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Ein Jahr nach Assads SturzKeine Normalisierung der Syrien-Israel-Beziehungen

Israel greift ständig im Süden Syriens ein und hat das von ihm besetzte Gebiet erweitert. Ein Abkommen zwischen beiden Ländern scheint vom Tisch.

Israelische Luftangriffe erschüttern Damaskus, Syrien am 16. Juli 2025 Foto: Khalil Ashawi/reuters
Julia Neumann

Aus Beirut

Julia Neumann

Israelisches Militär dringt weiter völkerrechtswidrig in Syriens Süden ein. Seit dem Sturz des Assad-Regimes durch Rebellen vor einem Jahr nutzen israelische Soldaten die poröse Sicherheitslage an der Grenze, um vorzurücken und anzugreifen. Die UN-Truppen, die in einer Pufferzone patroullieren, können nur zuschauen.

So eskalierte die Situation am vergangenen Freitag wieder einmal: Israelische Soldaten marschierten in das Dorf Beit Dschinn ein, es folgten Luftangriffe. Der Ort liegt südwestlich von Damaskus nahe der von Israel besetzten Golanhöhen.

Israelische Soldaten wollten in dem Dorf syrische Männer festnehmen, meldete Syriens staatliche Nachrichtenagentur SANA. Firas Daher wohnt in Beit Dschinn und hat den Einmarsch gegenüber AP geschildert. Die israelischen Truppen seien gegen drei Uhr nachts gekommen. Die Dorfbewohner hätten mit „leichten Waffen“ Widerstand geleistet. Die Israelis hätten mit Drohnen und Hubschraubern sowie mit Schüssen aus schweren Maschinengewehren reagiert. Laut Syriens Außenministerium wurden 20 Menschen getötet, darunter Frauen und Kinder.

Alle seien Zivilist*innen, sagte der lokale Behördenvertreter Walid Okasha gegenüber AP. Ein Getöteter habe am Vortag seine Hochzeit gefeiert. Ein Elternpaar, ihre zwei Kinder und deren Onkel seien unter den Opfern. „Die Situation ist schrecklich“, so Okasha. Firas Daher sagt: „Jedes Mal, wenn sich jemand im Dorf bewegte oder ein Auto fuhr, wurde es getroffen. Als wir versuchten, Verletzte ins Krankenhaus zu bringen, beschossen sie das Auto, in dem sie transportiert wurden.“

„Inakzeptable Verletzung der Souveränität“

Vor dem UN-Sicherheitsrat am Freitag verurteilte die stellvertretende UN-Sondergesandte für Syrien, Najat Rochdi, den Einmarsch. „Diese Aktionen stellen eine schwere und inakzeptable Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Syriens dar.“ Rochdi bekräftigte das UN-Engagement für die territoriale Integrität Syriens – ohne konkrete Maßnahmen zu benennen.

Nach dem Sturz des Assad-Regimes um den 8. Dezember 2024 nutzte Israel die chaotische Sicherheitslage des Umschwungs, um in Syrien massenhaft zu bombardieren und syrische Militäreinrichtungen zu zerstören, sowie um völkerrechtswidrig ins entmilitarisierte Gebiet auf den Golanhöhen einzudringen. Dort trennt eigentlich eine UN-Pufferzone den seit 1973 israelisch besetzten Teil der Golanhöhen vom Staatsgebiet unter syrischer Kontrolle.

Israel darf diese Zone laut Abkommen aus dem Jahr 1974 nicht betreten Satellitenbilder zeigen jetzt aber, dass Israel mit Soldaten, Baggern und Panzern im entmilitarisiertren Gebiet Gräben gegraben, Straßen, Gebäude und sogar Kontrollpunkte gebaut haben. Im Dorf Quineitra in der Pufferzone sind seitdem syrische Truppen stationiert.

Israelische Soldaten haben auch Bäume ausgerissen, Häuser zerstört und mit Graffiti beschmiert. Sie hätten „Bewohner von ihrem Eigentum und ihrer Lebensgrundlage abgeschnitten, sowie willkürlich festgenommen und nach Israel überführt“, berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im September. und sprach von „Kriegsverbrechen“.

Syriens Regierung lässt Israel gewähren

Syrien werde nicht militärisch reagieren, sagte der syrische UN-Vertreter Ibrahim Olabi. Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa, dessen Rebellen vor einem Jahr Assad bezwangen, hält die Füße still. Er will die anlaufenden guten Beziehungen zu den USA und damit einhergehende Investitionen nicht gefährden. Scharaa ist der erste syrische Präsident überhaupt, der im Weißen Haus zu Besuch gewesen ist.

Zudem ist die Syriens neue Armee keine einheitliche Truppe. Sie kann und will die Menschen im Grenzgebiet nicht verteidigen. Versuche, stattdessen türkische oder russische Soldaten zu stationieren, scheiterten an Israel.

Syrien und Israel sind seit 1948 technisch gesehen im Kriegszustand. Im Juli gab es positive Signale: Die beiden Länder sprechen unter saudischer Vermittlung über eine Normalisierung, meldeten israelische Medien. Doch die Verhandlungen scheiterten. Israels Außenminister Gideon Saar erklärte, sein Land werde auf der fortdauernden Besetzung der Golanhöhen bestehen. Seitdem ist die israelische Armee noch tiefer in den Golan vorgedrungen.

„Israel strebt keinen Frieden mit Syrien an“, soll Außenminister Israel Katz Medienberichten zufolge am Mittwoch während einer Sitzung des israelischen Verteidigungsauschusses klargestellt haben. Das Friedensabkommen scheint vom Tisch.

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