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Stress bei jungen MenschenErst Burnout, dann Aktivismus

Kommentar von

Wlada Froschgeiser

Viele junge Menschen geben an, Stress mit politischem Engagement entgegenzuwirken. Gut so, denn das ermächtigt sie und schafft Solidarität.

„Krieg ist dumm“: Schulkinder demonstrieren am 5. Dezember in Berlin-Kreuzberg gegen die Wehrpflicht Foto: Jeremy Knowles

K ein Wunder, dass der Stress steigt, bei den Nachrichtenfeeds. Ausdauer ist nötig für den Kachel-Parcours über Krieg, Inflation und Klimawandel – schwere Themen, die in Menschen häufig Gefühle der Ohnmacht hinterlassen, oder eben Stress, wie eine neue Befragung zeigt.

Der jährliche Report der Techniker Krankenkasse (TK) erhob diesmal zum ersten Mal, ob gesellschaftliche und politische Themen wie Wirtschaft, Krieg und Umwelt Stress bei den Befragten auslösen. Zu Recht, stellt sich heraus: Sie landen auf Anhieb auf Platz drei der häufigsten Stressauslöser.

Stress aufgrund politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Umstände lässt einen häufig machtlos fühlen. Was also tun gegen die Angst vor politischem Kontrollverlust? Die Befragten wirken ihrem politischen Unbehagen etwa durch Austausch oder Ablenkung entgegen. Ein ganzes Viertel derer, die in der politischen Großwetterlage einen Stressor sehen, engagiert sich in Reaktion darauf gesellschaftlich oder politisch. Das ist genau richtig.

Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit

Wer selbst aktiv wird, übt sich in zwischenmenschlicher Solidarität, die im Erstarken rechter Kräfte an vielen Orten zu schwinden droht. In der politischen Teilhabe gewinnen die Befragten ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

Außerdem schöpfen sie Selbstwirksamkeit daraus: Wie lange wir als Gesellschaft noch füreinander da sind, liegt auch in unseren Händen. So gewinnen sie Kontrolle zurück, das politische Engagement hebt sie aus ihrer Ohnmacht und wirkt so womöglich dem Stress entgegen.

Beeindruckend ist, dass bereits ein Viertel der Befragten mit politischer Beteiligung auf Stress antwortet. Scheinen sie zu verstehen, dass vermeintlich private Probleme und Sorgen Teil eines systemischen Missstandes sind?

Ein Beispiel veranschaulicht den Perspektivwechsel von privat zu politisch: Die Hälfte aller durch politische Themen gestresster Menschen schleppt Abstiegsängste mit sich herum. Ein weit verbreitetes neoliberales Denken beschuldigt Individuen dafür – man könne doch einfach mehr leisten und seine Chancen besser nutzen.

Antifa oder „Generation Deutschland“?

Eine politische Lesart verschiebt die Verantwortung dagegen zu staatlichen Entscheidungsträger*innen. Die Sichtweise kritisiert nicht länger die vermeintliche „Faulheit“ Arbeitsloser, sondern Chancenungleichheit oder die fragile soziale Absicherung im nicht mehr so „Sozial“-Staat. Gerade linke Organisationen halten diese Analyse hoch, plädieren für die systemische Brille.

Der Report der TK gibt leider keinerlei Auskunft darüber, wie politisches oder gesellschaftliches Engagement sich tatsächlich verteilt. Weder zerlegt er die Kategorie nach Altersgruppen oder Regionen noch nach Art der Mitwirkung. Letzteres ist entscheidend. Platt gesagt: Unklar bleibt, zu welcher Form des politischen Handelns auf dem Spektrum von Antifa und „Generation Deutschland“ die Befragten motiviert.

Solidarität mit allen Teilen der Gesellschaft und ein systemischer Blick für politische Verantwortung sind von rechten Organisationen jedenfalls nicht zu erwarten. Bleibt zu hoffen, dass sie nur einen Bruchteil der Befragten ausmachen.

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