Afghanistan-Politik der Bundesregierung: Wortbruch in Serie
Gerade erst hat Innenminister Dobrindt die deutsche Verantwortung für afghanische Ortskräfte betont. Nun wurde weiteren Afghan*innen die Aufnahmezusage entzogen.
Erst am Mittwoch vergangener Woche hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) im Innenausschuss bekräftigt, Deutschland habe eine „nachlaufende Verantwortung“ für die afghanischen Ortskräfte. Doch kaum schien die Bundesregierung ihre Blockadehaltung bei den Evakuierungen ehemaliger deutscher Partner*innen in Afghanistan zu mäßigen, geht es offenbar schon wieder rückwärts.
Wie sich herausstellte, entzog sie seit Mitte November 122 weiteren Afghan*innen, denen im sogenannten Ortskräfteprogramm die Aufnahme in Deutschland versprochen worden war, diese Zusagen wieder. Das teilte die Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke mit. Ihren Angaben zufolge treffen diese Rücknahmen 26 Antragsteller*innen, die für die jetzt SPD-geführten Ministerien für Verteidigung (BMVg) und Entwicklung (BMZ) gearbeitet hatten, und deren Familienmitglieder. Das Bundesinnenministerium (BMI) und das BMZ äußerten sich auf taz-Anfrage am Freitag bis Redaktionsschluss nicht, das BMVg nicht zu den jüngsten Fällen.
Vier der Absagen kamen diesen Mittwoch, am selben Tag, als die Bundesregierung 192 Afghan*innen per Charterflug einreisen ließ. Zuvor, von August bis Ende November, kamen rund 180 einreiseberechtigte Afghan*innen mit normalen Linienflügen. Bisher charterten Bundesregierungen nur Flugzeuge für Abschiebungen nach Afghanistan.
Fast die Hälfte betroffen
Vom Entzug der Aufnahmezusage betroffen ist damit fast die Hälfte aller noch nicht eingereister Personen aus dem Ortskräfteprogramm, einem von vier Afghanistan-Aufnahmeprogrammen. Darunter ist ein ehemaliger Polizeiausbilder, der zehn Jahre lang im Auftrag des BMZ arbeitete. Die afghanische Polizei stellte die erste Verteidigungslinie im Kampf gegen die Taliban. Ihre Angehörigen und Familien werden deshalb bis heute von den neuen Machthabern gesucht oder drangsaliert. Auch zwei Frauen mit Kindern sind dabei, deren Männer bereits in Deutschland sind. Die Bundesregierung trennt damit Familien.
Bei den weiteren Aufnahmeprogrammen handelt es sich zum einen um die Menschenrechtsliste für gefährdete frühere afghanische Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen, die die Bundesregierung während des Afghanistan-Krieges 2001–21 finanziell förderte. Sie war nur zwei Wochen lang offen.
Zum anderen gab es das im Oktober 2022 nach langer Verzögerung gestartete und nie richtig in Gang gekommene Bundesaufnahmeprogramm (BAP) sowie dessen Vorgänger, das sogenannte Überbrückungsprogramm. Seit Friedrich Merz’ Übernahme der Kanzlerschaft können auch für diese Programme keine Kandidat*innen mehr benannt werden. Altfälle muss die Bundesregierung aber noch abarbeiten. Das geschieht nicht freiwillig, sondern auf Druck von etwa 80 Gerichtsentscheiden.
Dobrindt verhärtet Afghanistanpolitik
Auch an anderer Stelle verhärtet Dobrindt die deutsche Afghanistanpolitik. Anfang der Woche erklärte er, dass sein Ministerium Personendaten mit Vertretern der afghanischen Botschaft in Berlin austausche. Die Bundesregierung verhandelt seit Längerem mit den Taliban über eine Vereinbarung zu regelmäßigen Direktabschiebungen nach Afghanistan. Dazu erlaubte sie deren Regime, Konsularbeamte in Deutschland zu installieren. Die Daten dürften auch dem berüchtigten Geheimdienst GDI in die Hände fallen, der alle Institutionen des Talibanregimes durchdringt.
Zudem ließ der CSUler durchblicken, dass er auch Abschiebungen afghanischer Frauen nicht ausschließe. Es gehe ihm zwar zunächst um Straftäter und Gefährder, aber zwischen Männern und Frauen unterscheide das Gesetz nicht. Wohl aber der Europäische Gerichtshof: In einem Meilenstein-Urteil sprach er im Oktober 2024 Afghaninnen pauschal Asylrecht zu.
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