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Hochhausgroßbrand in HongkongÜber 50 Tote und hunderte Vermisste

In der südchinesischen Sonderzone wirft die Suche nach den Hintergründen des verheerendsten Brandes seit Jahrzehnten auch politisch heikle Fragen auf.

Der Großbrand in den Hongkonger Hochhaustürmen des Wang Fuk Court in der Nacht auf Donnerstag Foto: Chang Long Hei/ap/dpa

Die Flammen haben sich so rasant ausgebreitet, dass viele Bewohner der acht 32-stöckigen Wohntürme den Ernst der Lage viel zu spät erkannt haben. Keine vierzig Minuten hat es gedauert, bis das Feuer am Mittwochnachmittag etliche Stockwerke des Wang Fuk Court erfasst hatte. Die herzzerreißenden Szenen, die im Hongkonger Fernsehen seither in Dauerschleife ausgestrahlt werden, sind kaum zu ertragen: Eine Mitbewohnerin schreit voller Verzweiflung in die Kamera, dass sich ihre gesamte Familie noch in der Wohnung befinde. Sie könne niemanden telefonisch erreichen, wahrscheinlich seien sie ohnmächtig geworden.

Die traurige Zwischenbilanz des schlimmsten Feuers in Hongkong seit Jahrzehnten lautet am Donnerstagmittag Ortszeit: Mindestens 55 Menschen kamen ums Leben, fast 300 Personen werden noch vermisst. Zudem befinden sich 45 Verletzte in krankenhäuslicher Behandlung, einige von ihnen werden wohl nicht überleben. Unter den Toten ist auch ein Feuerwehrmann.

Neben der Trauer mischt sich auch zunehmend Wut in die öffentliche Debatte. Denn die Frage, warum sich die Flammen so ungewöhnlich schnell ausbreiten konnten, ist heikel. Eine wesentliche Rolle dürften die leicht entflammbaren Bambusgerüste gespielt haben, die bereits seit über einem Jahr vor den insgesamt acht betroffenen Wohntürmen standen.

Zum ersten Mal sollte der 1983 fertig gestellte Komplex mit knapp 5.000 Bewohnern eine grundlegende Renovierung erhalten. Dabei sollten die Außenwände erneuert, Abflussrohre gesäubert und Brandschutzvorrichtungen verbessert werden.

Brennbare Bambusgerüste und Abdecknetze

Doch offensichtlich wurden bei den Arbeiten elementare Sicherheitsstandards verletzt. So berichteten einige Anwohner, dass Bauarbeiter auf den Gerüsten geraucht hätten. In den sozialen Medien wurden Fotos verbreitet, auf denen ausgedrückte Zigaretten zwischen den Bambusrohren zu sehen sind.

Dass Bambusrohre in Hongkong weiterhin für Gerüste verwendet werden, hat auch mit einer einflussreichen Lobby zu tun. Die Gesetze sehen zudem vor, dass insbesondere bei größeren Gerüsten das Material mit feuerhemmenden Netzen abgedeckt sein muss. Nach ersten Erkenntnissen hat eine Baufirma möglicherweise fahrlässig gegen diese Sicherheitsstandards verstoßen.

Dafür spricht auch, dass bereits drei Personen von den Behörden in Untersuchungshaft genommen wurden, darunter zwei Geschäftsführer und ein Ingenieur einer verantwortlichen Baufirma. Ebenso ist unklar, warum einige Fenster der Wohnanlage mit Styropormaterial abgedeckt worden sind. Selbst eine absichtliche Brandstiftung kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Der Brand erinnert auf erschreckende Weise an die Tragödie rund um den 24-stöckigen Grenfell Tower in London, als im Jahr 2017 ebenfalls eine leicht entflammbare Außenverkleidung dafür sorgte, dass sich die Flammen in Windeseile von Stockwerk zu Stockwerk ausbreiten konnten. Damals starben 72 Menschen.

Bis zum Donnerstagnachmittag Ortszeit waren die Löscharbeiten in Hongkong noch nicht vollständig abgeschlossen. Tatsächlich sind Brände in Hochhäusern extrem herausfordernd, weil die Feuerwehr oft gezwungen ist, die Flammen vom Inneren des Gebäudes zu bekämpfen. Die Leitern der Einsatzkräfte in Hongkong reichen nämlich nur bis zur Mitte der betroffenen Wohntürme, in den oberen Stockwerken brennt es noch.

Fragen und Skepsis in den sozialen Medien

In Chinas sozialen Medien fragten Internetnutzer verdutzt, warum die südchinesische Sonderverwaltungszone Hongkong nicht nach Unterstützung vom Festland angefragt habe. Denn die benachbarte Metropole Shenzhen verfügt über ein ultramodernes, über drei Millionen Dollar teures Löschfahrzeug, das mit einer Feuerwehrleiter mit einer Höhe von bis zu 100 Metern ausgestattet ist – doppelt so hoch wie die lokalen Fahrzeuge.

Der Wang Fuk Court im nordöstlichen Stadtteil Tai Po befindet sich in geografischer Nähe zu Shenzhen. Die Anlage wurde als Wohnbauprogramm unter dem sogenannten „Home Ownership Scheme“ entwickelt, das Familien mit niedrigerem Einkommen Eigentumswohnungen ermöglichen soll. Dementsprechend ist der Brand auch politisch heikel, schließlich werden die Wohnbauprogramme von der Hongkonger „Housing Authority“ (HA) verwaltet.

„Es ist traurig zu sehen, dass die Medien nicht gründlich genug recherchieren … und die Gründe einfach darauf reduzieren, dass es an Bambusgerüsten liegt“, kommentiert ein Hongkonger, der mittlerweile in Großbritannien lebt, im Online-Forum Reddit.

Tatsächlich gibt es unter Hongkongern in den sozialen Medien eine auffallend große Skepsis gegenüber der Aufklärungsarbeit der Behörden sowie der Medien. Das Vertrauen ist merklich geschwunden, nachdem in den letzten Jahren viele unabhängige Verlage aufgrund des politischen Drucks aus Peking schließen mussten.

Die Befürchtung ist, dass sich Hongkong auch bei nur indirekt politischen Themen immer stärker an chinesische Verhältnisse angleicht: In der Volksrepublik China ist es längst üblich, dass auch über Naturkatastrophen, Brände oder größere Unfälle nicht unabhängig berichtet werden darf, sondern nur die offiziellen Aussendungen der Behörden verwendet werden dürfen. Offensichtlich ermöglicht dies der Parteiführung, Fehlverhalten der Lokalregierung oder Korruption staatlicher Akteure vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.

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