Innenministerkonferenz: Leichter länger in die Haft
Niedersachsens Innenministerin will Ausreisepflichtigen leichter die Freiheit nehmen – und zwar, ohne dass sie zuvor einen Richter gesehen haben.
In dieser Woche treffen sich die Innenminister der Länder in Bremen. Neben einem härteren Vorgehen gegen Pyrotechnik im Stadion und einem Aus für neue Cannabisclubs soll es einmal mehr um Verschärfungen für Asylbewerber*innen gehen. Ein Antrag aus Niedersachsen fordert, dass fortan ausreisepflichtige Personen leichter festgehalten werden können – und zwar, ohne dass sie zuvor einen Richter gesehen haben.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen reagiert scharf auf den Vorstoß: Von „Haft auf Vorrat“ ist die Rede – und die sei grundrechtswidrig. „Abschiebungshaft darf nur nach persönlicher Anhörung angeordnet werden“, schreibt der Flüchtlingsrat. Die Rechtsprechung sei eindeutig: „Haftbeschlüsse gegen abwesende Menschen sind unzulässig, weil jede Haftanordnung einen massiven Eingriff in die Freiheitsrechte darstellt“, heißt es in einer Mitteilung. Menschen müssten die Chance bekommen, sich zu verteidigen.
Ganz so eindeutig ist die Rechtslage möglicherweise nicht: Im Strafrecht gibt es schon jetzt die Möglichkeit, bei einem dringenden Tatverdacht auch in Abwesenheit einen Haftbefehl zu verhängen. Darauf verweist auch der Antrag aus dem Ressort von Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
Hintergrund für den aktuellen Vorstoß ist nun laut Innenbehörde der Fall der 16-jährigen Liana K., die im August in Friedland vor einen Zug gestoßen wurde – mutmaßlich von dem ausreisepflichtigen Iraker Muhammad A. Dessen Überstellung nach Litauen scheiterte zuvor mehrfach, immer wieder tauchte er unter. Im Juli hatte die Landesaufnahmebehörde einen Antrag auf Überstellungshaft gestellt. Das Amtsgericht Hannover lehnte ab.
Nach niedersächsischem Wunsch soll die Polizei in Zukunft eine Person auch ohne Haftbeschluss festhalten dürfen. Die Gerichte sollen präventiv über diese Ingewahrsamnahme entscheiden, in Abwesenheit des Gesuchten. Zusätzlich sollen die Bedingungen für Abschiebe- oder Überstellungshaft herabgesenkt werden.
Schlecht gestellter Antrag statt Rechtslücke
Doch tatsächlich scheiterte der Antrag der Landesaufnahmebehörde im Juli gar nicht an der Abwesenheit von A.: Der saß nämlich zum Zeitpunkt des Antrags mit einer Ersatzfreiheitsstrafe für 20 Tage in der JVA Hannover. Die Ausländerbehörde beantragte für die Zeit danach eine Überstellungshaft beim Amtsgericht – die Haft hätten sie aber mit einer Fluchtgefahr von A. begründen müssen. Und diese Fluchtgefahr belegte die Behörde laut Amtsgericht nicht, auch nicht auf Nachfrage. Muhammad A. wurde deshalb nach Absitzen seiner Ersatzfreiheitsstrafe freigelassen.
Nicht eine Rechtslücke war also verantwortlich für die gescheiterte Überstellung nach Litauen – sondern ein schlecht gestellter Antrag. Das freilich, sagt ein Sprecher des Amtsgerichts Hannover, sei ein Problem, das in der Praxis immer wieder auftrete: Nicht jede Ausländerbehörde hat regelmäßig mit Haftprüfungsanträgen zu tun. Gerade zu schlecht besetzten Randzeiten, zum Beispiel am Wochenende, gibt es wenige Mitarbeiter*innen, die sich auskennen.
Dabei muss es in solchen Situationen schnell gehen, meist viel schneller als im Juli in Hannover: Nach aktueller Rechtslage darf die Polizei die gesuchte Person nur kurz festhalten – innerhalb von maximal 48, eher aber 24 Stunden, muss ein ordentlicher Haftbeschluss eingeholt werden; der Richter muss die Betroffenen dafür sofort anhören. Eigentlich bräuchten dafür sowohl die Ausländerbehörden als auch die Amtsgerichte ständige fachlich geschulte Notbereitschaften.
Präventiver Antrag auf Haft verschafft Zeit
Würde die Ingewahrsamnahme dagegen schon präventiv beantragt, könnten Behörde und Gerichte in aller Ruhe Anträge bearbeiten. Man würde, so das Innenressort, „eine rechtssichere Grundlage für Situationen schaffen, in denen eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung in Aufgriffsfällen nicht zeitnah möglich ist.“
Das ist praktisch für die Behörden – geht aber auf Kosten der Grundrechte und des Rechtsschutzes der Geflüchteten. Der Flüchtlingsrat geht deshalb davon aus, dass eine Neuregelung juristisch nicht gut begründet werden kann: „Ich sehe hier überhaupt keine Regelungslücke“, sagt Referent Muzaffer Öztürkyilmaz. „Die Behörden können gesuchte Personen ja bereits festhalten, nur eben nicht so lange, wie sie sich das wünschen.“
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
Die Behörde wiegelt ab: Das Gesetz solle ja nicht auf alle Ausreisepflichtigen angewandt werden, sondern nur in Fällen, in denen Menschen mehrfach bewusst untergetaucht seien und andere Mittel versagt hätten. Und: Die Anhörung vor Gericht solle ja auch weiterhin „unverzüglich“ nachgeholt werden.
Genau definiert ist dieses „unverzüglich“ im Antrag noch nicht. „Über die Details muss dann ja erst entschieden werden“, erklärt die Sprecherin. Das Gesetz, das vom niedersächsischen Innenministerium als Referenz herangezogen wird, § 427 FamFG, sieht aber eine „vorläufige Freiheitsentziehung“ von maximal sechs Wochen vor – weit länger also als die 48 Stunden, die heute als letzte Grenze für das Festhalten ohne richterliche Anhörung gelten.
Wenn der Richter dann irgendwann bei der Anhörung feststellt, dass die Haft zu Unrecht verhängt wurde, haben die Betroffenen schon lange Zeit in Unfreiheit gelebt. Das geschehene Unrecht ist größer, je länger es andauert.
Auch andernorts werden weiter Regeln verändert, um Abschiebungen zu erleichtern. In Bremen hat man erst im September das Widerspruchsverfahren im Ausländerrecht abgeschafft: Wer eine Entscheidung der Ausländerbehörden für falsch hält, muss jetzt gleich Klage einreichen. Die Kosten dafür könnten den ein oder anderen abhalten.
Die Streichung des Widerspruchsverfahrens war Teil eines ganzen Pakets an Maßnahmen, mit denen Bremen gegenüber dem Stabilitätsrat in Berlin seine Sparbemühungen beweisen will.
Bremens Behörden sind allerdings selbst nicht sicher, ob der Wegfall von Widersprüchen Geld spart: In einem Schreiben, das offenbar die Innenbehörde an die Justizbehörde geschickt hat und das vom
, rechnet die Innenbehörde in der Folge nämlich mit einem leichten Anstieg der gerichtlichen Verfahren: Etwa 20 Fälle mehr im Jahr würden vor Gericht landen, wenn das Widerspruchsverfahren wegfalle.Dass schon mit der aktuellen Rechtslage Menschen zu Unrecht in Haft kommen, betont Peter Fahlbusch, Rechtsanwalt für Migrationsrecht aus Hannover. Die Hälfte all seiner Mandant*innen seit 2021, insgesamt 1.430 Menschen, sei zwischenzeitlich rechtswidrig inhaftiert worden – im Durchschnitt fast vier Wochen lang.
Anderen Akteuren wiederum geht der Vorschlag aus dem Innenministerium noch gar nicht weit genug: Die CDU Niedersachsen fordert in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sogar eine Fußfessel für Ausreisepflichtige, damit niemand mehr verloren geht auf dem Weg zur möglichen Abschiebung.
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