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Linke DiskussionenKonflikt­vermeidung ist der falsche Weg

Soziale Medien sind Dauerempörung plus Grölerei. Im real social life wird dagegen immer weniger diskutiert. Aus Rücksicht, Vorsicht? Jedenfalls ungut.

Hier war die Stimmung noch prima Foto: Philipp Reiss/plainpicture

G erade als es so richtig interessant wird, sagt mein Gegenüber: „Ist doch egal. Davon müssen wir uns nicht die Stimmung vermiesen lassen!“

Die nächsten Sekunden lächeln wir. Wir schweigen in unsere Gläser, bevor wir das Thema wechseln. Dabei hatte unser Thema gar nicht so viel Vermiesungspotenzial. Die Gefahr für die Stimmung waren unsere unterschiedlichen Meinungen dazu. Uneinigkeit gilt als Stimmungskiller.

Für mich war das nicht immer so. Ich habe viel diskutiert und gestritten. Mit Gleichgesinnten und politischen Gegner*innen. Mal freundlich zugewandt nach Verständigung suchend, mal scherzhaft zugespitzt, mal in wütender Ablehnung.

Inzwischen beobachte ich im eigenen Umfeld eine starke Konfliktvermeidung im direkten Gespräch. Im Netz wird gestritten oder eher gepöbelt. Es geht um: schimpfen oder weiterscrollen? Auf der Straße wird protestiert. Es werden offene Briefe verfasst und Statements abgegeben. Aber inhaltlich diskutiert – im Café oder am Küchentisch, bei gegensätzlichen Positionen?

Politische Uneinigkeit

Ich beobachte die Tendenz, bestimmte Dinge nur mit dazu passenden Personen zu besprechen. Wir sollten überprüfen, wie viel Reibung wir im Dialog noch zulassen. Meide ich beim Kaffee mit Freundin A Thema X und bespreche es lieber beim Bier mit Freundin B, weil mir klar ist, dass B und ich uns da einig sind?

Wenn ein Umfeld politische Uneinigkeit nicht zulassen kann, bedeutet das auch, dass alle Sorge haben müssen, ausgeladen zu werden, wenn sie einen Standpunkt offen aussprechen, der die Harmonie gefährden könnte. Und dass Menschen sich nicht mehr verabreden, weil sie den Konflikt scheuen. Es gibt viele Gründe für Einsamkeit. Vermeidung von inhaltlichen Auseinandersetzungen sollte keiner sein.

Geht es um Diskriminierung und gesellschaftliche Machtstrukturen, ist ein häufiges Argument gegen Diskussionen, dass diese für Betroffene härter ist als für nicht Betroffene. Dass es ermüdend bis retraumatisierend ist, beispielsweise über Rassismus, Antisemitismus, Ableismus oder Queerfeindlichkeit zu sprechen. Doch unsere Bewegungen fanden Gehör, weil Betroffene für sich selbst argumentiert, gestritten und gekämpft haben. Niemand sollte sich erklären müssen.

Nicht für den eigenen Lebensentwurf oder gar die eigene Identität. Aber wir sollten doch erklären können, warum uns etwas wichtig ist und innerhalb und außerhalb unserer Communitys darüber streiten, welcher Weg der richtige sein könnte, diese Missstände zu beheben. Immer kleinteiligere Safespace-Momente zu bauen, bringt uns nicht weiter. Langfristig führt es zu Spaltungen. Und wir verlernen nicht nur den Perspektivwechsel, sondern auch das Argumentieren, verlieren theoretische Grundlagen und bleiben rhetorisch untrainiert.

Lasst Konflikte zu. Debattiert mit Freun­d*in­nen und Geg­ne­r*in­nen und lasst uns das Gespräch nicht abbrechen, wenn es interessant werden könnte. Traut euch, zu widersprechen und haltet Widerspruch aus.

Zum Reden gehört auch Zuhören. Wir sollten nicht nur andere überzeugen, sondern uns auch mal überzeugen lassen. Vielleicht besteht die Angst nicht darin, andere Meinungen nicht aushalten zu können, sondern, dass eigene Gewissheiten hinterfragt werden und wir ein wenig Erschütterung in unseren Überzeugungen zulassen müssen.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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