Medien in Israel: Mit dem Rücken zur Wand
Journalist*innen in Israel stehen unter Druck: durch Hass, Hetze, Morddrohungen und die Regierung. Gezielte Kampagnen bedrohen die freie Presse.
Als Guy Peleg Mitte November nach einem Vortrag in Tel Aviv auf die Straße tritt, wird der israelische Journalist bereits erwartet. Mehrere Männer bedrängen und bedrohen ihn. Als er wegfahren will, blockieren sie sein Auto. „Guy Peleg, egal wo auf der Welt du hingehst, du wirst eine Polizeieskorte brauchen“, ruft einer von ihnen. Der Vorfall macht Schlagzeilen. Und doch ist er nur das jüngste Beispiel von vielen, der zeigt: Journalist*innen in Israel arbeiten zunehmend unter feindlichen Bedingungen.
Peleg wird seit Langem angefeindet, nicht zuletzt, weil er über den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu berichtet. Darin geht es unter anderem um Gefälligkeiten für positive Berichterstattung. Seit einigen Wochen untersucht das israelische Militär außerdem den Leak eines Videos, das Misshandlungen und Folter palästinensischer Gefangener durch israelische Soldaten in der Haftanstalt Sde Teiman zeigt. Seitdem haben die Bedrohungen massiv zugenommen: Es war Peleg, der das Video 2024 veröffentlichte.
Man verurteile „auf Schärfste die Gewalt und die Drohungen, denen der Gerichtsreporter Guy Peleg in den letzten Wochen ausgesetzt war und die sich in den letzten Tagen dramatisch verschärft haben“, erklärt sein Arbeitgeber Channel 12. Die Gewalt sei „alarmierend“, so der Fernsehsender, der Peleg inzwischen einen Bodyguard zur Seite stellt.
Explizite Morddrohung
Wenige Tage später zieht sich ein Graffito über das Redaktionsgebäude des Senders Channel 13: „Das Blut der Verräter wird zur Veröffentlichung freigegeben.“ Der zweite Teil des Satzes ist eine Anlehnung an eine Formulierung des israelischen Militärs, zum Beispiel wenn die Namen gefallener Soldaten bekannt gegeben werden. Nun richtet der Satz sich an Journalist*innen – eine explizite Morddrohung.
Das israelische Fernsehsender-Forum warnte vor einer „anhaltenden, organisierten und gefährlichen Hetze gegen Journalisten und freie Medien in Israel“. Deren Ziel sei es, „die Unabhängigkeit der Medien zu untergraben, Rundfunkanstalten zu schließen und letztlich die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken“, so die Dachorganisation der drei größten israelischen Nachrichtensender Channel 12, Channel 13 und dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan.
Einer der Männer, die Peleg angegriffen, ist ein bekannter rechter Aktivist mit guten Beziehungen zu Israels rechtsextremem Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir. Jeder könne sehen, dass er „von Ministern und hochrangigen Koalitionsmitgliedern umarmt“ werde, sagte Peleg nach dem Vorfall. „Er ist ihr Arm. Er ist ihr Vertreter. Er ist ihr wahres Gesicht.“
Die Medien sollten sich „nicht als geschützte Blume betrachten“, konstatierte Amihay Eliyahu, Israels Minister für religiöses und kulturelles Erbe. Peleg habe israelische Soldaten und den Staat Israel „weltweit in Verruf gebracht“, so der Politiker der religiösen rechtsextremen Partei Otzmah Yehudit. Peleg machte derweil gerade in der Zeitung Haaretz öffentlich, was für Drohungen er bekommt: „Du wirst mit Blut bezahlen“, oder: „Was für süße Kinder du hast. Liebst du sie?“
Die Drohungen seien nur ein Instrument, mit dem Druck auf israelische Medien aufgebaut wird, sagt Anat Saragusti, die bei der israelischen Journalistengewerkschaft für Pressefreiheit zuständig ist. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Saragusti spricht von einem „Masterplan der israelischen Regierung, um die freie Presse im Land zu schwächen“ und dieser stamme „direkt aus dem Playbook autoritärer Regimes“. Je näher die Wahlen im kommenden Jahr rückten, umso mehr werde der Druck zunehmen, fürchtet sie. Vor wenigen Tagen hat die Gewerkschaft deswegen in Tel Aviv Journalist*innen zu einer „Notfallkonferenz zur Rettung der Presse“ zusammengerufen.
Gefahr durch neue Gesetze
Es sind gleich mehrere Gesetzgebungsverfahren im Gange, die etwa auf eine Privatisierung des öffentlichen Rundfunks zielen, oder auf das Messen der Einschaltquoten. Das hätte direkte Auswirkungen auf Anzeigen und somit auf die Finanzen privater Sender. Außerdem soll das Gesetz ausgeweitet werden, mit dem Israel während des Gaza-Kriegs den katarischen Sender al-Jazeera aus dem Land verbannt hat. Das sei eine Gefahr für sämtliche ausländische Medien, warnt Saragusti: Wer eine Gefahr für die Sicherheit des Landes darstelle, sei weit interpretierbar.
Vor etwa einem Jahr untersagte die Regierung zudem allen staatlich finanzierten Einrichtungen, mit der linken Zeitung Haaretz zu kommunizieren oder dort Anzeigen zu schalten. Die Begründung: Die Zeitung, die immer wieder über israelische Kriegsverbrechen in Gaza berichtet, habe „die Legitimität des Staates Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung untergraben“ und Terrorismus unterstützt. Selbst dem Armee-Radio wirft die Regierung vor, zu kritische Meinungen zu verbreiten und versucht, den Sender zu schließen.
„Am effektivsten sind aber die gezielten Kampagnen gegen Journalist*innen, die ihre Arbeit machen“, sagt Saragusti. „Diese beginnen bei Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen Anhängern, die ihnen vorwerfen, Lügner und Verräter zu sein und sie mit Terroristen gleichsetzen, und sie enden mit Menschen, die, von solchen Aussagen aufgestachelt, gewalttätig werden.“ Das so entstehende Klima der Einschüchterung und Angst führe zu immer mehr Selbstzensur. „Das ist Teil der Erklärung, warum der Großteil der israelischen Medien nicht adäquat über das berichtet, was in Gaza und im Westjordanland geschieht.“ Im Mai rutschte Israel im World Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen auf Platz 112 von 180 – die niedrigste Platzierung des Landes, seit der Index 2002 begonnen hat.
Der Druck auf die Medien habe in den vergangenen drei Jahren zugenommen, sagt auch Oren Persico vom Medienmagazin „HaAyin HaShevi’it“ („Das siebte Auge“): seit viele von ihnen den geplanten autoritären Justizumbau kritisierten, und vor allem seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg in Gaza. Netanjahus „Feldzug“ gegen kritische Berichterstattung reiche aber viel länger zurück. „Als Netanjahu 1999 die Wahl verlor, machte er dafür die Medien verantwortlich“, sagt Persico. „Und er schwor sich, mit seinen eigenen Medien zurückzukommen.“
Mit Erfolg: Heute seien Medien wie die Gratiszeitung „Israel Hayom“, inzwischen Israels meistgelesene Zeitung, und der Fernsehsender Channel 14 nichts weiter als „Sprachrohre des Premierministers“, sagt Persico. Das treffe Oppositionspolitiker*innen, zivilgesellschaftliche Akteure oder eben Journalist*innen. „Es sind regelrechte Kampagnen“, sagt Persico: Wer nicht für Netanjahu sei, werde als Verräter und als „links“ diffamiert und zum Nationalfeind erklärt.
Krieg gegen Medien
„Als der Krieg begann, waren die Medien in Israel längst erschöpft, eingeschüchtert, angefeindet“, sagt Ayala Panievsky. Die israelische Mediensoziologin hat gerade ein Buch über den Kampf rechtspopulistischer Kräfte gegen die Medien herausgebracht: „The New Censorship: How the War on the Media is Taking Us Down“. „Die Regierung und viele ihrer Anhänger haben die Medien wegen ihrer Kritik an der Justizreform geradezu verantwortlich gemacht für den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober.“ Sie hätten die nationale Einheit geschwächt und somit das Land in Gefahr gebracht.
Die jahrelangen Kampagnen hätten zu einer Welle verzerrter Berichterstattung und Selbstzensur geführt, sagt Panievsky, die für ihr Buch über Jahre hinweg zahlreiche Interviews mit israelischen Medienschaffenden geführt hat. „Journalisten werden als linke Verräter verleumdet und versuchen, dem Publikum zu zeigen: Das stimmt nicht. In der Folge laden sie immer weniger oppositionelle Stimmen ins Studio ein oder übernehmen bestimmte Talking Points der Regierung, während andere Begriffe wie etwa 'Besatzung’ fast vollständig aus den Mainstream-Medien verschwunden sind“, sagt Panievsky. Auch palästinensische Stimmen seien so gut wie unsichtbar geworden. Die taz hat für diesen Text erfolglos versucht, auch mit palästinensischen Journalist*innen in Israel zu sprechen.
Auch über die Zerstörung und das Leid in Gaza sowie über die Gewalt radikaler Siedler im besetzten Westjordanland hätten israelische Medien bis auf wenige Ausnahmen wie Haaretz oder das „+972-Magazin“ kaum berichtet, sagt Panievsky. Das liege teils an dem Trauma, das der Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober bedeute: „Israel ist ein kleines Land, so gut wie jeder ist persönlich betroffen. In Kriegszeiten neigt man dazu, mehr auf das eigene Leid zu schauen als auf das derjenigen, die man als Feinde wahrnimmt.“ Das allein reiche aber als Erklärung nicht aus – vielmehr müsse man die Selbstzensur der Medien in den Blick nehmen.
„Diese Entwicklungen sollten uns nicht nur besorgen, weil sie eine Gefahr für die betroffenen Journalist*innen darstellen“, sagt Panievsky. „Es hat einen direkten Einfluss darauf, was wir als Öffentlichkeit erfahren und was nicht. Welche Geschichten erzählt werden und welche nicht. Und ob die Menschen, die dieses Land regieren, zur Rechenschaft gezogen werden.“
Der Angriff auf die freie Presse könne nicht losgelöst betrachtet werden von dem Krieg, den Israels Regierung gegen weitere demokratische Institutionen führe, gegen die Wissenschaft, die Meinungsfreiheit, gegen die Justiz. „Und es ist auch nicht nur ein israelisches Thema“, sagt Panievsky. „Überall auf der Welt greifen autoritäre Kräfte diejenigen Institutionen an, die ihre Macht bedrohen.“
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