Mehr Härte gegenüber Arbeitslosen: Es wird ungemütlich
Das Gesetz zur neuen Grundsicherung soll nächste Woche ins Bundeskabinett. Wer auch nur ein Jobangebot ablehnt, kann schnell ohne Geld dastehen.
Der Ärger ums Bürgergeld sichert das Einkommen von Arne Böthling. Der Rechtsanwalt aus Braunschweig arbeitet ausschließlich für Mandanten, die Probleme mit den Jobcentern haben. Von morgens bis abends gehen ihre Fälle über seinen Schreibtisch. Er hat vermutlich einen guten Überblick über den Personenkreis, für den die Bundesregierung strengere Regeln plant.
„Nicht jeder Bürgergeld-Empfänger ist ein armes Schwein“, sagt Böthling. „Es gibt Leute, die haben bewusst keinen Bock zu arbeiten. Da ist es im Prinzip nicht falsch, die Sanktionen zu verschärfen.“ Einerseits. Andererseits komme es „immer sehr auf den Einzelfall an“ – und ein härteres Gesetz könne auch die Falschen treffen.
Böthling erinnert sich noch gut an früher, bevor das Bundesverfassungsgericht gegen massive Hartz-IV-Sanktionen urteilte und die Ampel die Regeln lockerte. Damals musste er regelmäßig für Mandanten vor Gericht ziehen, die ein Jobangebot abgelehnt hatten und zur Strafe weniger Leistungen bekamen. Einmal vertrat er eine Alleinerziehende, von der das Jobcenter verlangt habe, um 8 Uhr morgens zur Arbeit in Gifhorn anzutreten – 25 Kilometer von Braunschweig entfernt. In anderen Fällen sei es um gesundheitliche Probleme gegangen, oder um Arbeitsstätten, die ohne Auto nicht zu erreichen waren. „Unzumutbar war selten die Arbeit an sich. Die äußeren Umstände waren es manchmal aber schon“, sagt Böthling.
Bald könnte der Anwalt wieder mehr solcher Fälle bekommen. Der „Herbst der Reformen“, den Bundeskanzler Merz angekündigt hatte, endet zwar mit überschaubaren Ergebnissen. Zumindest soll am nächsten Mittwoch aber noch das Gesetz zur neuen Grundsicherung, die das Bürgergeld ersetzen wird, das Kabinett passieren.
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Zumindest ein letzter Kontaktversuch
Der Gesetzesentwurf sieht an mehreren Stellen wieder mehr Härte vor. Das Verfassungsgericht ließ der Politik in seinem Sanktionsurteil 2019 ein wenig Spielraum. Den will Schwarz-Rot jetzt komplett ausnutzen, einige Pläne könnten ihn sogar sprengen.
Das Gericht sah Leistungsminderungen im Prinzip nur bis zu einer Höhe von 30 Prozent als verfassungskonform an, beim Regelsatz von aktuell 563 Euro entspricht das knapp 170 Euro. Laut dem Bürgergeld-Gesetz der Ampel dürfen die Jobcenter selbst diesen Betrag nur bei wiederholten Regelverstößen ausschöpfen. Künftig soll es schon bei der ersten Sanktion bis an die Grenze gehen.
In bestimmten Fällen könnten sogar mehr Kürzungen möglich werden: Wer mehrere Jobcenter-Termine hintereinander versäumt, soll gar nichts mehr bekommen, am Ende nicht mal mehr die Wohnkosten. Nach Auffassung der Regierung ist das – Urteil hin oder her – verfassungskonform machbar. In der öffentlichen Debatte hat dieser Punkt bisher die größte Aufmerksamkeit bekommen. Auch, weil der entsprechende Paragraf zuletzt den Kabinettsbeschluss über das Gesetz verzögert hat.
Laut Handelsblatt haben Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) ihr Veto gegen einen Satz eingefügt, der Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) wichtig war: Zum Schutz kranker Menschen, die Behördentermine gar nicht wahrnehmen können, soll das Jobcenter vor der Komplettsanktion einen letzten Kontaktversuch unternehmen.
Es kann direkt existentiell werden
Weniger Aufmerksamkeit gibt es bislang für eine andere Verschärfung: Wer auch nur ein einziges Stellenangebot ablehnt, das das Jobcenter als zumutbar einstuft, soll für mindestens einen Monat den gesamten Regelsatz verlieren.
Schon die Ampel war einen Schritt in diese Richtung gegangen. Sie hatte an dieser Stelle nur ein Jahr nach ihrer Bürgergeld-Reform die entschärften Sanktionsregeln wieder verschärft. Wer wiederholt Jobs ablehnt, riskiert seitdem als „Totalverweigerer“ eine 100-Prozent-Sanktion. Die Bedingungen dafür sind im Gesetz bislang aber so strikt formuliert, dass die Jobcenter die Möglichkeit so gut wie nie anwenden. Jetzt soll sie praxistauglicher werden.
Ab wann eine Arbeit als zumutbar gilt, ist dabei im Gesetz nur grob definiert. Konkrete Kriterien und Beispiele gibt es in einer Weisung der Bundesagentur für Arbeit an die Jobcenter, die aber jederzeit verändert werden kann. Demnach darf ein Alkoholiker nicht zur Arbeit als Barkeeper gedrängt werden und eine Konzertpianistin nicht zu einem Job, der ihre Fingerfertigkeit gefährdet. Generell gelten aber Jobs unterhalb der eigenen Qualifikation als zumutbar, ebenso tägliche Pendelzeiten von zweieinhalb Stunden oder Gehälter, die ein Drittel unter Tarif liegen.
Bisher können Betroffene ein Stück weit abwägen, wie sie mit entsprechenden Stellenangeboten umgehen. Einen Arbeitsvertrag auszuschlagen, bringt ihnen zumindest beim ersten Mal nur eine Leistungsminderung um einmalig 56 Euro ein. In Zukunft kann es direkt existenziell werden. Die Begründung der Regierung im Gesetzesentwurf: Die Verschärfung stärke die „Akzeptanz des Sozialstaats“. Hilfe der Allgemeinheit dürfe nur beanspruchen, wer wirklich bedürftig ist.
„Stärkere Arbeitsanreize“
Von einigen Arbeitgeberverbänden aus Branchen, in denen das Personal knapp ist und zum Teil Niedriglöhne gezahlt werden, gibt es Zuspruch zum Plan der Regierung – wenn auch keine Begeisterung. „Fehlanreize im Bürgergeld“ seien ein Grund dafür, dass Stellen für Hilfskräfte im Gastgewerbe unbesetzt bleiben, sagt Sandra Warden vom Branchenverband Dehoga. Es sei richtig, wenn Sanktionen „stärker spürbar und leichter durchsetzbar werden“. Es brauche aber auch „stärkere Arbeitsanreize bei den Hinzuverdienstregeln“. Ähnlich antworten auf Anfrage Vertreter aus den Branchen der Gebäudereinigung und der Callcenter.
Noch deutlicher stellt der Bundesverband Paket- und Expresslogistik auf Anreize ab. Ob die neuen Sanktionsregeln tatsächlich messbare Effekte auf die Personalgewinnung haben werden, müsse man abwarten, heißt es von dort auffallend distanziert. Entscheidender bleibe so oder so, dass Arbeitnehmer „nicht aufgrund von Druck“ in die Branche kommen, sondern weil sie dort „Perspektiven und Anerkennung“ fänden.
Ein Argument, das in ähnlicher Form auch aus einer anderen Ecke kommt: von der demokratischen Opposition im Bundestag. „Es ist nachvollziehbar, Jobangebote abzulehnen, die nicht zur eigenen Qualifikation passen“, sagt Timon Dzienus, in der Grünen-Fraktion für das Thema zuständig. „Niemandem ist geholfen, wenn Menschen irgendeinen Job annehmen und nach wenigen Wochen wieder auf der Matte des Jobcenters stehen. Es muss um langfristige Integration in den Arbeitsmarkt gehen, statt Angstmacherei.“ Wissenschaftliche Studien legen tatsächliche nahe: Ein höherer Sanktionsdruck bringt mehr Menschen in Arbeit. Ein zu hoher Sanktionsdruck bringt sie aber vermehrt in schlechte Arbeit und ist entsprechend weniger nachhaltig.
Und dann gibt es noch ein Argument, das der Paritätische Gesamtverband in einer Stellungnahme zu den Gesetzesberatungen anführt. Demzufolge wirkt sich die Verschärfung nicht nur auf Bürgergeld-Empfänger auf, sondern indirekt auch auf andere Arbeitnehmer. „Sanktionen machen Arbeitslose machtlos gegenüber prekären Arbeitsangeboten und führen damit insgesamt zu schlechteren Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt“, schreibt der Sozialverband. Man kann also, ganz wie die Regierung, mit dem Interesse der Allgemeinheit argumentieren – aber zu einem ganz anderen Schluss kommen als sie.
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