Linksextreme vor Gericht: „Antifaschismus ist notwendig“
Im Antifa-Prozess in Dresden äußern sich Beschuldigte zur Anklage. Zu konkreten Vorwürfen schweigen sie – aber die Anklage kritisieren sie deutlich.
Thomas J. stockt die Stimme, er muss zu einem Taschentuch greifen. „Ich fang mich gleich wieder“, sagt der 48-Jährige. Dann erzählt er weiter von seiner Zeit in den Neunzigerjahren in Königs Wusterhausen, einer Kleinstadt im Süden Berlins, als Neonazis ihn und andere jagten, als Menschen getötet wurden. Menschen, die er kannte. „Es war eine Zeit voller Gewalt.“ Eine Zeit, als klar wurde, dass man sich verteidigen müsse.
Der Auftritt von Thomas J. am Mittwoch im Oberlandesgericht Dresden lässt ein anderes Bild von ihm entstehen als das, welches die Anklage zeichnet. Denn der Berliner ist von der Bundesanwaltschaft angeklagt als einer von sieben Antifaschist*innen, denen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird; er als einziger nur als Unterstützer. Neun schwere Angriffe auf Rechtsextreme von 2018 bis 2023 soll die Gruppe begangen haben, auch mit Schlagstöcken und Hämmern, in Ostdeutschland und Budapest, dazu eine Attacke auf einen Thor-Steinar-Laden in Dortmund. Bei einem der Angriffe, in Eisenach, soll Thomas J. dabei gewesen sein, auch zwei Trainings für Angriffe geleitet haben, seit 13 Monaten sitzt er in U-Haft.
Nach dem Prozessauftakt am Vortag gibt es am Mittwoch nun die Möglichkeit für die Beschuldigten zur Aussage. Zu den konkreten Vorwürfen schweigen alle sieben – nicht aber zu den Umständen des Verfahrens. Neben Thomas J. tragen auch zwei weitere Angeklagte persönliche Erklärungen vor.
Zuvor aber räumt das Gericht mehrere Anträge auf Aussetzung des Verfahrens ab, welche die Verteidiger*innen zum Auftakt gestellt hatten. Weil ihnen bisher keine vollständige Akteneinsicht gewährt wurde oder weil erst mal geklärt werden müsse, welche Folgen die US-Einstufung der „Antifa Ost“ als Terrorvereinigung für die Angeklagten habe, umso mehr im Falle von Aussagen. Richter Kubista weist das zurück: Alle wesentlichen Akten seien übersendet worden. Und für eine Aufklärung der US-Einstufung fehle eine Rechtsgrundlage.
Wir kennen ihn
Dann spricht der erste Angeklagte, der Berliner Tobias E., den die taz zuletzt in Haft besucht hatte. Den Vorwurf eines militanten Straßenkampfs nennt der 31-Jährige „geradezu absurd“. Denn dies gehe von einem friedlichen Urzustand aus, den es angesichts dauerhafter rechtsextremer Gewalt nicht gebe. Wenn der Staat darauf nicht reagiere, sei er es, der verantwortlich für Radikalisierungen sei. Denn dann griffen Menschen „zu verzweifelten Aktionen“.
Die Anklage weist Tobias E. als „Exempel“ zurück, um von „tiefergehenden Problemen abzulenken“. Er spricht von einer „Klassen- und Gesinnungsjustiz“ und kritisiert, wie der Staat gegen unliebsame Meinungen vorgehe. Damit rüttele er mehr an der Meinungsfreiheit, „als es eine Hammerbande je könnte“. Es ist die Bezeichnung, welche der Gruppe einige Medien gaben. Sollte er verurteilt werde, werde er seine Strafe antreten, erklärt Tobias E. Aber: „Die Vorzeichen, unter denen dieser Prozess geführt wird, lehne ich entschieden ab.“
Seine Verteidigerin hatte am Vortag noch vor einer Doppelbestrafung ihres Mandanten gewarnt. Denn Tobias E. wurde nach den Angriffen in Budapest im Februar 2023 noch vor Ort festgenommen und in Ungarn als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verurteilt, saß dafür zwei Jahre in Haft. Nun dürfe er nicht für die gleiche Vereinigung noch einmal verurteilt werden, betonte seine Anwältin. Zudem verwies sie auf die miserablen Haftbedingungen in Ungarn, von denen Tobias E. auch der taz erzählt hatte, von Kakerlaken, Kälte, Gewalt und Willkür – was im Falle einer Verurteilung strafmildernd angerechnet werde müsse.
Auch der Leipziger Julian W. kritisiert, dass die Anklage „in keinerlei Verhältnis zu den mir vorgeworfenen Taten“ stehe. „Worum geht es hier wirklich? Um Gerechtigkeit oder um ein politisches Signal?“ Und auch W. verweist auf die rechtsextreme Gewalt, die für Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen, keine abstrakte Bedrohung sei, sondern eine konkrete und alltägliche. Dass dennoch Antifaschismus kriminalisiert werde, erfülle ihn „mit großer Sorge“.
Dann spricht Thomas J., den die taz zuletzt ebenfalls in Haft besuchte hatte. Und auch der Berliner, mit 48 Jahren der älteste Beschuldigte, weist die Anklage als „Konstrukt“ zurück. Es sei „unlauter“, dass die Vorwürfe gegen ihn allein auf „Spekulationen“ eines Kronzeugen beruhten, des früheren Szenebekannten Johannes D., der sich „in sozialer und finanzieller Abhängigkeit der Ermittlungsbehörden befindet“, klagt J.
Antifa = Gewalt
Er verstehe ja, wenn auf Angriffe gegen Neonazis mit Strafverfahren reagiert werde, sagt Thomas J. Das Problem aber sei, dass nicht vor einem regulären Gericht verhandelt werde, sondern die Bundesanwaltschaft den Fall an sich zog. Dass „willkürlich“ eine kriminelle Vereinigung und mit den Angriffen auf die Neonazis auch ein Angriff auf die Demokratie behauptet werde. Er und die anderen würden zu „Staatsfeinden hochstilisiert“. Das sei eine Umdeutung der Taten, so J. Die Anklage ziele damit „auch auf eine politische Haltung“. Sie setze Antifaschismus ausschließlich mit Gewalt und sogar Terrorismus gleich. Dabei werde ausgeblendet, dass Faschismus und Gewalt untrennbar seien.
Und Thomas J. erzählt, was er auch der taz beim Haftbesuch berichtete: wie er zum Antifaschismus kam. Wie er nach der Wende in Königs Wusterhausen erlebte, wie Rechtsextreme dort auf ein besetztes Haus schossen, wie zwei alternative 17-Jährige tot neben S-Bahngleisen gefunden wurden, wie ein Schwarzer Jugendlicher auf seinem Motorrad tödlich von der Straße gedrängt, eine Geflüchtetenunterkunft niedergebrannt wurde. Wie der örtliche Neonazi-Anführer Carsten Szczepanski einen Nigerianer fast ermordete – und später als V-Mann und NSU-Helfer enttarnt wurde. Es sind diese Schilderungen, die Thomas J. stocken lassen, ihn bis heute sichtlich mitnehmen.
Und auch er selbst sei als Linker ausgemacht worden, erzählt er im Gerichtssaal. Einmal habe er eine Faust ins Gesicht bekommen, einen zweiten Angriff habe er abwehren können. Als er 2001 dann ein linkes Festival schützte, dort auf der Bühne schlief, hätten ihn nachts nur knapp Brandsätze verfehlt, die von einem Rechtsextremen geworfen wurden. Bei all dem sei der Staat „weder willens noch fähig“ gewesen, einzugreifen und zu schützen, kritisiert Thomas J. Monatelang habe er damals in seiner Kleidung auf der Couch geschlafen, um das Gefühl zu haben, jederzeit fliehen zu können.
Heute habe sich der Umgang mit rechter Gewalt verändert, räumt Thomas J. ein. Dennoch sei auf den Staat weiter häufig kein Verlass. „Wer ländliche Regionen kennt, weiß, dass diese Gewalt nie ganz verschwunden war.“ Es komme deshalb eben auf Antifaschismus an, der „maßgeblich demokratische Selbstverteidigung“ sei, stellt Thomas J. klar – also eben keine Ablehnung der Demokratie. Auch „konsequente Mittel“ gegen Neonazis stellten den Rechtsstaat nicht infrage. Die reale Gefahr für den Rechtsstaat seien „offensichtlich“ neonazistische Akteure. „Solange eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ausbleibt, ist es notwendig, dass Betroffene selbst Verantwortung übernehmen und sich auch wehren“, betont Thomas J. „Antifaschismus ist daher notwendig.“
Im Publikum wird das mit Applaus quittiert – so wie auch die Statements der anderen Angeklagten. Der Richter lässt es erst geschehen, dann aber ermahnt er, er könne Zuhörende auch des Saales verweisen. Am Ende des Prozesstages aber werden die Angeklagten wieder mit Applaus verabschiedet. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.
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