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Verfassungsblog gegen AfDDie Justiz soll resilienter werden

Was tun, bevor es brennt: Ein Projekt des Verfassungsblogs benennt Schlüsselpositionen in der Justiz, die auf keinen Fall in die Hände der AfD geraten sollten.

Verwundbar: Göttin Justitia im Gegenlicht Foto: Arne Dedert/dpa
Christian Rath

Aus Freiburg

Christian Rath

Die Justiz ist verwundbar. Sollte eine autoritär-populistische Partei die Macht übernehmen, wird sie versuchen, die Rechte von Migrant:innen, Andersdenkenden und sexuellen Minderheiten zu beschneiden. Gerichte könnten sich dem unter Verweis auf die Grundrechte entgegenstellen. Deshalb haben autoritäre Po­pu­lis­t:in­nen ein Interesse, Gerichte – insbesondere Verfassungsgerichte – auszuschalten, zu blockieren oder mit Gefolgsleuten zu besetzen.

Genau von diesem Szenario geht das am Dienstag vorgestellte „Justiz-Projekt“ des Verfassungsblogs aus und verweist auf die Erfahrungen aus Ungarn und Polen. Der Verfassungsblog ist eine gemeinnützige Onlinepublikation, gegründet und geführt vom renommierten Juristen und Journalisten Max Steinbeis. Im Rahmen des „Justiz-Projekts“ widmeten sich dabei 14 Ju­ris­t:in­nen spendenfinanziert ein Jahr lang den Gefahren für die Justiz.

Für das Bundesverfassungsgericht wurde – auch auf Betreiben des Verfassungsblogs – Ende 2024 bereits ein Resilienz-Mechanismus geschaffen. Wenn im Bundestag keine Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen mehr gewählt werden können, weil zum Beispiel die AfD mehr als ein Drittel der Sitze innehat und eine Wahl blockiert, kann seither stattdessen der Bundesrat die Wahl vornehmen.

Anders sieht es bei den Landesverfassungsgerichten aus. Hier gibt es bisher keine derartigen Ersatzwahlmechanismen, obwohl auch diese einflussreich sind. So hat der Berliner Verfassungsgerichtshof nach der chaotischen Wahl des Abgeordnetenhauses 2021 eine Wiederholung der ganzen Wahl angeordnet und so einen Regierungswechsel von Rot-Rot-Grün zu Schwarz-Rot ausgelöst.

Zweischneidige Lösungen

In 12 von 16 Bundesländern werden die Landes-Verfassungsrichter:innen mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Auch hier könnte eine starke AfD die Wahlen blockieren. Doch wie könnte in den Ländern ein Ersatzwahlmechanismus aussehen? Das „Justiz-Projekt“ plädiert dafür, dass bei einer blockierten Wahl das Landesverfassungsgericht Kan­di­da­t:in­nen vorschlägt, die dann im Landtag mit einfacher Mehrheit gewählt werden können.

Doch solche institutionellen Lösungen sind immer zweischneidig. Denn sobald die AfD eine Mehrheit im Landtag hat, kann sie Mechanismen, mit denen man Sperrminoritäten aushebelt, für ihre eigenen Zwecke nutzen.

Deshalb hat das „Justiz-Projekt“ zwei Schlüssel-Personalien identifiziert, die auf keinen Fall von einer autoritär-populistischen Partei kontrolliert werden sollten. Zum einen wird die Prä­si­den­t:in des Landesverfassungsgerichts genannt, weil sie das Gericht mit ihrer zentralen organisatorischen Rolle leicht lahmlegen kann.

Unter keinen Umständen sollte der AfD in einer künftigen Koalitionsregierung zudem das Amt der Jus­tiz­mi­nis­te­r:in überlassen werden. Denn obwohl die Justiz unabhängig ist, kann das Ministerium organisatorisch, finanziell und über die IT-Strukturen in vielfacher Weise Einfluss auf die Gerichte nehmen oder ihnen die Arbeit schwer machen.

Sensibilisierung für Gefahren

Das von Anna-Mira Brandau und Friedrich Zillessen geführte „Justiz-Projekt“ arbeitet hier detailreich administrative Einflussmöglichkeiten heraus. Es ist dabei eine Gratwanderung: Einerseits sollen die Szenarien so konkret sein, dass sie Justiz-Insider für die Gefahren sensibilisieren können. Andererseits will man der AfD aber auch keine Gebrauchsanleitung an die Hand geben.

Die nun vorgestellte 339-seitige Publikation „Das Justiz-Projekt – Verwundbarkeit und Resilienz der Dritten Gewalt“ ist kostenlos online verfügbar. Das Anna-Mira Brandau und Friedrich Zillessen geführte „Justiz-Projekt“ selbst ist Nachfolger des „Thüringen-Projekts“, das nur ein Bundesland betraf, dort aber neben der Justiz auch den Schutz anderer Institutionen wie Landtag, Rundfunk und Sicherheitsbehörden in den Blick nahm.

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