Eklat bei Protesten in Gießen: Der schmale Grat der Pressefreiheit
Auf der Demo gegen die Gründung der AfD-Jugend wird „Bild“-Vizechef Paul Ronzheimer bedrängt. Legitimer Protest oder Eingriff in die Pressefreiheit?
Bei den Protesten gegen die Gründung der AfD-Parteijugend am vergangenen Wochenende in Gießen geriet Bild-Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer in eine brenzlige Situation. Mehrere Videos davon kursieren im Netz. In einem stehen einige Menschen um ihn und sein Team herum, rufen: „Haut ab.“
Ein anderes Video zeigt, wie eine Person von einem Lautsprecherwagen sagt, dass es Ronzheimer sei, der vor Ort gerade um Interviews bitte. Und dass die Demonstrierenden es sich überlegen können, ob sie ihm ein solches geben möchten. Dann sagt der Sprecher, die Bild-Zeitung habe bei der Demo nichts zu suchen, weil sie „im Interesse der großen Konzerne den Boden bereitet für eine Koalition von CDU und AfD“.
Ronzheimer sagt der taz am Telefon, er sei mit seinem Team vor Ort gewesen, um für die Sat1-Sendung „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ vom AfD-Kongress und den Gegenprotesten zu berichten. Bei der Demo hätten sie versucht, Interviews zu führen. Nachdem er mit zwei, drei Menschen gesprochen habe, hätten andere begonnen, Stimmung gegen ihn zu machen.
„Richtig ungemütlich wurde es dann, als vom Lauti der Aufruf gegen uns kam. Dann schrien alle: ‚Haut ab‘, ‚Nazis raus‘, ‚Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda‘“, sagt er. Hunderte hätten das gerufen.
Als das Team die Dreharbeiten abbrechen will, seien ihnen viele gefolgt, so Ronzheimer. Auch davon gibt es ein Video. Zu sehen ist, wie Ronzheimer und seine Kollegen aus der Demo herauslaufen. Im ersten Moment sind ihnen einige Demonstrant*innen sehr nah, dann geht das Team nach vorn und zu den Seiten hin relativ unbedrängt – begleitet jedoch von vielen Rufen.
Von der Polizei eskortiert
Wie viele Menschen ihnen folgen, ist nicht zu erkennen. Ein Journalist des Hessischen Rundfunks, der die Situation mitbekam, schrieb, es seien „gut hundert“ gewesen, die Ronzheimer und sein Team zunächst „eingekreist“ hatten. Im Anschluss wurde die Gruppe von der Polizei auf das Gelände der Stadtwerke eskortiert und für eine Stunde isoliert.
Laura Wolf, eine Sprecherin des „Widersetzen-Bündnisses“, verteidigt das Vorgehen der Demonstrant*innen. „Widersetzen steht gegen rechte Hetze, deshalb waren Ronzheimer und andere Bild-Leute unerwünscht.“ Weil das Blatt regelmäßig vom Presserat wegen Verstößen gegen den Pressekodex gerügt werde, bestehe keine Grundlage für eine journalistische Zusammenarbeit. Mit konservativen Medien wie FAZ oder Welt habe das Bündnis hingegen aktiv kooperiert, sagt sie.
Auch die von Ronzheimer kritisierte Lautsprecherdurchsage verteidigt Wolf: „Vom Vize-Chef der Bild lassen wir uns nicht über politische Stimmungsmache belehren. Wer Hass gegen Menschen sät, die vor Krieg und Hunger fliehen, braucht sich nicht wundern, wenn er nirgends mehr willkommen ist.“
Hendrik Zörner, ein Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), sieht den Vorfall kritisch. „Das geht nicht. Man muss Bild und Ronzheimer nicht mögen. Aber jeder, der als Presse erkennbar ist, muss frei recherchieren können.“
Zur Frage, ob es darüber hinaus Probleme mit der Pressefreiheit während der Widersetzen-Proteste gegeben habe, sagt er: „Keine DJV-Mitglieder, die vor Ort waren, haben von Problemen berichtet.“
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