Gentechnik: EU schafft Pflicht zur Kennzeichnung ab
Kunden können künftig im Supermarkt nicht mehr erkennen, ob Essen gentechnisch verändert ist. Die Bio-Landwirtschaft stellt das vor Risiken.
Die Einigung kam mitten in der Nacht und sie dürfte Verbraucher und Bio-Landwirte noch lange beschäftigen: Um angeblich unschädliche neue Verfahren zu fördern, soll es in der EU künftig weniger Umweltprüfungen für gentechnisch veränderte Pflanzen geben – und keine verpflichtende Kennzeichnung im Supermarkt. Darauf haben sich Unterhändler des Europaparlaments und der Mitgliedsstaaten am Donnerstag in Brüssel geeinigt.
Die EU will mit dem Kompromiss den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) erleichtern. Dafür werden zwei neue Kategorien für genetisch veränderte Pflanzen eingeführt. In die erste Kategorie fallen demnach Sorten mit begrenzten Eingriffen, etwa durch die „Gen-Schere“ Crispr-Cas. Hier werden die Vorschriften gelockert. Für stärker gentechnisch veränderte Pflanzen sollen hingegen weiter strenge Regeln gelten.
Was technisch klingt, hat handfeste – aber schwer nach-vollziehbare – Auswirkungen im Supermarkt. Denn es geht nicht nur um die Pflanzen, sondern auch um die Lebensmittel, die mit diesen Pflanzen erzeugt werden. Diese Lebensmittel sollen künftig keinen Hinweis tragen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen aus der ersten Kategorie enthalten. Gekennzeichnet wird nur noch das Saatgut.
Für die Kunden wäre damit nicht mehr ohne Weiteres ersichtlich, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen, kritisieren Verbraucherschützer. Das sei „mehr als enttäuschend“, erklärte Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). „Die ganz große Mehrheit der Verbraucher:innen will keine Gentechnik im Essen“, ist Hissting überzeugt.
Dieser Meinung ist auch der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Er spricht von einer „Bedrohung der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie für Umwelt und Verbraucherschutz in Europa“. Es gehe bei dem Beschluss nicht nur um die Pflanzen und die Verbraucher, sondern auch um die Industrie und die Patente: „Während die Agrar- und Gentechnikindustrie heute die Sektkorken knallen lässt, blickt der gentechnikfreie Sektor einer Zukunft voller Risiken und Unsicherheiten entgegen.“
Sektkorken knallen
Die industrielle Agrarlobby drängt seit Jahren darauf, neue gentechnische Verfahren wie Crispr-Cas aus der EU-Gesetzgebung herauszulösen. Außerdem will sie diese Verfahren und die Produkte patentieren lassen. Diesem Druck seien viele EU-Mitgliedstaaten und die konservative Mehrheit im Parlament bereitwillig gefolgt, klagt Häusling. Dabei gebe es keine wissenschaftliche Grundlage für die nun geplante Unterscheidung in zwei Kategorien.
Dem widerspricht der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. „Neue Züchtungstechnologien bieten Landwirten und Verbraucherinnen und Verbrauchern viele Möglichkeiten“, sagte er. „Als Arzt mit Erfahrung in der Humangenetik bin ich fest davon überzeugt, dass die Risiken vollständig unter Kontrolle sind.“ Zudem habe das Parlament das Recht der Landwirte bekräftigt, ihr eigenes Saatgut auf ihren eigenen Feldern zu verwenden. Dies sei ein Fortschritt.
Von einem „historischen Tag“ sprach die konservative Europaabgeordnete Jessica Polfjärd. Europas Landwirte erhielten nun Zugang zu Nobelpreis-gekrönten Technologien und könnten Pflanzen züchten, die der Klimakrise besser widerstehen. Das sei auch wichtig für die Versorgungs-Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit. Die EU-Kommission erklärt Wettbewerbsfähigkeit zum neuen Imperativ, ihr werden viele andere Ziele untergeordnet.
Die neue EU-Regulierung muss noch im Plenum des Parlaments und im Ministerrat gebilligt werden, damit sie in Kraft treten kann. Dabei richten sich wieder alle Blicke auf Deutschland. Häusling rechnet mit einem „German vote“, also einer Enthaltung. Allerdings dürfte dies nicht reichen, um den Entwurf noch zu Fall zu bringen.
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