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Rechtsextreme in den NiederlandenIn der Scheinidylle

Das niederländische Städtchen Lisse ist bekannt für seine bunten Blumenfelder. Nun wird der Bürgermeister wegen einer Asylunterkunft bedroht.

Lisse, normalerweise bekannt für seine Blumenfelder Foto: Anadolu Agency/imago

D ie Drohung war von keinerlei Orthografie gebremst: „Linker Homo brauchst du eine Kugel durch deinen Scheiß-Kopf“ – durch diese Worte auf Social Media gelangte das winzige Städtchen Lisse diese Woche in die Schlagzeilen. Adressiert waren sie an Jasper Nieuwenhuizen, den Bürgermeister der Gemeinde, die zwischen Amsterdam und Den Haag inmitten von Blumenfeldern liegt. Er ist übrigens mit einer Frau verheiratet und gehört der liberal-rechten Partei VVD an.

Was ihm die Morddrohung einbrachte, die er kürzlich im Fernsehen öffentlich machte: In Lisse soll eine Asylunterkunft entstehen. Und Nieuwenhuizen wird von deren Geg­ne­r*in­nen als dafür verantwortlich gesehen. Am Montag erstattete der Bürgermeister, der sich um die Sicherheit seiner Familie sorgt, Anzeige.

Ende November war er in einer Sitzung des Stadtrats von Mitgliedern der rechtsextremen Gruppe Defend Netherlands hart angegangen worden. Kurz zuvor hatte Nieuwenhuizen während einer weiteren Sitzung zum Thema den Vorplatz des Rathauses räumen lassen, wo De­mons­tran­t*in­nen Feuerwerkskörper warfen. Sie trugen die bei Protesten gegen Asylunterkünfte üblichen Landesflaggen und auch die in rechtsextremen Kreisen beliebten Schilder mit der Losung „AZC, weg ermee!“ – „Asylsucher*innen-Zentrum, weg damit!“

An einem milden Dezembermittag Mitte der Woche ist es wieder ruhig in Lisse. Fahr­rad­fah­re­r*in­nen radeln über die rot geklinkerten Straßen im Zentrum. Eltern holen ihren Nachwuchs von der Grundschule ab, die Kleinen tragen fröhlich die traditionellen Sinterklaas-Überraschungen nach Hause. Auf einem Baugerüst singt ein Bauarbeiter zu den Klängen aus seinem Radio: „Hoe heet dat liedje met dat ene melodietje?“ – „Wie heißt das Liedchen mit diesem einen Melodiechen?“

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Befeuert von Geert Wilders

Ein solches eingängiges Melodiechen erklingt seit Jahren von der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV). Die überall im Land aufkommenden Proteste gegen die AZC befeuert sie systematisch. Ihr Frontmann Geert Wilders versprach kürzlich der Bevölkerung, er werde „nicht ruhen“, bis alle Asylunterkünfte geschlossen seien. Derzeit betreibt die PVV einen „Online-Meldepunkt“, an dem Bür­ge­r*in­nen ihre Sorgen äußern oder melden können, dass ihre Kommune ein AZC plant – wozu diese übrigens durch ein Gesetz über die Verteilung von Asyl­be­wer­be­r*in­nen im Land verpflichtet.

In Lisse sehen viele die Situation so wie das junge Paar, das an diesem Mittag durch die Einkaufsstraße schlendert. „Wenn man uns fragt, wollen wir sie hier lieber nicht. Aber eine Morddrohung ist nicht in Ordnung.“ Ein 79-jähriger, der sich um die Sicherheit seiner Enkel sorgt und seinen Namen lieber für sich behält, wird deutlicher: „Jeder, der ohne Pass hierher kommt, sollte gleich mit dem Flugzeug zurückgebracht werden. Niemand will sie hier haben.“

Was wiederum nicht ganz stimmt. Die jungen Eltern Maren Gedenk und Jasper Bruijns, gerade mit dem Kinderwagen unterwegs, sind richtig erschrocken über die Morddrohung und den Ton der Auseinandersetzung. Wenn es nach Gedenk, einst aus Ostfriesland nach Lisse gezogen, geht, kann hier „gerne ein AZC eröffnet werden“. Bruijns bekäftigt: „Wir stehen auch hinter dem ‚spreidingswet‘“ – dem besagten Gesetz, nach dem Kommunen Asyl­be­wer­be­r*in­nen aufnehmen müssen.

Dass dieses bei so vielen Menschen Wut auslöst, macht auch Minouche Wesselius betroffen. Sie steuert gerade einen Discounter an, hält aber inne, um von ihrer früheren Arbeit bei einer großen Geflüchtetenorganisation zu berichten. Seither habe sich die Debatte stark verhärtet. Tatsächlich ist Jasper Nieuwenhuizen nicht der erste Bürgermeister im Land, der wegen einer geplanten Asylunterkunft bedroht wird. Und eines der populärsten Lieder dieses Jahres ist ein billiger, KI-generierter Gassenhauer mit eingängigem Refrain: „Wir sagen nee, nee, nee zum AZC!“

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