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Social-Media-Verbot in AustralienEine Regulierung wäre auch hierzulande so was von überfällig

Als erstes Land hat Australien ein Social-Media-Verbot für Jugendliche verhängt. Es wird Zeit zuzugeben, dass auch wir etwas ändern müssen.

Kann man Kinder einfach mit Smartphones alleine lassen? Foto: Elva Etienne/Moment RF/getty images

W ie leicht war es jahrelang, die Sorgen von Eltern über den Smartphone-Konsum ihrer Kinder beiseitezuwischen: Die Älteren haben es noch immer abgelehnt, wenn die Jugend sich neuer Techniken bemächtigte! Ihr habt doch nur selbst keine Ahnung, wie man digitale Medien nutzt, und wollt sie euren Kids jetzt wieder wegnehmen, weil die nicht schlauer werden sollen als ihr! Und natürlich: Sprecht doch einfach mal mit euren Kindern, dann stellt ihr den menschlichen Kontakt selber her, von dem ihr behauptet, dass er eurem Nachwuchs fehlt! Überhaupt sind es ja immer nur die Zensurtruppen aus dem 19. Jahrhundert, die sich Beschränkungen wünschen, schon klar.

Es mussten also große Studien ausgewertet werden, es mussten PsychologInnen in aller Welt Alarm schlagen, es musste erst die rechtsextreme Internationale unser demokratisches Zusammenleben bedrohen, bis auch ein paar Nichteltern dachten: Oh, doch nicht so schön, was da von den Social-Media-Plattformen in die Hirne quillt. Sollte man am Ende die Jugend davor schützen?

Die Kinder sind krank, the kids are not alright, sie sind einsam, sie haben Ängste – jedenfalls ein viel zu großer Teil von ihnen

Denn die Kinder sind krank, the kids are not alright, sie sind einsam, sie haben Ängste, und sie kommen nicht klar – jedenfalls ein viel zu großer Teil von ihnen, ein größerer Teil als je gemessen. Als in den USA noch seriöse Menschen auf wichtigen Posten saßen, sagte Vivek Murthy, der oberste amerikanische Amtsarzt: Die Social-Media-Nutzung der Kinder einfach hinzunehmen, sei „verrückt“ – als würde man sie in den ungeregelten Straßenverkehr entlassen und sagen „macht’s gut!“ Eine ganze Reihe von Glücksstudien zeigte da schon, dass die jüngeren Generationen erstmals unglücklicher sind als die Älteren, und ja, auch Zusammenhänge mit einer Mediendiät aus Tiktok und Instagram wurden hergestellt.

Diesen Monat aber wies die seit 2020 laufende Copsy-Studie darauf hin, dass Corona eben nur zum Teil am Einbruch der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen schuld war. Die Abnahme des Wohlbefindens begann erstens schon vor Corona, und zweitens setzt sie sich corona-unabhängig fort. Die Häufung von Depressionen, von Magersucht und sonstigen Selbstverstümmelungen, von all den Unsicherheiten begann just in der Zeit, als der Smartphone-Gebrauch sich auch unter Kindern und Teenagern durchsetzte, also vor rund zehn Jahren.

Aktueller Pegel: Fast jedes vierte Kind in Deutschland gilt als psychisch auffällig. Wer dies jetzt immer noch als Wichtigtuerei von PsychiaterInnen denunzieren will, die mit Diagnosen um sich werfen, hat noch nicht verstanden, dass es schon seit Jahren viel zu wenig Therapieplätze für Kinder gibt. Die Profession braucht längst keine Eigenwerbung mehr.

Endlich versucht mit Australien nun immerhin ein Land, mit einem Social-Media-Verbot für Unter-16-Jährige etwas zu unternehmen. Das mag noch unausgereift sein, und natürlich gibt es Seitentürchen, neue Risiken drohen. Dringend müssen außerdem die Plattformen selbst reguliert werden, das ist richtig. Aber es wird jetzt auch mal Zeit zuzugeben, dass nicht das australische Gesetz ein „Experiment mit Kindern“ ist, sondern dass schon die letzten 10 Jahre ein Experiment mit Kindern waren, und es ist gründlich schiefgegangen.

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Geradezu anstößig dabei wie üblich die deutsche Bildungspolitik. Die Mehrheit der KultusministerInnen ist weiterhin der Meinung, man sollte die Schulen, also die LehrerInnen und Eltern, mit dem Problem lieber allein lassen. Sie haben „die Wahl“ – dürfen also den Streit darüber austragen, Handynutzung in der Schule zu beschränken. Natürlich gibt es auch die Einwürfe von Datenschutzseite, die stets zwischen Zensurvorwurf („schlimm!“) und Hohn („klappt eh nicht!“) changieren. Vielleicht findet sich ja noch einE DatenschützerIn, die zusätzlich konstruktive Vorschläge macht.

Denn es ist gut, wenn die Politik endlich ihre Verantwortung erkennt. Möge Australien ein Vorbild sein. Gesetze können gebrochen werden, aber sie setzen eine Norm, sie halten einen Anspruch hoch, sie verpflichten zum weiteren Handeln – und sei es zur Verbesserung der Gesetze. Eine Regulierung ist so was von überfällig.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge und inzwischen auch Katrin Gottschalk. Vorher: Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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