BDI-Kritik an der Wirtschaftspolitik: Hört auf zu jammern
BDI-Chef Leibinger redet die deutsche Wirtschaftslage schlechter, als sie ist. Dieses Gejammere ist unangemessen und schwächt den Zusammenhalt.
D ie Unternehmen in Deutschland haben eine Repräsentationskrise. Das zeigt der Verband der Familienunternehmen, deren Spitze sich erst der rechtsextremen AfD geöffnet hatte und nach Protesten aus der eigenen Mitgliedschaft zurückgerudert ist. Das demonstrieren die Vertreter:innen der deutschen Arbeitgeberverbände, die bei ihrer Vollversammlung die SPD-Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas rüpelhaft auslachten. Dabei wird das Gros der Verbandsmitglieder auf Sozialpartnerschaft, Kompromiss und Ausgleich setzen und sich gute Beziehungen zur Ministerin wünschen.
Und auch der Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) dürfte nicht die Mehrzahl der Verbandsmitglieder repräsentieren. Die deutsche Wirtschaft befinde sich „im freien Fall“, erklärt BDI-Chef Peter Leibinger. Übersetzt: Er will noch mehr Steuergeschenke und das Schleifen des Sozialstaats. Aber Unternehmen haben ganz andere Probleme, etwa den Fachkräftemangel.
Manager:innen und Eigentümer:innen von Unternehmen dürfen solche Vorstöße nicht länger hinnehmen. Sie sollten auf Repräsentant:innen setzen, die ihren Interessen tatsächlich dienen. Die Bundesregierung, und auch ihre Vorgängerinnen, sind den Forderungen der Wirtschaftsverbände stets entgegengekommen: Steuern wurden gesenkt, höhere Abschreibungen auf Investitionen ermöglicht, Betrieben wurde bei den hohen Energiekosten unter die Arme gegriffen. Hunderte von Milliarden Euro stehen in den kommenden Jahren für die Infrastruktur zur Verfügung. Doch statt konstruktiv damit umzugehen, jammern Verbandsvertreter:innen auf hohem Niveau und zeigen mit dem Finger auf den Sozialstaat. Sie stellen damit die Bindekräfte der Gesellschaft infrage.
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Die deutsche Wirtschaft ist trotz des anhaltenden Konjunkturtiefs stabil, auch wenn einzelne Branchen Probleme haben. Was eine Wirtschaft „im freien Fall“ ist, haben etwa lateinamerikanische Länder mit zweistelliger Inflationsrate und Massenarmut gezeigt.
Von so etwas kann hierzulande keine Rede sein. Die Gewinne der meisten Unternehmen sprudeln nach wie vor, bei manchen nur nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit. Manager:innen und Eigentümer:innen müssen sich fragen, was denn ihr Anteil am anhaltenden Abschwung ist. Zum Beispiel: Warum schütten Unternehmen viele Milliarden an Anteilseigner:innen aus, statt sie in zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu investieren? Die Verantwortung für ihre Wettbewerbsfähigkeit liegt zuallererst bei den Unternehmen selbst.
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