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Verbrennerpolitik der EUWirtschaftsmacht legt Rückwärtsgang ein

Hannes Koch

Kommentar von

Hannes Koch

Auch nach 2035 sollen Fahrzeuge mit Verbrenner-Motor noch zugelassen werden. Das ist eine schlechte Entscheidung – nicht nur für's Klima.

Wahlversprechen eingelöst: EU-Chefin Ursula von der Leyen mit Kanzler Friedrich Merz, EVP-Chef Manfred Weber und Markus Söder (CSU) Foto: Michael Kappeler/picture alliance

D ie Europäische Union will ihre ökonomische Zukunft sichern, indem sie auch in zehn Jahren noch Tastenhandys verkauft. Mit diesem polemischen Vergleich kritisierte Monika Schnitzer, die Chefin der Wirtschaftsweisen, kürzlich die Auto-Politik der EU-Kommission.

Diese veröffentlichte jetzt ihren Vorschlag, dass Fahrzeuge mit altbekannten Benzin- und Dieselmotoren auch nach 2035 weiter produziert und angemeldet werden können. Damit verschiebt die EU ihr Ziel, den Ausstoß klimaschädlicher Abgase neuer Autos auf Null zu senken („Verbrenner-Aus“). Ab 2035 sollen sich die Emissionen der Neuwagenflotte zunächst nur auf 90 Prozent im Vergleich zu 2021 verringern. Das ermöglicht den europäischen Autoherstellern auch dann noch Fahrzeuge herzustellen und zu verkaufen, die kombinierte Benzin- und Elektromotoren oder angeblich klimafreundliche Treibstoffe auf Pflanzenbasis nutzen.

Damit besteht die Gefahr, dass noch jahrelang ganz normale Verbrenner weiter produziert werden. Einen Ausgleich für die geringere Emissionsvermeidung will die Kommission unter anderem schaffen, indem der Anteil von Biosprit im Benzin an den Tankstellen zunimmt.

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Das ist schlecht fürs Klima und die Lebensbedingungen in den nächsten Jahrzehnten. Und möglicherweise handelt es sich auch um einen wirtschaftlichen Killer für die hiesige Autoindustrie. Denn die partielle Rolle rückwärts ignorierte, was in China, Indien, in Golfstaaten wie Dubai und europäischen Ländern wie Norwegen passiert: E-Autos erobern die Märkte, Benziner verlieren an Attraktivität. Monika Schnitzer warnt, das Festhalten an der Benzintechnologie entlaste die europäischen Autohersteller allenfalls kurzfristig. Dann jedoch würden Strukturwandel und Arbeitsplatzverluste umso kräftiger zuschlagen.

Ab 2035 sollen sich die Emissionen der Neuwagenflotte zunächst nur auf 90 Prozent im Vergleich zu 2021 verringern.

Für solche Entwicklungen sind die angeblich so schlauen Unternehmen und Manager manchmal blind. Dann kann, darf und muss die Politik ihrer Aufgabe gerecht werden und Leitplanken für ökonomisches Handeln setzen. Allerdings liegen nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Manfred Weber, CSU-Chef der Europäischen Volkspartei, falsch mit ihrer Entscheidung, Autoherstellern nochmal einen Aufschub zu gewähren.

Eingeschüchtert durch die wirtschaftliche Stagnation und die politische Rechtsverschiebung in Europa genehmigen sie weitere Investitionen in die fossile Vergangenheit, anstatt zusätzliche in die elektrische Zukunft zu verlangen. Wobei heute niemand genau weiß, wie schädlich die EU-Entscheidung wirklich ist. Denn die Zukunft lässt sich schwer vorhersagen. Aber vielleicht hätten Merz, Weber und von der Leyen doch vorher mal ihre Smartphones zur Hand nehmen und Ökonomin Schnitzer anrufen sollen.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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