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BSW-Bundesparteitag in MagdeburgBündnis Sahras Wutbürger

Auf dem Bundesparteitag der Wagenknecht-Partei wird ständig von Aufbruch gesprochen. Über Strecken wirkt es eher, als stünden die Zeichen auf Abbruch.

Als Nachfolger von Sahra Wagenknecht steht nun Fabio De Masi an der Seite von Amira Mohamed Ali dem BSW vor Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Rainer Rutz

Aus Magdeburg

Rainer Rutz

Krieg und Aufrüstung, Sanktionen gegen Russland und CO₂-Abgaben, Zoll- und Sozialpolitik: Für den neuen BSW-Vorsitzenden Fabio De Masi ist alles Irrsinn. Oder Wahnsinn. Oder verrückt. Gefühlt in jedem dritten Satz seiner Antrittsrede auf dem BSW-Bundesparteitag in Magdeburg brachte De Masi am Sonntag eines der entsprechenden Wörter unter.

Am Abend zuvor war der EU-Abgeordnete zum Nachfolger von Parteigründerin Sahra Wagenknecht gewählt worden. Gemeinsam mit der alten und neuen Co-Chefin Amira Mohamed Ali steht der 45-Jährige nun an der Spitze einer Partei, die inzwischen nach eigenen Angaben zwar über 11.200 Mitglieder hat, zugleich aber in einer tiefen Identitätskrise steckt. Einer Partei, über die selbst prominente Delegierte hinter vorgehaltener Hand sagen, sie ähnele angesichts der Grabenkämpfe in mehreren Landesverbänden eher einer durchgeknallten Sekte.

Bei Fabio De Masi klang das dann so: „Alle, die gedacht haben, das BSW ist tot, die haben sich zu früh gefreut. Das BSW lebt.“ Die Partei erlebe einen Aufbruch, auch so ein Wort, das ständig gebraucht wurde. Die Krise – die ist bei ihm immer woanders.

In seiner Rede gerierte er sich eine geschlagene Stunde als Wutbürgers atemlose Stimme. Parole folgte auf Parole. Die Brandmauer gegen die AfD in den Parlamenten sei „doch plemplem“, Deutschland werde „das erste Opfer einer nuklearen Eskalation“ sein, die Polen wollten „die Nord-Stream-Terroristen“ nicht ausliefern: „Ja, wo leben wir denn, liebe Freundinnen und Freunde?“, rief De Masi den rund 660 Delegierten zu.

Der Parteitag in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt stellt eine Zäsur in der Geschichte des erst vor gut zwei Jahren gegründeten BSW dar. Denn den „lieben Freundinnen und Freunden“ ist am Samstag Sahra Wagenknecht als Parteivorsitzende abhandengekommen. Künftig will sie sich nicht mehr mit dem lästigen Klein-Klein des „Parteimanagements“ herumschlagen. Als Chefin einer, so Wagenknecht, „hochkompetenten Grundwertekommission“ kümmert sie sich nun um die großen politischen Linien des BSW.

Wagenknechts Wunsch ist weiter Gesetz

Der neue Posten wurde auf ausdrücklichen Wunsch der Parteikapitänin geschaffen. Und Wagenknechts Wunsch war und ist Gesetz im BSW. Die Ex-Bundestagsabgeordnete bleibt ohnehin die unangefochtene Lichtgestalt für die Partei. Keine andere Rede wurde an den zwei Tagen in der Magdeburger Messehalle derart frenetisch bejubelt wie die der neuen Vorsitzenden der Grundwertekommission, auch nicht die von De Masi.

So ging auch das unter ihrer Ägide vorher ausgesuchte Personaltableau für das neue Präsidium mit den beiden Vorsitzenden und sieben Stell­ver­tre­te­r:in­nen beim Parteitag komplett durch. Fabio De Masi bekam 93 Prozent der Delegiertenstimmen, für Amira Mohamed Ali votierten 83 Prozent mit Ja. Auch der neue Generalsekretär Oliver Ruhnert, Ex-Manager des Fußballbundesligisten 1. FC Union Berlin, wurde mit 93 Prozent gewählt.

Und noch etwas hält das BSW weiter zusammen: das Thema Frieden mit Russland. Auch wenn Wagenknecht erklärte, das BSW habe mehr als das Friedensthema zu bieten. Kaum ein Redebeitrag kam in Magdeburg aus ohne Friedensbeschwörungen, mal gemäßigter und differenziert, mal an der Grenze des Erträglichen. Letzteres bot am Sonntag die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Wagenknecht-Vertraute Sevim Dağdelen.

Vehement wetterte sie in ihrer Bewerbungsrede für den BSW-Bundesvorstand gegen die angeblich „Kriegsbesoffenen“ in den anderen Parteien. CDU-Kanzler Friedrich Merz sei „ein gefährlicher Gernegroß“ und „unheimlicher Lakai an der Seite der USA“. Auch lasse sich das BSW „nicht dumm machen“ von der „Propaganda“, von Russland gehe eine militärische Gefahr aus. Sie stehe für „ein souveränes und ein neutrales Deutschland“, rief Dağdelen. Der übergroßen Mehrheit der Delegierten sprach sie mit ihrer überdrehten Rhetorik offenkundig aus dem Herzen. Sie wurde ausführlich gefeiert.

Angriffe auf offener Bühne

Kri­ti­ke­r:in­nen der offiziellen Parteilinie jenseits der Friedensthematik hatten einen schweren Stand. Etliche Delegierte arbeiteten sich vor allem an den Kol­le­g:in­nen aus Thüringen und Brandenburg ab, die in Koalitionen mit „Kriegstreiberparteien“ mitregierten.

Auch Wagenknecht keilte mit und verteilte Kopfnoten für die BSW-Minister:innen. Brandenburgs Gesundheitsministerin etwa würde ihre Sache doch ganz gut machen, aber dass Finanzminister Robert Crumbach in der Potsdamer Regierung für die Medienstaatsverträge gestimmt habe, das gehe gar nicht, so Wagenknecht.

Zu Thüringen sagte sie, wenn sich das BSW von einer „Zwergpartei wie der Thüringer SPD und ihrem verhaltensauffälligen Innenminister, wenn wir uns von denen die Butter vom Brot nehmen lassen, dann werden wir Wähler enttäuschen. Und das sollten wir so nicht weitermachen“. Der Saal tobte. Die Mehrheitsverhältnisse waren klar. Thüringen, Brandenburg – das gilt als Verrat.

Katja Wolf will sich trotzdem nicht entmutigen lassen. Thüringens Finanzministerin vom BSW-Pragmatiker:innenflügel hat in der Vergangenheit mehrfach klargemacht, dass sie sich von der Parteizentrale in Berlin nichts vorschreiben lässt. Bei Wagenknecht und ihrer autoritären Entourage steht sie folglich auf der Abschussliste. Auf dem Parteitag ließ sie die wiederkehrenden Diskreditierungen ohne offene Gegenrede über sich ergehen.

Von einer Krise des BSW wollte Wolf gleichwohl nicht sprechen. „Aber es wird hier in Magdeburg schon deutlich, dass die Partei innerlich miteinander kämpft.“ Und, ja, eine „etwas vergiftete Atmosphäre“ sei leider unübersehbar und überhörbar, sagte sie zur taz.

Knackpunkt Ostquote

Die Thüringer BSW-Spitze hatte, ebenso wie der Brandenburger Crumbach, im Vorfeld des Parteitreffens dafür getrommelt, dass im neuen Vorstand auch Ostdeutsche hinreichend repräsentiert sind. Dies umso mehr, als im kommenden Jahr in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gleich drei Wahlen im Osten Deutschlands anstehen. In allen drei Ländern dümpelt die Partei an der 5-Prozent-Hürde herum. Vergeigt sie es hier, droht das BSW in der kompletten Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Die Parteigranden interessierten sich jedoch wenig für die Argumente der Ostquotenfraktion. Zuletzt wurde mit der neuen Bundesschatzmeisterin zwar noch eine BSW-Politikerin aus Sachsen in den Vorstand geschoben. Alle anderen in der Parteiführung aber kommen aus dem Westen. „Wir sind in den Landtagswahlkampf gezogen mit der Forderung 50:50 bei Führungspositionen“, kommentierte Wolf das Personaltableau. „Da wäre es schon schön, wenn das BSW diesen Anspruch auch an sich selbst hätte.“

Dennoch versuchte Wolf in Magdeburg, nach vorn zu schauen. „Es kann auch sein, dass der Impuls von diesem Parteitag hier auch positiv wirkt und man mit neuem Schwung in die neuen Wahlkämpfe geht“, sagte sie. Neben einer neuen Führung hat sich das BSW am Wochenende schließlich auch einen neuen Namen zugelegt.

Weniger Personenkult wagen – zumindest nach außen

Das Bündnis Sahra Wagenknecht will künftig nach außen etwas weniger Personenkult wagen. Deswegen wird es demnächst nicht mehr den Namen der Parteigründerin tragen. Künftig heißt es Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft. Das Kürzel BSW bleibt erhalten. So hat es sich Wagenknecht gewünscht. Also wurde es auch so beschlossen.

Mit einer kleinen Manöverkorrektur: Eigentlich sollte die Namensänderung schon im Frühjahr kommenden Jahres wirksam werden. Nun hat sich der Parteitag dafür ausgesprochen, die Umbenennung in den Herbst zu verschieben, wenn die Ostwahlen gelaufen sind.

Wagenknecht versprach auf dem Parteitag: „Nein, ich ziehe mich nicht zurück.“ Und: „Mit mir werden sie in der deutschen Politik noch lange rechnen müssen.“ Die Delegierten brachen daraufhin in Jubel aus. Zur Wahrheit gehört indes, dass die von ihren An­hän­ge­r:in­nen so schwärmerisch Angehimmelte in der Vergangenheit nicht immer ganz felsenfest zu ihren Aussagen stand.

Auch bei ihrem Rückzug aus der sogenannten Sammlungsbewegung „Aufstehen“ 2019 hatte sie erklärt, sie werde „weiterhin am Erfolg von Aufstehen mitarbeiten“. Wenige Monate darauf verschwand der im Jahr zuvor von Wagenknecht initiierte Versuch, die querfrontigen Gelbwesten aus Frankreich zu kopieren, sang- und klanglos in der Versenkung.

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1 Kommentar

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  • De Masi, der Möchtegern - Dealmaker von Sahras Gnaden ist doch auch nur ein Übergangsmodell zur Bedeutungslosigkeit. So wie die ganze Truppe, einschließlich ihrer Ex.