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Ukraine-Verhandlungen in BerlinSchicksalstage für Europa

Dominic Johnson

Kommentar von

Dominic Johnson

Die USA und die Ukraine haben konträre Haltungen zu Russland. Europa wird sich endgültig entscheiden müssen, auf welcher Seite es steht.

Bundeskanzler Merz begrüßt Ukraines Präsidenten Selenskyj in Berlin Foto: Informationsdienst der Bundesregierung

I n den Bemühungen um Frieden in der Ukraine nahen die Tage der Entscheidung. Gibt es eine gemeinsame Position der Ukraine, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA zu möglichen Friedensverhandlungen mit Russland? Oder zerbricht der Westen? Darüber wird jetzt in Berlin gesprochen – auf höchster Ebene. Vom Ausgang dieser Beratungen, in denen Deutschland als Gastgeber die Schlüsselrolle spielt, hängt Europas Zukunft ab.

Düster wie selten klingen die Vorkriegswarnungen dieser Tage. „Wenn die Ukraine fällt, hört Putin nicht auf“, warnt Friedrich Merz. „Russland hat den Krieg nach Europa zurückgebracht und wir müssen auf das Kriegsausmaß vorbereitet sein, das unsere Großeltern und Urgroßeltern erlitten“, sagt Mark Rutte.

Es geht in Berlin nicht um einen Friedensvertrag mit Russland. Es geht um die Einheit des Westens. Russland will keinen Deal mit der Ukraine. Es will einen Deal mit den USA, dem sich die Ukraine fügen soll. Trump seinerseits ist bereit, die Ukraine Putin zum Fraß vorzuwerfen, im Tausch für einträgliche Rohstoff- und Immobiliengeschäfte und die gemeinsame Erschließung der Arktis und des Weltraums.

Die Europäer und die Ukraine haben dem nichts entgegenzusetzen außer Menschenwürde, Völkerrecht und Freiheit – lauter Konzepte, mit denen Putin und Trump nichts anzufangen wissen und für die Europa selbst im Rest der Welt nur wenig Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen kann.

Europa muss aus eigener Kraft bestehen

Bisher steht Europa eindeutig auf Seiten der Ukraine. Moskau beharrt auf seinen Maximalforderungen. Trump hat seinen Plan nacharbeiten lassen, aber bleibt letztlich ebenfalls auf seiner bisherigen Linie. In Berlin wird nun der kremlfreundliche US-Chefunterhändler Steve Witkoff erstmals direkt mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj sprechen. Vielleicht finden die beiden ja einen unverhofften, gemeinsamen Weg. Aber werden sie sich nicht einig, muss sich Europa entscheiden, auf wessen Seite es steht: Washington oder Kyjiw.

Sollten sich Berlin, London, Paris und Brüssel Trump unterordnen und den schmutzigen Deal mit Putin mitmachen, würden sie die Ukraine und ihre Menschen verraten und ganz Osteuropa gleich mit. Europa wäre zerrissen, seine Werte tot.

Aber um sich nicht unterzuordnen, muss Europa gegen die Achse der Autokraten in Washington und Moskau aus eigener Kraft bestehen können. Das heißt, alle militärischen Lasten mittragen, auch in der Ukraine, und sich auf den Krieg einstellen, von dem man überzeugt ist, dass Russland ihn ohnehin vorbereitet. Andere Optionen gibt es nicht mehr.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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10 Kommentare

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  • Wenn es einen überzeugten Transatlantiker im Umfeld der Regierung gibt dann ist es Norbert Röttgen -- er ist stellvertretender Vorsitzender der amerikanisch-deutschen Initiative Atlantik-Brücke und Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik als auch Governor der Ditchley Foundation mit Fokus auf britisch-amerikanische Beziehungen.

    Wenn Dominic Johnson fragt -- ""Oder zerbricht der Westen?"" hat Röttgen die Antwort bereits gegeben: ""Die begonnende Trennung Europas von den USA, die bereits unter den amerikanischen Demokraten begann (Obama) sei unumkehrbar - völlig egal wer der nächste Präsident der USA werden wird,"" so Röttgen.

    ""Entscheidend sei, das Europa ins Handeln Komme"" - und Röttgen meint damit die Entscheidung der EU durch eine komplizierte rechtliche Konstruktion die russischen Finanzen, die in Belgien geparkt sind, der Ukraine zur Verfügung zu stellen um deren Überleben zu sichern. Die Entscheidung fällt am 18. Dezember.

    Damit wäre der Zugriff von Trump auf die Russischen Finanzen in Brüssel wirksam verhindert und die Lieferung von Waffen an Kiew für die nächsten 2 bis 3 Jahre gesichert

  • Die wievielten Schicksalstage für Europa sind das jetzt eigentlich? Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Adam Riese hilft Ihnen sehr gerne.

      Zählbar sind die (...1...) Zeitenwende unter Olaf Scholz vom



      27. Februar 2022 und die (...2...) Veröffentlichung der neuen US Sicherheitsdoktrin, welche eine umfassende außenpolitische Neuausrichtung der USA gegenüber Europa ankündigt mit dem erklärten Ziel, Einfluss auf Europa mit Unterstützung der rechtspopulistischen und zum Teil rechtsextremistischen Parteien auf die EU ausüben zu wollen.

  • DerAutor hat recht, das Problem ist nicht durch die Ukraine entstanden, sondern einfach das Ergebnis einer unsäglichen Allianz zwischen einem größenwahnsinnigen Potentaten Putin, einem Möchtegernmacher Trump und diversen amoralischen politischen Trittbrettfahrern von Rechts und Links. wenn die rechtsstaatliche Demokratie ein lebenswertes Ziel bleiben soll, muss man die Ukraine ohne wenn und aber unterstützen.

  • Ich denke entscheidend wird sein ob und wann merz umfällt.



    Um sich mit trump anzulegen bedarf es aber eines echten Plans für das weitere gemeinsame EU-weite militärische (!) Vorgehen.



    Mit orban und Konsorten sehe ich da leider tiefschwarz. Die EU ist schon jetzt zerrissen. Die Bevölkerung im seeligen Tiefschlaf. Es fehlen charakterstarke, zielstrebige PolitikerInnen, die glaubhaft die gesamte EU hinter sich versammeln können.



    Ohne sie wird in wenigen Monaten oder Jahren das Baltikum angegriffen sowie Rumänien, Bulgarien und Polen. Moldavien fällt als nächstes.



    Um Putin (und auch trump) wirksam zu stoppen bedarf es Regierungchefs, die echte Hilfspakete schnüren und nicht nur an ihre Aktienpakete denken.



    Diese sehe ich leider nirgends.



    Wenn die EU sich von der Ukraine abwendet, wird Selenski zurücktreten und sein Nachfolger Gebiete abtreten. Mit trump an der Macht ist die Nato nur noch ein Waschlappen und Papiertiger.



    Wir laufen sehenden Auges in die Falle die putin seit 20 Jahren vorbereitet hat.



    (Aber hey, das Verbrenneraus wird gestoppt!)



    Jemand muss diese Tyrannen stoppen.



    merz wird es nicht sein.

  • " sich auf den Krieg einstellen, von dem man überzeugt ist, dass Russland ihn ohnehin vorbereitet. Andere Optionen gibt es nicht mehr."



    Machen sie sich doch nicht lächerlich!



    Konventionelle Aufrüstung gegen die gösste ( nach Sprengköpfen ) Atommacht.



    Was für ein Kaliber Herr Rütte ist, zeigt sich eindrucksvoll in seinem Umgang mit Trump

    • @Oliver Wagner:

      Solche Stimmen und trollige Bemerkungen mag es 1939 und 1940 in den verbliebenen Demokratien auch gegeben haben. Mit Feigheit ist überall zu rechnen da ubiquitär. Die baltischen Staaten, Finnland, Polen und Schweden zeigen, was zu tun wäre, wenn wir bereit sind, unsere Freiheit verteidigen. Aber wahrscheinlich ist es momentan kosteneffizienter, Geld und Waffen einfach den tapferen Ukrainerinnen und Ukrainern zu geben, als in eine desolat organisierte Bundeswehr zu investieren

      • @Wiesenfeldt Jörg:

        Erinnern sie sich, us-Amerika hat in Japan die Atombombe eingesetzt, obwohl es nicht mehr notwendig war.



        Allein aus Machtdemonstration.



        Wollen sie, dass Westeuropa aussieht wie einige Regionen in der Ostukraine?



        Das Land regelrecht umgepflügt und niedergebrannt, kein Stein mehr auf dem anderen

    • @Oliver Wagner:

      Die Ukraine bekämpft die größte Atommacht seit bald vier Jahren konventionell.

    • @Oliver Wagner:

      Da Russland konventionell aufrüstet ist nicht davon auszugehen das sie den Krieg mit tausenden Atomsprengköpfen beginnen. Und einen konventionellen Angriff kann man konventionell abwehren.