Journalist Fatih Altaylı: Vier Jahre Haft für Erdoğan-Kritiker
Der prominente Journalist Fatih Altaylı soll Präsident Erdoğan beleidigt haben. Er gilt als einflussreicher Sprecher ders säkularen Türkei.
Der prominente türkische Journalist Fatih Altaylı ist am Mittwoch zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden. Wegen angeblicher Drohungen gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan soll er für vier Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der 63-jährige Fatih Altaylı sitzt bereits seit dem 21. Juni in Untersuchungshaft im berüchtigten Gefängnis Silivri, wo Erdoğan seine politischen Gegner und prominenten Kritiker festhalten lässt.
Der Prozess fand in einem Gerichtssaal direkt im Gefängnis statt. Noch bevor Altaylı am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, seine Stellungnahme richtig vorbringen konnte, hatte das Gericht ihn bereits verurteilt. Der Hintergrund: Auf seinem Youtube-Kanal hatte er die Frage einer Verfassungsänderung diskutiert, mit der sich Erdoğan eine lebenslange Präsidentschaft sichern könnte. Darin erwähnte Altaylı seriöse Umfragen, in denen sich mehr als 70 Prozent der Befragten dagegen ausgesprochen hatten.
Er erinnerte daran, dass in der Geschichte des Osmanischen Reiches mehr als ein Sultan stranguliert worden sei, den seine Untertanen ablehnten. Aus diesem Geschichtshinweis leitete das Gericht nun ab, dass Altaylı Präsident Erdoğan bedroht habe.
Altaylı ist einer der bekanntesten Journalisten der Türkei, verheiratet und Vater eines Kindes. Sein Youtube-Kanal hat 1,4 Millionen Abonnenten und wurde jeden Tag hunderttausendfach angeklickt. Je mehr die offiziellen Medien in der Türkei unter staatliche Kontrolle gestellt wurden, umso mehr Klicks bekam der regierungskritische Kanal von Fatih Altaylı.
Chefredakteur mehrerer großer Tageszeitungen
Altaylı hat bereits mehrere Jahrzehnte als Journalist hinter sich. Er arbeitete zunächst im Printbereich, war Chefredakteur mehrerer großer Tageszeitungen und landete dann beim Fernsehen. Das ergab sich fast zwangsläufig, weil die großen Medienkonzerne, bei denen er arbeitete, neben ihren Zeitungen auch TV-Anstalten besaßen, bei denen ihr bester Mann dann auf Sendung ging. Und das war Altaylı immer: Er ist ein scharfzüngiger Kommentator, der sich ohne Scheu auf die Skandale der Republik stürzte. Über Jahre war Fatih Altaylı das prägende Gesicht des TV-Senders Habertürk, der seine Sendung „Teke Tek“ (One to One) auf massiven politischen Druck hin dann im Mai 2023 absetzte. Altaylı gründete daraufhin seinen eigenen Youtube-Kanal.
Nachdem sich Altaylı mit der mächtigen Religionsbehörde Dianet angelegt hatte, wurde er schon einmal angeklagt. Altaylı hatte kritisiert, dass die Dianet in religiösen Statements immer wieder auch die Heirat mit minderjährigen Mädchen als religiös unproblematisch bezeichnet hatte. Auf Twitter schrieb er, solche Leute sollten nicht in der Religionsbehörde, sondern in der Pornoindustrie arbeiten. Nicht nur durch solche Kommentare wurde Altaylı zu einem der einflussreichsten Sprecher des säkularen Teils der Gesellschaft und damit klarer Gegner von Erdoğans islamischer AKP, die den Einfluss der Religion immer weiter ausbauen will.
Zu Altaylıs Prozess am Mittwoch waren nicht nur etliche befreundete Journalisten, sondern auch der berühmteste türkische Historiker İlber Ortaylı und der bekannte Physiker und Erdbebenforscher Celâl Şengör erschienen. Doch es nutzte nichts.
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