Ergebnis des Koalitionsausschusses: Eine Frage des Vertrauens
Das Rentenpaket soll so kommen, wie im Kabinett beschlossen. Einige Zugeständnisse an die Jungen in der Union gibt es. Aber reichen ihnen diese?
Es ist kurz nach acht am Freitagmorgen, als Johannes Winkel in der vierten Etage des Reichstags in den Fraktionssaal von CDU und CSU geht. Müde und blass sieht er aus, die Mundwinkel hängen ein wenig nach unten. Winkel, der nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern auch Chef der Jungen Union ist, schaut starr geradeaus. Kein Blick, kein Wort zu den wartenden Journalist*innen. Wie einer, der sich als Gewinner fühlt, sieht er nicht aus.
Winkel weiß zu diesem Zeitpunkt schon, worauf sich der Koalitionsausschuss von Union und SPD in der vergangenen Nacht geeinigt hat, gut anderthalb Stunden später werden Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Koalitionspartner dies in einer Pressekonferenz verkünden. Merz selbst ist, gemeinsam mit seinem Kanzleramtsminister Thorsten Frei und Fraktionschef Jens Spahn, bereits um sieben Uhr im Bundestag mit den jungen Abgeordneten zusammengekommen, um sie über die Ergebnisse zu informieren – und sie davon zu überzeugen, ihren Widerstand gegen das schwarz-rote Rentenpaket aufzugeben.
Dass die CDU dafür an diesem frühen Freitagmorgen ihre gesamte Spitze aufbietet, zeigt: Es geht hier inzwischen um weit mehr als die Rente. Die Zukunft der schwarz-roten Koalition steht auf dem Spiel. Und damit auch Merz' Kanzlerschaft.
Die Jungen Unionsabgeordneten im Bundestag haben gefordert, dass das Rentenpaket noch einmal aufgeschnürt und ein Satz aus dem Gesetzentwurf von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas gestrichen wird: „Auch 2031 liegt das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht.“
Das geht ihrer Ansicht nach über den Koalitionsvertrag hinaus und verursacht bis 2040 Mehrkosten von bis zu 120 Milliarden Euro. Die jungen Abgeordneten haben sich festgelegt, sehr fest sogar, und vielfach wiederholt: So könnten sie dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ihre Stimmen werden aber gebraucht, sonst hat Schwarz-Rot im Bundestag keine eigene Mehrheit.
Rentenpaket bleibt – Reformkommission folgt
„Es war der Wunsch der Sozialdemokraten, dass wir diesen Gesetzentwurf nicht noch einmal ändern“, sagt Merz später am Freitagvormittag bei der Pressekonferenz im Kanzleramt. „Darauf haben wir uns noch gestern verständigt.“ Das Rentenniveau soll also bis 2031 bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens stabilisiert werden. Auch der zusätzliche Satz bleibt, den die Jungen unbedingt streichen wollten.
Parallel zu dem Gesetzentwurf wollen die Koalitionsfraktionen aber „einen sehr ausführlichen Entschließungsantrag vorlegen“, der „im umfassenden Sinne“ die Grundzüge einer großen Rentenreform formulieren soll, so Merz.
Eine Rentenkommission werde noch in diesem Jahr eingesetzt und bis spätestens Juni 2026 Vorschläge vorlegen. Die politische Umsetzung soll schnell folgen. „Das wird eine große Anstrengung für uns, aber wir wollen sie leisten, weil wir wissen, dass wir hier einen Reformstau auflösen müssen“, sagt der Kanzler. Und: „Wir sind entschlossen, das auch zu lösen.“
Die Rentenkommission sei „keine Laberrunde“, betont auch SPD-Chef Lars Klingbeil, der links von Merz sitzt. Und Markus Söder, der CSU-Vorsitzende an Merz' rechter Seite, sagt, die Kommission sei „kein Feigenblatt“. Beide wollen wohl deutlich machen, dass es auch ihnen mit Strukturreformen bei der Rente ernst ist. Die Frage für die jungen Abgeordneten ist nur: Können sie sich auf solche Zusagen wirklich verlassen?
Keine Zusage, nur eine Empfehlung
Helfen soll ein begleitender, sogenannter Entschließungsantrag, der gemeinsam mit dem Rentenpaket verabschiedet werden soll und die Bedenken der Jungen berücksichtigt. Im Entwurf stehen nicht nur die Rentenkommission und deren Zeitplan, es werden auch zahlreiche Punkte formuliert, die diese prüfen soll. Unter anderem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und eine Weiterentwicklung des Nachhaltigkeitsfaktors nach 2031, der mit Blick auf die demografische Entwicklung den Rentenanstieg drosselt.
Geprüft werden soll auch, ob sich die Renten weiter an der Lohnentwicklung orientieren oder an die Inflation gekoppelt werden sollen. Und die Kommissionsmitglieder sollen auch die Einführung eines „Nachholfaktors“ abwägen, für den sich die jungen Abgeordneten starkgemacht haben. Der würde den Anstieg der gesetzlichen Renten ebenfalls dämpfen.
All das sind Anliegen der Jungen Gruppe. Anliegen der SPD stehen aber ebenfalls im Antrag, etwa der Auftrag an die Kommission zu prüfen, „wie ein stabiles Rentenniveau dauerhaft finanziert werden kann“.
Hinzu kommt: Ein Entschließungsantrag spricht eine Empfehlung an die Bundesregierung aus, eine verbindliche Zusage, wie sie die Junge Gruppe gefordert hatte, ist das nicht. Aber ein Zugeständnis, welches die Junge Gruppe nun nutzen könnte.
„Das ist eine sehr, sehr gute Brücke“, beurteilt Dagmar Schmidt, Vizefraktionschefin der SPD, die Beschlüsse des Koalitionsausschusses zur Rente gegenüber der taz. Sie betont aber auch, eine Vorfestlegung sei das nicht. „Beim Nachholfaktor handelt es sich lediglich um einen Prüfauftrag, der neben anderen in der Kommission diskutiert wird.“
Unionsspitze erhöht den Druck
In der Fraktionssitzung der Union, so ist zu hören, hätten Merz, Söder und Spahn noch einmal um die Zustimmung der Abgeordneten geworben. Spahn habe gesagt, aus jeder Debatte müsse eine Entscheidung folgen. An diesem Punkt sei man nun beim Rentenpaket. Es gehe nicht nur um eine Sachfrage, es gehe jetzt auch um die Regierungsfähigkeit der Union. Die Unionsspitze hat den Druck auf die jungen Abgeordneten inzwischen merklich verstärkt, einige haben sich darüber via Bild beschwert.
„Werden Sie nun zustimmen?“, wird Johannes Winkel von den wartenden Journalist*innen bestürmt, als er nach der Unionsfraktionssitzung vor dem Fahrstuhl steht. „Ich werde mich jetzt nicht äußern“, sagt er, Körper und Gesicht starr auf die geschlossene Fahrstuhltür gerichtet. „Ich gehe ins Plenum, wo die Debatte hingehört.“
Etwas gesprächiger ist Bildungsministerin Karin Prien, die auch an der Fraktionssitzung teilgenommen hat. Letztlich sei das Ganze eine Vertrauensfrage, sagt Prien, also ob man sich auf die Absprachen in der Koalition verlassen könne.
Die endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen will die Union in ihrer Fraktionssitzung in der kommenden Woche fällen. Merz sagt im Kanzleramt: „Ich rechne mit Zustimmung.“ Er sei für weitere Gespräche mit der Jungen Gruppe über das Wochenende offen, aber die Argumente seien ausgetauscht. Der Kanzler betont „großen Respekt für deren Engagement, auch großen Respekt für die Argumente“. Die Reformdiskussion solle nun „mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, aber auch mit der gebotenen Geschlossenheit“ vonstattengehen.
Später am Vormittag steht Winkel am Redepult des Bundestags, er ist der letzte Redner in der Debatte zum Haushalt des Arbeitsministeriums, wo auch die Rente angesiedelt ist. „Lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass wir Generationengerechtigkeit auch bei den Staatsfinanzen stärker berücksichtigen“, sagt er – und bleibt allgemein. Kein Wort zum aktuellen Rentenpaket, kein Hinweis darauf, wie sich die Junge Gruppe bei der Abstimmung verhalten wird.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Junge Union am Ende wirklich gegen den Kanzler stellt. Aber wie lange sie beim Thema Rente bislang stehen blieb, hat auch kaum jemand erwartet. Ein paar Tage Bedenkzeit bleiben den jungen Abgeordneten noch. Am Dienstag um 15 Uhr kommt die Unionsfraktion zu ihrer nächsten Sitzung zusammen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert