riskante und auch mit Nachteilen verbundene Jahrhundertentscheidung ist, darüber wird jetzt nicht mehr diskutiert.

Da war es: Das Mantra, das Olaf Scholz seinen Ge­nos­s:in­nen in der Stadt dagelassen hat, als es ihn aus dem Hamburger Rathaus nach Berlin erst ins Finanzministerium und dann ins Bundeskanzleramt zog – wer Führung will, bekommt sie auch. Das gilt nach außen – an die Wähler:innen: Die SPD führt und zaudert nicht vor Entscheidungen. Und das gilt nach innen – an die zweite, dritte Reihe der Partei: Ideen werden ganz oben entwickelt, diskutiert und abschließend entschieden. Es gibt keine Einladung zur Debatte, sondern die Mitteilung über eine getroffene Entscheidung.

Das ist ja schließlich die eine Hälfte des Erfolgsrezepts der Hamburger Sozialdemokratie, seit Olaf Scholz das demütigende Oppositionsjahrzehnt 2011 endlich überwand: Aus parteiinternem Diskurs, an dem Mittel- und Hin­ter­bänk­le­r:in­nen munter mitmischen wollen, entsteht Streit, entsteht Chaos, entsteht Wahlniederlage. Und weil Scholz mit dieser Erkenntnis seine Partei 2011 zur absoluten Mehrheit führte, weiß fast je­de:r mit Ambitionen in der SPD, dass es besser ist, die Klappe zu halten. Selbst dann, wenn es ans Herz der sozialdemokratischen Idee geht – wenn ein (Teil-)Verkauf des Hafens an eine steuerflüchtige, intransparente Reederei ansteht und Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen um ihre Jobs und ihre Mitbestimmung fürchten.

Denn diese Einbindung wirtschaftsliberaler Positionen ist der andere Teil des erfolgreichen Hamburger SPD-Zweiklangs. Hamburg ist eine Handelsstadt, Wirtschaftskompetenz bedeutet: Politik wird nicht gegen, sondern mit den Kaufleuten betrieben. Das zeigte sich beim Hafendeal, das zeigt sich noch ausdauernder beim Wohnen: Während Berlin über allerlei Mittel gegen die Wohnungswirtschaft debattierte, gründete Hamburg mit der Immobilienwirtschaft ein dauerhaftes „Bündnis für das Wohnen“: Die SPD-geführte Stadt verspricht Schnelle bei den Bauanträgen, die private Immobilienwirtschaft schafft partiell auch Sozialwohnungen.

Eben dieser Vereinigung von Bürgertum und Proletariat verdankt auch die SPD in Bremen, dem dritten Stadtstaat, ihre seit 1945 andauernde Regentschaft: (Klassen-)Kämpfe trägt die SPD hier nicht aus; setzt viel eher auf Bremen als Ort, wo Zusammenhalt hergestellt wird, indem das bürgerliche Lager beständig Angebote von der SPD bekommt. Heißt: Die SPD ist tatsächlich noch, schwindend zwar, eine wirkliche Volkspartei.

Viel Platz nach rechts, ohne ins Populistisch-Schrille abzudriften, bleibt dann nicht mehr, weder in Bremen noch in Hamburg. CDU-Positionen haben sich die Ge­nos­s:in­nen bereits einverleibt, Konservative können sich bei der SPD wiederfinden. Es müsste in Hamburg also schon eine charismatische Lichtgestalt kommen, um die CDU wieder zu einer ernsthaften Konkurrenz zu machen.

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