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NSU-Opferanwälte vor Zschäpe-Aussage„Wer waren die Helfer des NSU?“

Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe soll im Prozess gegen ihre frühere Freundin aussagen. Opferanwältin Antonia von der Behrens fordert endlich Aufklärung.

Elif Kubaşık, Witwe des ermordeten Mehmet Kubaşık, mit Anwältin Antonia von der Behrens (r.) 2018 in München Foto: Christian Mang
Konrad Litschko

Interview von

Konrad Litschko

taz: Frau von der Behrens, ab Mittwoch wird die NSU-Terroristin Beate Zschäpe im Prozess gegen ihre frühere Freundin Susann Eminger vor dem Oberlandesgericht Dresden als Zeugin aussagen. Wird die Familie Kubaşık, die Sie als Anwältin vertreten und deren Mann und Vater Mehmet Kubaşık vom NSU ermordet wurde, das verfolgen?

Antonia von der Behrens: Ja, die Witwe Elif Kubaşık und die Tochter Gamze Kubaşık sowie weitere Betroffene und Angehörige werden für die Aussage nach Dresden kommen. Sie sind zwar skeptisch, was zu erwarten ist, weil Zschäpe über all die Jahre offenkundig nicht bereit war, ihr Wissen offenzulegen. Aber sie hegen doch die Hoffnung, vielleicht etwas Relevantes zu erfahren.

taz: Und das wäre?

Von der Behrens: Seit der Selbstenttarnung des NSU stellt sich der Familie immer wieder die gleichen Fragen: Welche Netzwerke hatte der NSU? Wer waren die Mitwisser und Helfer an den Tatorten, insbesondere in Dortmund? Hätten die Taten mit dem Wissen der V-Männer und des Verfassungsschutzes verhindert werden können? Gamze und Elif Kubaşık hoffen sehr, dass die Vorsitzende Richterin die entscheidenden Fragen stellen und nicht locker lassen wird.

Im Interview: Antonia von der Behrens

Die Berlinerin ist die Anwältin der Angehörigen von Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU erschossen wurde.

taz: Bisher schob Zschäpe alle NSU-Taten auf ihre toten Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nun gibt sie sich als Aussteigerin. Als Zeugin ist sie zur Wahrheit verpflichtet. Erwarten Sie, dass sie jetzt auspackt?

Von der Behrens: Zschäpe hat im Münchner NSU-Prozess nichts zur Aufklärung beigetragen, sondern sich – sehr unglaubwürdig – als unwissende Hausfrau dargestellt, die immer erst im Nachhinein von den Morden erfahren haben will. Und sie versuchte stets, sich selbst, die weiteren Angeklagten und das Netzwerk des NSU zu schützen. Ihre Schutzbehauptungen wurden aber schon während des Prozesses widerlegt. Dafür, dass sie sich jetzt grundlegend anders verhält, gibt es keine Hinweise. Sie erhofft sich Vorteile für das Strafvollstreckungsverfahren. Deshalb hat Zschäpe in den vergangenen zwei Jahren einiges darangesetzt zu behaupten, sie habe sich gewandelt und sei jetzt Aussteigerin.

taz: Sie nehmen ihr das nicht ab?

Von der Behrens: Nein. Zschäpe dürfte es nur darum gehen, ihre Haft so sehr wie möglich zu verkürzen.

taz: Welche konkreten Fragen zum NSU müsste Zschäpe beantworten, um wirklich zur Aufklärung beizutragen?

Von der Behrens: Die Nebenklage hatte Zschäpe im NSU-Verfahren über 300 Fragen gestellt, die sie alle nicht beantwortet hat. Jetzt wäre die Gelegenheit, ihr diese wieder zu stellen. Beispielsweise ist unklar, wem die Kinderschuhe eines kleinen Mädchens und weitere Kindersachen gehörten, die in dem Wohnmobil gefunden wurden, mit dem Mundlos und Böhnhardt ihren letzten Überfall begangen haben. Die Eltern des Kindes müssen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sehr nahe gestanden haben. Diese Personen sind bis heute nicht identifiziert, obwohl sich DNA auf dem Schuh befand. Oder die offene Frage der Waffen.

taz: Bis heute ist bei 18 von 20 beim NSU gefundenen Waffen nicht geklärt, woher sie kamen.

Von der Behrens: Und das kann doch nicht sein. Genauso wie die ungeklärte Frage, wer den unfrankierten Umschlag mit der Bekenner-CD des NSU in den Briefkasten der Nürnberger Nachrichten geworfen hat. Oder wo sich Zschäpe auf ihrer Flucht nach dem NSU-Auffliegen, zwischen dem 4. und 8. November 2011, aufgehalten hat, bevor sie sich der Polizei gestellt hat. Welche Personen hatte sie da zu welchen Zwecken aufgesucht? Wen hat sie gewarnt oder wem hat sie Geld gegeben?

taz: Die Welt berichtete gerade von einem Brief der ehemaligen Anwälte von Zschäpe – Anja Sturm, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl – an ihren damals neuen Anwalt Mathias Grasel aus dem Jahr 2015, in der sie schreiben, dass einige NSU-Taten von anderen Tätern als Mundlos und Böhnhardt begangen wurden. Ist das plausibel?

Von der Behrens: Dieser Brief war in der Nebenklage nicht bekannt. Wer diesen Brief mit welchem Interesse durchgestochen hat, wissen wir nicht. Aber ja, die Existenz weiterer Mittäter und Unterstützer ist plausibel. Wir haben das immer gesagt, und auch die Opferfamilien sind davon überzeugt. Die Bundesanwaltschaft beharrt dagegen bis heute auf einer Dreierzelle, die so abgeschottet war, dass selbst das engste Umfeld keine Kenntnis von den Morden und Anschlägen gehabt haben soll – und damit auch die Sicherheitsbehörden nichts von der Existenz des NSU wussten.

Offenkundig hat die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran, das Netzwerk weiter zu erhellen, denn damit würde ihre These, der NSU habe nur aus drei Mitgliedern bestanden und vielleicht noch einem vierten, nämlich André Eminger, widerlegt werden

Opferanwältin Antonia von der Behrens

Und das Urteil im Münchner NSU-Prozess hat das dann festgeschrieben. Aber alle Erkenntnisse aus den Untersuchungsausschüssen und auch aus der Beweisaufnahme im Prozess sprechen für wissende Helfer oder sogar Mittäter, auch an den Tatorten.

taz: Wer könnten diese anderen Helfer und Mittäter sein?

Von der Behrens: Fragen stellen sich zum Beispiel zu André Eminger, dem Ehemann der nun in Dresden Angeklagten Susann Eminger. Zwar ist er freigesprochen worden, an dem Anschlag auf die Familie eines Lebensmittelladens in der Kölner Probsteigasse beteiligt gewesen zu sein, aber aufgeklärt ist das nicht. Auch die Rolle des früheren Szenefreunds Thomas G. ist bisher noch völlig unklar und nicht aufgeklärt. Ebenso die des V-Manns Ralf Marschner, der in Zwickau, wo Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untergetaucht waren, allgegenwärtig war.

Es gibt Hinweise, dass Mundlos in Marschners Bauservice arbeitete, und es gibt zeitliche Überschneidungen, die es möglich erscheinen lassen, dass für die Taten des NSU von Marschner geliehene Autos genutzt wurden. Auffällig ist jedenfalls, dass die meisten Morde und Anschläge des NSU in Städten mit einer starken rechten Szene stattfanden und es zum Teil Ausspähnotizen gibt, die darauf hindeuten, dass weitere Personen involviert waren.

taz: Die Familie Kubaşık geht auch von Unterstützern des NSU-Trios in Dortmund aus, wo Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 vom NSU ermordet wurde.

Von der Behrens: Sowohl in Dortmund als auch in Kassel, wo nur zwei Tage später Halit Yozgat vom NSU ermordet wurde, gab und gibt es eine sehr starke, rechtsterroristische und gut vernetzte Naziszene. Ein enger Vertrauter von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, Thomas Starke, ist schon 1998 für einige Monate nach Dortmund gezogen und äußerte sich rassistisch über die Bewohner der Stadt. Mehmet Kubaşık wurde in der Nordstadt von Dortmund ermordet. Dieser Stadtteil ist einerseits sehr migrantisch geprägt, andererseits lebten dort bekannte Dortmunder Neonazis wie Siegfried Borchert. In der Frühlingsstraße in Zwickau, der letzten Wohnung des NSU, wurde eine Patronenschachtel mit der Aufschrift „SS-Siggi“ gefunden – dem Spitznamen von Borchert.

Der Terror des NSU

Die Taten: 1998 tauchten die Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Thüringen ab, als bei ihnen Rohrbomben gefunden wurden. In den Folgejahren ermordeten sie neun migrantische Gewerbetreibende – Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat – und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Zudem verübten sie 3 Anschläge mit Dutzenden Verletzten sowie 15 Raubüberfälle. Erst am 4. November 2011 flog die Terrorgruppe auf: Als sich Mundlos und Böhnhardt nach einem missglückten Bankraub erschossen und Zschäpe Bekennervideos des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verschickte.

Die Aufarbeitung: Im Juli 2018, nach 5 Jahren Verhandlung, verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslängliche Haftstrafe für Zschäpe. Vier mitangeklagte NSU-Helfer wurden zu Haftstrafen von 2,5 bis 10 Jahren verurteilt. Mehrere Untersuchungsausschüsse attestierten Ermittlern und dem Verfassungsschutz folgenschwere Fehler im Umgang mit dem NSU-Terror. Auch vermuten sie ein Helfernetzwerk, das bisher nicht vollständig ermittelt wurde.

Der zweite Prozess: Anfang November 2025 begann vor dem Oberlandesgericht Dresden ein zweiter NSU-Prozess – gegen die engste Vertraute von Zschäpe im Untergrund, Susann Eminger. Ihr wird vorgeworfen, Zschäpe Papiere überlassen und damit ihre Tarnung aufrecht erhalten zu haben. KO

taz: Die Bundesanwaltschaft sagt, es hätten sich nie konkrete Beweise für weitere Unterstützer finden lassen.

Von der Behrens: Ja, das sagt sie. Aber es wurde auch nie wirklich zu Unterstützern in den lokalen Szenen an den Tatorten ermittelt. Das ist eines der Hauptprobleme des NSU-Komplexes. Offenkundig hat die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran, das Netzwerk weiter zu erhellen, denn damit würde ihre These, der NSU habe nur aus drei Mitgliedern bestanden und vielleicht noch einem vierten, nämlich André Eminger, widerlegt werden.

Mit aller Macht hält die Bundesanwaltschaft bisher an dieser Auffassung fest und tut alle anderslautenden Hinweise als „Fliegengesumme“ ab. Diese Haltung ist konsequent, denn wenn es ein wissendes Netzwerk gab, dann müssen auch V-Leute und damit der Verfassungsschutz weiteres Wissen gehabt haben. Es bleibt also spannend, wie intensiv Zschäpe von den Vertretern des Generalbundesanwalts befragt werden wird.

taz: Die Bundesanwaltschaft hat inzwischen alle Verfahren gegen NSU-Helfer eingestellt – bis auf das gegen Susann Eminger.

Von der Behrens: Es gibt noch ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren, in dem neue Hinweise nachgegangen werden kann – aber wir erhalten da keine Akteneinsicht und wissen nicht, ob es in diesem Verfahren noch neue oder belastbare Hinweise auf Unterstützer gibt. Dass Susann Eminger angeklagt wurde, war jedenfalls überfällig. Sie war Zschäpes engste Verbündete im Untergrund, die Emingers teilten die nationalsozialistische Ideologie. Alles spricht dafür, dass die Emingers in die Taten des NSU eingeweiht waren. Umso unverständlicher war es, dass das Münchner Gericht glaubte, André Eminger habe von den NSU-Taten nichts gewusst. Familie Kubaşık hofft sehr, dass es im Prozess gegen Susann Eminger jetzt anders kommt.

taz: Die Anklage gegen Susann Eminger beruht auch auf Aussagen von Zschäpe, die sie 2023 bei einer Befragung durch BKA-Beamte in der JVA Chemnitz machte. Was genau sie dort sagte, ist bis heute nicht bekannt. Sie wissen es auch nicht, oder?

Von der Behrens: Nein, wir in der Nebenklage wissen es auch nicht. Die Situation ist wie ganz am Anfang nach der Selbstenttarnung des NSU: Die Medien wissen weit mehr als die Betroffenen. Bisher hat nur der Spiegel über die BKA-Vernehmungen von Zschäpe berichtet. Demnach hat Zschäpe, bis auf die Angaben zu Susann Eminger, fast nur Details über das Leben des Trios im Untergrund preisgegeben, jedoch keine relevanten Informationen zu Mitwissern und Mittätern. Vielmehr soll ihr Anwalt bezeichnenderweise angegeben haben, Zschäpe sei es noch nicht möglich, über alles zu reden – 12 Jahre nach dem NSU-Auffliegen.

taz: Warum gibt es jetzt im Prozess gegen Susann Eminger eigentlich keine Nebenkläger*innen?

Von der Behrens: Das war nicht möglich, da Susann Eminger nicht wegen Beihilfe zu den Morden und Anschlägen, sondern nur wegen Unterstützung des NSU und wegen Beihilfe zu einer räuberischen Erpressung – einem der Überfälle des NSU – angeklagt ist. Die Geschädigten dieses Überfalls könnten als Nebenkläger:innen auftreten, doch dafür hat sich niemand entschieden. Umso wichtiger wird es deshalb jetzt, dass die Vorsitzende Richterin wirklich intensiv zu den offenen Fragen nachbohrt.

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