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Özgün Baştaş beim Spaziergang mit einem Hund aus dem Tierheim in Istanbul Foto: Lukas Nickel

Tötung von Straßenhunden in der TürkeiVom Bordstein ins Tierheim

Ein Jahr nach dem Tiertötungsgesetz organisieren Ak­ti­vis­ten Proteste und schützen Straßenhunde – und damit auch das, was für sie zur Türkei gehört.

Aus Istanbul und Aydin

Lukas Nickel

Ö zgün Baştaş fragt sich beim Aufstehen, warum sie sich so früh am Morgen auf den Weg macht. Doch die Hunde warten, und ihre Freude treibt sie an. Baştaş Tag wird noch lang. Jeden Samstag besucht die 34-Jährige mit einer Nachbarschaftsgruppe ein nahegelegenes Tierheim des Istanbuler Stadtteils Kadıköy, um mit den Hunden spazieren zu gehen. Und das ist streng getaktet: 30 Minuten pro Hund, ein Freiwilliger pro Tier. Große Hunde werden zu zweit betreut – sicher ist sicher.

Nur selten dürfen Freiwillige in Tierheime. Das Gelände ist weitläufig, doch rund 300 Hunde sind in kleinen Käfigen untergebracht, allein oder in Gruppen. Der Geruch von Kot und Urin beißt in der Nase, begleitet vom unaufhörlichen Bellen. Draußen beim Spaziergang ziehen die Hunde so stark an ihren Leinen, dass man sich fragt, ob sie sich dabei nicht selbst wehtun. Hauptsache raus, scheint ihr einziger Gedanke. Die Gruppe sammelt regelmäßig Spenden für Medikamente und hat das Tierheim überzeugt, das Futter für die Tiere zu wechseln. Das vorherige habe die Verdauung der Tiere belastet.

Kaum eine staatliche Einrichtung kann sich derzeit artgerecht um ihre Hunde kümmern, berichten die freiwilligen Helfer. Seit dem neuen Gesetz, das im Sommer 2024 verabschiedet wurde, dürfen Hunde unter bestimmten Bedingungen getötet werden. Zum Beispiel, wenn sie krank sind oder gefährlich. Der Platz für Tiere sei nicht die Straße, sondern das Tierheim, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan damals. Eine Maßnahme, hinter der viele ein politisches Kalkül vermuten, das ablenken soll von den anderen Problemen der Türkei.

Spätestens seitdem sind die Tierheime zum Bersten gefüllt, so die Aktivisten. Die Regelung beschreiben sie als „Massaker-Gesetz“. Wie viele Hunde es überhaupt gibt, weiß niemand genau. Schätzungen gehen von etwa 4 bis 10 Millionen Hunden aus. Die Vereinigung zur Tierrechtsüberwachung, die Hayvan Hakları İzleme Komitesi, hat für einen im Februar 2025 veröffentlichten Bericht Gemeinden in der Türkei angefragt. Daraus geht hervor: Insgesamt gebe es nur gut 89.000 Tierheimplätze im ganzen Land, was eine enorme Lücke zwischen den vermutlich Millionen Hunden und den vorhandenen Plätzen offenbart. Nur 273 der Gemeinden hätten überhaupt Tierheime. Der Rest verfüge entweder über keine Einrichtungen oder habe nicht auf Anfragen geantwortet. Die Zahlen sind also mit Vorsicht zu genießen, geben aber einen Anhaltspunkt für die Kapazitäten der Tierheime.

Türkeis Straßentiere

Das TiertötungsgesetzIm Sommer 2024 verabschiedete die türkische Regierung ein Gesetz, das die Tötung von Straßenhunden unter bestimmten Bedingungen erlaubt – etwa bei Krankheit oder wenn sie als gefährlich gelten. Offiziell soll es die Zahl der Hundeangriffe reduzieren. Kritiker vermuten dagegen politisches Kalkül und warnen vor systematischen Tötungen.

Frühere RegelungBereits 2004 wurde im Zuge der EU-Annäherung das Tierschutzgesetz (Paragraf 5199, Artikel 6) verabschiedet. Es schrieb das Prinzip „Fangen, Sterilisieren, Freilassen“ vor und verpflichtete Gemeinden, Tierheime zu bauen. Doch nur rund 7 Prozent der Kommunen setzten diese Pflicht um. Wohin staatliche Gelder für die Tierheim-Infrastruktur geflossen sind, bleibt laut Ak­ti­vis­t:in­nen unklar.

Konflikt und UmsetzungSeit Inkrafttreten des neuen Gesetzes sind Tierheime weiter überlastet, Ak­ti­vis­ten berichten von Hunger, Krankheiten und hohen Sterberaten. Tierschutzgruppen fordern die Rückkehr zur Sterilisierung statt Tötung und warnen vor dem Verlust jahrzehntelanger Bemühungen, eine tierfreundliche Straßenhundpolitik aufzubauen.

Horrorgeschichten aus Tierheimen

Deshalb geht Baştaş jede Woche zur Demo. Seit 50 Wochen kommt die Nachbarschaftsgruppe um sie herum jeden Samstag in Kadıköy zusammen. Baştaş hat Elektrotechnik studiert und arbeitet heute als Webentwicklerin. Sie lebte in Griechenland und in den USA. Dank ihrer Ausbildung könnte sie die Türkei eigentlich verlassen, weit weg von den Problemen. Doch das hieße auch: weg von Familie, Freunden und Heimat. Und das will sie nicht. Politisch aktiv war sie vorher nicht – bis ihre Grenze erreicht war. Für manche sind es Frauenrechte, für andere Arbeitsrechte, für sie sind es Tierrechte.

Rund 20 Demonstrierende stehen hier, umringt von ebenso vielen Einheiten der Polizei. Die Forderung ist klar: Das Gesetz zurücknehmen und die Hunde nicht länger von der Straße in die Tierheime holen. Stattdessen sollen die Hunde geimpft, sterilisiert und wieder freigelassen werden. Straßenhunde gehören für sie zum Land und seiner Kultur und ohnehin gebe es nicht genügend Tierheimplätze. Eine Straßenbahn fährt regelmäßig vorbei und übertönt die Reden. Nicht der beste Ort, um viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch es ist der Platz, den die Behörden ihnen zugewiesen haben. Ernsthafte Probleme mit der Polizei gab es bisher keine, sagt Baştaş. Angst haben sie daher nicht. Vorsichtig sind sie trotzdem.

Die Aktivisten erzählen von den zahlreichen Horrorgeschichten über die schlechten Bedingungen in den Heimen bis hin zu massenhaften Tötungen der Tiere. Einer, der diese Zustände dokumentiert hat, ist Onur Temel. Mit einer Gruppe Freiwilliger hat er vor circa einem Jahr ein Tierheim in Ümraniye besucht, einem Ortsteil von Istanbul. Auf den Videos von Temel sieht man kranke Hunde und Katzenkadaver. Die Freiwilligen berichten, wie die Tiere in Käfigen zusammengepfercht wurden und entweder abgelaufenes oder nicht ausreichendes Futter erhielten.

Kaum eine staatliche Einrichtung kann sich derzeit artgerecht um ihre Hunde kümmern

Ihr Gesundheitszustand sei schlecht gewesen. Schnell ruft die Gruppe auf Social Media dazu auf, zum Tierheim nach Ümraniye zu kommen. Noch am selben Tag findet eine Demonstration statt. Es kommt zu Handgemengen mit dem Personal, das sie nicht mehr in das Tierheim lassen möchte, berichtet Temel. Danach organisieren die Aktivisten eine Mahnwache. Tag und Nacht kampieren sie gut ein Jahr lang vor den Türen der Anlage. Das Ziel der Aktion war es, Öffentlichkeit zu schaffen und Druck auszuüben auf die Verantwortlichen des Tierheims. Doch auch ein Jahr später „hat sich nichts geändert“, so Temel.

Lisanne Hillen in ihrem privaten Tierheim in Aydin Foto: Lukas Nickel

Trotzdem machen sie in Istanbul weiter mit ihren samstäglichen Demonstrationen. Mit dabei ist auch Zeynep, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte. Sie kümmert sich mit anderen zusammen um den Social-Media-Auftritt der Tierrechte-Plattform Yaşatacağız. Zum Treffen kommt sie mit mehreren Seiten handgeschriebener Notizen, auf denen Pfeile nach oben und unten Querverbindungen herstellen, und mit einem Plakat für die Demo, die später stattfindet.

Wie Baştaş war auch Zeynep vorher politisch nicht aktiv. Jetzt kommt sie samstags zum Demonstrieren und kümmert sich um die Hunde in ihrem Viertel. Ende November hat das Gouverneursamt der Provinz Istanbul das Füttern von Straßenhunden im öffentlichen Raum in großen Teilen verboten, unter anderem in Parks, Gärten, an Straßenrändern und vor Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie Gotteshäusern. Eine Regelung, die entgegen aktuellem Tierrecht stehe, kritisieren Tierschützer. „Die Menschen füttern trotzdem weiterhin Straßentiere“, erzählt Zeynep. Und dabei handle es sich nicht nur um Tierschützer, sondern auch Menschen, die vorher nicht als Aktivisten unterwegs waren.

Dass Regierung und Kommunen solche Regelungen entgegen dem Willen der Bevölkerung beschließen, zeige, wie sehr die Demokratie im Land verfallen sei, sagen die Aktivisten hinter vorgehaltener Hand. Ob es Zeynep schwerfalle, die Motivation bei all den Schwierigkeiten zu bewahren? Die Tiere können nicht für sich selbst kämpfen, antwortet sie. „Nur wir können etwas für sie tun. Die Hunde brauchen uns. Deswegen ist dieser Kampf so wichtig, dass ich nicht aufhören kann“, sagt Zeynep. Auch, wenn sie manchmal Angst haben, zu laut ihre Meinung zu sagen. Dabei geht es ihr auch darum, wie die Türkei ihr gesellschaftliches Leben organisiert. Nachrichten von Gewalt und Tötungen von Tieren würden die Gesellschaft gegenüber Gewalt weiter abstumpfen. „Ob gegen Frauen, LGBTQ+ oder die Umwelt – wenn Gewalt alltäglich wird, nehmen auch Hass und Grausamkeit weiter zu“, erklärt Zeynep.

Hinter dem Gesetz, das die Tötung von Hunden erlaubt, steckt ein reales Problem. „In der Türkei sind zahlreiche Menschen, etwa Kinder und Ältere sowie Haus- und Wildtiere durch Angriffe von Straßenhunden ums Leben gekommen. In diesem Jahr gab es, wie aus den Nachrichten hervorgeht, in den letzten 13 Monaten mehr als 35 Tote und viele Hunderte Schwerverletzte“, erklärt Prof. Dr. Nilüfer Sabuncuoğlu von der Fakultät für Veterinärmedizin an der Atatürk Universität in Erzurum. Das Ziel sei klar, sagt die Forscherin und liegt damit auf Regierungslinie: Keine Hunde mehr auf den Straßen, denn ein Toter sei einer zu viel. Knapp 60 Prozent der Hunde seien so mittlerweile vielerorts von den Straßen entfernt worden, erklärt Sabuncuoğlu unter Berufung auf Regierungskreise. Bisherige Sterilisierungskampagnen seien gescheitert und die Hundepopulation weiter gestiegen. Die Hauptgründe, so die Forscherin: Zu geringe technische und personelle Kapazitäten bei zu vielen Hunden im Land.

Das Problem mit den berichteten Fällen von Hundeangriffen: Viele davon seien falsche Darstellungen, halten die Aktivisten dagegen. „Regierungsnahe Organisationen oder Personen scheinen die Nachrichten zu verbreiten, um die Basis der Regierungspartei AKP zu konsolidieren und die Gesellschaft zu polarisieren“, sagt, etwas verklausuliert, Anwältin und Tierrechtsaktivistin Sevcan Çamlıdağ. Im Klartext: Es werde aus politischen Gründen Stimmung gegen die Hunde gemacht, und die Regierung kann zeigen, dass sie stark ist und Probleme regelt.

Welche Berichte im Detail der Wahrheit entsprechen oder nicht, ist schwer nachzuvollziehen. Allerdings geben auch viele Aktivisten zu, dass Straßenhunde zum Problem werden können. Lisanne Hillen leitet ein privates Tierheim in der Stadt Aydin im Südwesten der Türkei. Die Tiere vermittelt die Niederländerin weiter nach Europa. Vor ihrem Zuhause beispielsweise gebe es zwei Rudel große Straßenhunde. Diese würden andere Hunde angreifen und hinter Motorrädern und Autos herbellen.

Tierschützer setzen sich für Hunde ein: Protest in Istanbul Foto: Lukas Nickel

Eigentlich war in ihrer Einrichtung Platz für 20 Hunde eingeplant, dann sind es 50 geworden und seit dem neuen Gesetz laufen hier 100 Hunde herum. Normalerweise zu viele für den begrenzten Platz. „Entweder hole ich die Hunde zu mir oder sie sterben in den Tierheimen“, sagt Hillen dazu. Sie zweifelt an systematischen Hundetötungen, woran viele in der Türkei glauben, auch wenn es natürlich Fälle von gezielten Tötungen gebe. Die schlechten Bedingungen in vielen Tierheimen würden allerdings schon ausreichen, dass die Tiere sterben, ob an Mangelernährung, Krankheiten oder weil sie sich gegenseitig totbeißen.

In die Türkei ist sie für ihren türkischen Mann gekommen, unter der Bedingung, dass sie ihre kleine Auffangstation gründen kann. Sie empfand es als unfair, dass Hunde in der Türkei ein Leben auf der Straße führen müssen, während sie in Europa leicht ein Zuhause finden würden. Die Tiere bei Hillen laufen frei und sind nicht in Zwinger gesperrt. Es gibt Bäume und Schattenplätze. Überall stehen Trink- und Futternäpfe. Wenn sie das Gelände betritt, hasten die Hunde auf sie zu und springen an ihr hoch. Die Tiere kommen von der Straße, doch nur die wenigsten müssen in einen abgetrennten Bereich, etwa weil sie aggressiv sind. Hillen kennt die Namen all ihrer gut 100 Hunde, auch wenn diese ihn meist selbst nicht kennen. Nur die Frechen hören mittlerweile auf ihren Namen, weil sie diese häufiger ermahnen muss, erzählt Hillen.

Jeden Tag kümmert sie sich um die Tiere. Wenn ihr Mann sie nicht ab und zu bremsen würde, könnte sie den ganzen Tag hier verbringen, sagt sie. Einen großen Teil der Arbeit macht die Reinigung der Käfige aus. Dafür ist es hier deutlich sauberer als in staatlichen Tierheimen wie dem, bei dem Baştaş und ihre Gruppe mit den Hunden in Istanbul spazieren. Zum örtlichen Tierarzt fährt Hillen mehrmals pro Woche. Die Medikamente für ihre Hunde nimmt sie sich selbst vom Tresen, das Personal lässt sie direkt passieren. Einige ihrer Hunde wird sie nie vermitteln können, weil sie zum Beispiel krank sind. Hillen behält sie trotzdem. Den Tieren hier geht es verhältnismäßig gut, das merkt man schnell.

Politisches Kalkül hinter dem Gesetz

Vor allem, als die Regelung im vergangenen Jahr beschlossen wurde, hatte Hillen viele Anfragen für Adoptionen. Mittlerweile sei es ruhiger geworden. Manche Hunde bleiben hier mehrere Jahre, bei manchen dauert es nur ein paar Monate. Für eine Vermittlung bezahlen die Adopteure 500 Euro, der Hund ist dann geimpft und gesund. Den Rest der Kosten von durchschnittlich insgesamt 700 Euro pro Hund finanzieren Hillen und ihr Team durch Spenden. Eine Nischenlösung, doch wenigstens helfe sie den Hunden, die sie vermitteln kann.

In der Türkei kam es landesweit zu Demonstrationen gegen das Gesetz. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Conda von Juli 2024 sind knapp zwei Drittel der Befragten für eine andere Lösung als das Einschläfern von Hunden. Nur 15 Prozent der Befragten sprechen sich aktiv für die Möglichkeit einer Einschläferung aus. „Entgegen der Darstellung in den sozialen Medien kann man sagen, dass der Anteil derjenigen, die eine so harte Methode wie das Einschläfern von Tieren für notwendig halten, nicht besonders hoch ist“, kommt die Studie zum Schluss.

Die Hunde brauchen uns. Deswegen ist dieser Kampf so wichtig, dass ich nicht aufhören kann

Zeynep, Aktivistin

Hinter dem Gesetz vermuten viele auch eine Maßnahme, um bei Bedarf Druck auf politische Gegner ausüben zu können. Denn die Regelung beinhalte Strafen für Bürgermeister und Gemeinden, die die Bestimmungen nicht umsetzen, erklärt Hillen. Das Ganze sei zu einer Zeit gekommen, in der die Regierungspartei gerade viele Gemeinden bei den Wahlen verloren hatte, so Hillen, daher „war es sehr clever, die Schuld und Verantwortung den Gemeinden zuzuschieben“.

Neue Woche, neue Demo

Wer die Istanbuler Aktivisten etwas begleitet, der verliert schnell den Überblick, was gerade passiert. Direkt am Dienstag nach der Demonstration am Wochenende findet schon die nächste Kundgebung statt. Ein neues Rundschreiben der Regierung weise darauf hin, dass als gefährlich eingestufte Arten wie etwa Pitbulls in Tierheimen nicht zur Adoption freigegeben werden dürfen.

Ein Todesurteil für die Hunde, die damit auf keinen Fall mehr aus den Tierheimen herauskommen können, kritisieren sie hier. Eine kleine Gruppe Demonstrierende hat sich an diesem Dienstagmorgen versammelt. Auch dieses Mal sind viele bekannte Gesichter dabei. Dafür haben sie sich ein paar Stunden freigenommen von ihren Jobs. Hinter ihnen ragt ein Gebäude der Provinzdirektion des türkischen Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft hervor, inklusive überlebensgroßem Atatürk-Banner. Um sie herum sind gut 50 Polizeikräfte versammelt. Manche in Zivil, manche mit Schutzanzügen, Helmen und hohen Schilden ausgestattet.

Eine Demonstrantin hat ihren Dackel mitgebracht, der, freudig und unwissend, an einer Polizistin der Gruppe mit den ausladenden Schilden hochspringt. Ein kurzes Lächeln können sich die Einsatzkräfte nicht verkneifen. Dann geht die Kundgebung los. Sportliche gekleidete Männer filmen mit einem Camcorder, teilweise mit dem Handy und einer kleinen Actionkamera, ähnlich einer GoPro. Die Demonstrierenden sind sich sicher, dass das die Polizei ist, und witzeln: Man habe schon überlegt, die Einsatzkräfte nach ihren Aufnahmen zu fragen, wenn man selbst niemanden hatte, der filmen konnte. Dann skandieren sie ihre Parolen: „Euer Massaker-Gesetz stinkt nach Blut, eure Heime stinken nach Blut.“

Auch Özgün Baştaş ist wieder dabei. Letztlich, beschreibt sie nach der Demo, repräsentierte das Füttern und Pflegen von Straßentieren für sie eine kleine, aber bedeutende Freiheit. Hunde gehören für sie zur Türkei dazu. Etwas also, dass ihr jetzt weggenommen wird, und darum geht es vielleicht auch. Den Kampf darum, wie das Land aussehen soll, was bleiben und was gehen soll. Es gehe hier um ihre Rechte und um die Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwann ändern, sagt sie.

Mit der Gruppe aus ihrer Nachbarschaft aktiv zu werden, das sei für sie wie Therapie. Wer hier demonstriert, kämpft also auch um die Zukunft des Landes und längst nicht mehr für die Hunde. Es geht um die Frage, ob in der Türkei noch Platz bleibt – für Mitgefühl, für Widerspruch und für Freiheit. Auch, wenn sie sich als Aktivistin manchmal machtlos vorkomme gegenüber dem, was um sie herum passiert, sagt Baştaş. „Es ist wichtig für mich, und da spreche ich auch für meine Freunde, dass ich später sagen kann: Ich war da. Ich habe das Richtige getan. Ich habe mich eingesetzt. Ich wusste, wo ich stehe.“

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2 Kommentare

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  • Gut. Und jetzt? Ab nach Deutschland? Genau wie die Hunde aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn?



    Die deutschen Tierheime sind voll, aber Hunde werden importiert. Werde ich nie verstehen!



    Und getötet werden die Hunde sowohl hier als auch dort. Traurig aber wahr.

  • Ich möchte in südlichen Ländern nicht von einer Horde Strassenhunde belästigt werden, die diverse Krankheiten, schlimmstenfalls Tollwut, mit sich rumschleppen.



    Die Hunde in Tierheimen verhungern zu lassen, kann aber auch nicht die Lösung sein. Kastrieren, und kranke und aggressive Hunde euthanasieren wäre wohl eher die Lösung. Und die nachhaltigste.



    Aber bitte keine Importe solcher Hunde nach D, die oft mies sozialisiert sind und dann hier im Tierheim landen als unvermittelbar.