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Parteitag des Bündnis Sahra WagenknechtAbgang auf Raten

Das BSW gibt sich einen neuen Namen und eine neue Parteispitze. Ansonsten knirscht es aber. Zusammengehalten wird der Laden vom Kult um Sahra Wagenknecht.

Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit Ehemann Oskar Lafontaine beim BSW-Bundesparteitag in Magdeburg Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Rainer Rutz

Aus Magdeburg

Rainer Rutz

Vermutlich hätte Sahra Wagenknecht zu Beginn ihres großen Bühnenauftritts am Samstagnachmittag auch einfach „Hänschen klein“ singen können. Die rund 660 Delegierten des BSW-Bundesparteitags in Magdeburg hätten trotzdem minutenlang lautstark gejubelt und applaudiert. „Da sage noch mal jemand, beim BSW sei schlechte Stimmung“, rief Wagenknecht irgendwann gegen den Lärm an, um zu signalisieren, dass sie nun endlich mit ihrer Rede beginnen möchte.

Nun ist das mit der Stimmung beim BSW seit längerem so eine Sache. Die Umfragen sind mies, mehrere Landesverbände zerlegen sich selbst, Dog­ma­ti­ke­r:in­nen und Prag­ma­ti­ke­r:in­nen stehen sich spinnefeind gegenüber, hinzu kommen persönliche Unverträglichkeiten. Auch bei der ersten Etappe des zweitägigen Parteitags am Samstag waren die Übellaunigkeiten nur schwer zu übersehen. „Was für ein Haufen Heuchler“, ärgerte sich ein Delegierter über innerparteiliche Wi­der­sa­che­r:in­nen am Rand des Treffens.

Dabei sollte von Magdeburg eigentlich ein komplett anderes Signal ausgehen. „Heute und morgen stellen wir die Weichen für einen neuen Aufbruch“, sagte Sahra Wagenknecht. Und dass das „richtig gut“ werde. Konkret sieht der Aufbruch so aus, dass sich Wagenknecht am Samstag nicht nur vom Vorsitz der von ihr vor gut zwei Jahren gegründeten Partei verabschiedete. Auch aus dem Parteinamen wollte sie jetzt mal verschwinden. Und wenn Wagenknecht etwas will, dann wird es auch so umgesetzt.

So nennt sich das bisherige Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz: BSW, fortan Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft, kurz: BSW. Einige Delegierten störten zwar an dem „Wortkettenmonster“, das „weder prägnant noch kurz“ sei. Nichtsdestoweniger wurde das Monster mit großer Mehrheit angenommen. Zu den Absonderlichkeiten der Namensgebung gehört gleichwohl, dass der Beschluss nicht unverzüglich, sofort, umgesetzt wird, sondern erst im Herbst 2026, wenn die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin gelaufen sind.

Hüterin der Parteilinie

Auch ansonsten kann und will sich das BSW nicht von seiner Parteiheiligen trennen – und sie nicht vom BSW. Sahra Wagenknecht hatte bereits vor gut einem Monat erklärt, sich künftig als Chefin einer neu gegründeten Grundwertekommission um die großen politischen Themen der Partei statt die leidigen Organisationsfragen zu kümmern. „Ich werde mein Bestes tun, eine hochkompetente Grundwertekommission aufzubauen“, versprach sie am Samstag. Und: „Nein, ich ziehe mich nicht zurück, wie…“ Der Rest des Satzes ging im Jubel unter.

Wenig verwunderlich: Auch den Wunsch, Hüterin über die richtige Parteilinie zu werden, erfüllten die Delegierten der nun gewesenen Parteivorsitzenden „ohne Gegenstimme bei ganz, ganz großer Mehrheit“, wie die Sitzungsleitung feststellte.

Ihre Nachfolge hatte sie längst geregelt. Neuer Parteivorsitzender neben der bisherigen und auch künftigen Co-Chefin Amira Mohamed Ali sollte der Europaabgeordnete Fabio De Masi werden. Der gegenkandidatenlose „Vorschlag“ des Parteivorstands wurde am Abend mit stundenlanger Verspätung von den Delegierten durchgewunken. De Masi bekam 93 Prozent der Stimmen, für Mohamed Ali gab es 83 Prozent Ja-Stimmen. Wagenknecht hatte zuvor auch noch mal mit Nachdruck für den „Riesengewinn“ De Masi und Mohamed Ali geworben. Und ihr Wort ist schließlich Gesetz.

Abgesehen davon widmete sich Wagenknecht in ihrer Rede ausführlich ihren Lieblingsthemen: Es brauche Frieden statt Aufrüstung, es drohe „die Zerstörung der deutschen Industrie und des deutschen Sozialstaats“, die Menschen würden „für dumm verkauft“. Deutschland sei „gestraft mit einem Kanzler Gernegroß“, über dessen Geisteszustand sie sich Sorgen mache, „peinlich“ sei die Regierung, und die Opposition sei auch „peinlich“. So ging das eine ganze Stunde. Die Delegierten waren euphorisiert.

Gruß aus der Küche vom Wahlprüfungsausschuss

Einmal mehr gab sich die 56-Jährige überzeugt, dass die Regierungszeit von CDU-Kanzler Friedrich Merz ohnehin bald zu Ende sein wird, weil ihre Partei „wahrscheinlich“ zu Unrecht nicht im Bundestag vertreten sei. Tatsächlich war das BSW bei der Bundestagswahl im Februar 2025 denkbar knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Letztlich fehlten nur 9.529 Stimmen für den Einzug in das Parlament. Sahra Wagenknecht und ihre Getreuen fordern seither eine Neuauszählung aller Stimmzettel.

Jetzt erst recht, heißt das Motto. Schließlich hatte der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages an diesem Donnerstag gegen die Stimmen der AfD entschieden, den Einspruch der Partei gegen das Ergebnis der Bundestagswahl abzulehnen. Die Parteigranden griffen den Gruß aus der Küche am Samstag dankbar auf.

„Das ist so dreist, das ist schändlich“, echauffierte sich die alte und neue Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali. Das BSW habe „auf fundierteste Weise Fehler nachgewiesen“. Das sehen nicht alle Ju­ris­t:in­nen so. Mohamed Ali ficht das nicht an: Sollte nicht neu ausgezählt werden, „dann leben wir auch nicht in einer Demokratie“. Deshalb werde man nun auch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und klagen. Wagenknecht legte später nach und mokierte sich: „Das kann doch nicht wahr sein, wir leben doch hoffentlich noch in einem Rechtsstaat und nicht in einer Bananenrepublik.“

Klar ist, bis Karlsruhe über die Klage entscheidet, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Mit dem BSW könnte es derweil weiter bergab gehen. In bundesweiten Umfragen kommt die Partei nicht mehr über die 5-Prozent-Klippe. Eine Ebene darunter wird sie in einigen westdeutschen Bundesländern schon gar nicht mehr ausgewiesen, so auch in Rheinland-Pfalz – im März 2026 wird hier ein neuer Landtag gewählt.

Selbst im Osten Deutschlands, dort, wo die Partei noch bei der Bundestagswahl im Februar ordentliche Erfolge einfahren konnte und in drei Ländern ebenfalls gewählt wird, sieht es alles andere als rosig aus. In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Partei zwar noch bei 7 Prozent, in Sachsen-Anhalt aber nur bei 6 Prozent, in Berlin spielt sie mit 4 Prozent keine große Rolle mehr.

Buhrufe für den „Thüringer Weg“

Damit nicht genug, knallt es innerparteilich mittlerweile an allen Enden und Ecken. Insbesondere ein Thema sorgt für verbissene Grabenkämpfe: die Frage, ob sich das BSW auf Fundamentalopposition versteifen oder – so sie denn die Möglichkeit dazu hat – offen für die Übernahme von Regierungsverantwortung sein soll.

Wagenknecht und ihre Prä­to­ria­ne­r:in­nen machen keinen Hehl daraus, dass sie vor allem die Koalition mit CDU und SPD in Thüringen für einen schweren Fehler halten. Zu viel Zugeständnisse, zu pragmatisch, zu unabhängig von der Berliner Parteizentrale, zu wenig auf Linie.

Thüringens Infrastrukturminister Steffen Schütz verwahrte sich letztlich auf offener Bühne dagegen, dass die Regierungsbeteiligung in Erfurt von zu vielen in der Partei als „Betriebsunfall“ diskreditiert wird. Seine „Vision“ für die Zukunft des BSW sei es zudem, dass aufgehört werde, „gegen die eigenen Kritiker Krieg zu führen“. Schütz wurde ausgebuht.

Es mangelte zwar am ersten Tag des Parteitreffens nicht an Aufrufen zur Geschlossenheit. „Es braucht ein BSW, nicht verschiedene BSWs“, sagte etwa Bayerns Landeschef Klaus Ernst. Dies aber nur, um den Par­tei­freun­d:in­nen in Thüringen im nächsten Moment erst recht eine mitzugeben: „Keiner wurde gewählt, weil er besonders gut oder besonders schön war, das war nur wegen Sahra.“ Er erwarte von den Mi­nis­te­r:in­nen einer Landesregierung, „dass da auch BSW drin ist und nicht nur BSW draufsteht“.

Ernst wird im bayerischen Landesverband aktuell vorgeworfen, ein „Klima der Angst und Einschüchterung“ zu schüren. Geschenkt, in Magdeburg gab es Standing Ovations für den 71-Jährigen. Der schon in Vergessenheit geratene ehemalige Bundesvorsitzende der Linkspartei durfte sich für seinen Anrempeleien der eigenen Par­tei­kol­le­g:in­nen noch einmal feiern lassen. Die Thüringer Delegation war weniger begeistert.

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