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Gericht zur Aufnahme von Af­gha­n:in­nenWo bleibt die Menschlichkeit?

Gastkommentar von

Martin Sökefeld

Das Bundesverfassungsgericht weicht Deutschlands Zusage auf, gefährdete Af­gha­n:in­nen hier einreisen zu lassen. Das ist möglich, aber inhuman.

Sie hatte Glück: Eine afghanische Frauenrechtlerin darf im November aufgrund des Aufnahmeprogramms in Deutschland einreisen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

E nde 2022 bekam ein ehemaliger afghanischer Richter eine Aufnahmeerklärung der Bundesregierung nach Paragraf 22 des Bundesaufenthaltsgesetzes. Unter der alten Regierung in Kabul hatte er zahlreiche Urteile gegen Taliban gefällt und war daher nach deren Machtübernahme im August 2021 extrem gefährdet. Er konnte mit seiner Familie nach Pakistan fliehen, durchlief die Prozedur des humanitären Aufnahmeprogramms der Ampelregierung und wartete seit dem auf die Ausreise nach Deutschland. Aber nichts geschah.

Im September diesen Jahres erhob er mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Kabul Luftbrücke Verfassungsbeschwerde. Er klagte auf Vertrauensschutz, denn die neue Bundesregierung nahm reihenweise Aufnahmeerklärungen zurück. Die Betroffenen droht dann die Abschiebung nach Afghanistan, im Falle des Richters die Abschiebung in den Tod.

Am Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Die Bundesregierung muss dem Richter kein Visum erteilen, aber sie muss schnell entscheiden, ob sie ihm und seiner Familie die Einreise nach Deutschland ermöglicht. Es stimmt: Nach Paragraf 22 kann das Innenministerium zur „Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik“ aus dringenden humanitären Gründen Menschen nach Deutschland holen. Sie muss es nicht tun, der Paragraf begründet kein Recht der Betroffenen.

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Die humanitären Aufnahmeprogramme für Afghanistan entstanden noch unter der Merkel-Regierung. Sie wurden von der Ampelregierung fortgesetzt und mit dem Bundesaufnahmeprogramm auf eine Rechtsgrundlage gestellt, die den Betroffenen mehr Rechtsschutz gibt. Sie können erfolgreich auf Visa klagen. Den „Paragraf-22ern“ bleibt das versagt. So wird deutlich, worum es eigentlich geht: Um Humanität. Die steht unter der neuen Bundesregierung nicht hoch im Kurs, sie will alle Aufnahmeprogramme beenden. Nun kann die Regierung zeigen, ob sie noch ein Fünkchen Humanität besitzt, indem sie auch schutzbedürftige Menschen aufnimmt, bei denen sie rechtlich nicht verpflichtet ist.

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1 Kommentar

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  • Das wird unter Dobrint wohl nix mehr werden.



    Dafür möchte ich mich als deutscher Staatsbürger persönlich bei den Betroffenen entschuldigen. Ich habe Herrn Dobrint nicht gewählt, konnte es zudem nicht verhindern, dass er Minister wurde und unseren Staat wiederholt mit seiner Kompetenz nun nicht nur monetären sondern auch weltpolitischen Schaden zufügt.



    Ich hoffe und bete für den Richter und seine Familie, dass es hoffentlich noch zu einer positiven Entscheidung unserer Verwaltung für die sofortige Einreisegenehmigung kommt, damit ihr Überleben gesichert ist. Andernfalls darf Dobrint und viele Andere in der Verwaltung möglicherweise den ersten bekannten Mord wegen unterlassene zuvor zugesagte Aufnahme verantworten.