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US-SicherheitsstrategieAuf entgegengesetzten Seiten

Die USA kritisieren in ihrer Sicherheitsstrategie Europa massiv – und drohen mit Unterstützung patriotischer Parteien. Was das bedeutet.

Patriotische Front: Trump will Europa „retten“ Foto: Evan Vucci/ap
Eric Bonse

Aus Washington und Brüssel

Eric Bonse und Hansjürgen Mai

Die neue US-amerikanische Sicherheitsstrategie sorgt seit seiner Veröffentlichung am Donnerstag für viel Aufregung. Vor allem die europäischen Verbündeten sehen das 33-seitige Dokument als Affront. Denn das Papier kritisiert die europäische Einwanderungspolitik, die „Zensur der freien Meinungsäußerung und die Unterdrückung der politischen Opposition, abstürzende Geburtenraten sowie Verlust nationaler Identitäten und des Selbstvertrauens“, heißt es darin.

Als Strategie sollten die USA sich in der westlichen Hemisphäre behaupten, den Widerstand innerhalb Europas fördern und die strategische Stabilität mit Russland wiederherstellen. Vor allem die Kultivierung von Widerstand innerhalb Europas dominiert seither die Schlagzeilen. Was genau gemeint ist, wird im Dokument detailliert ausgeführt. Die USA wollen Kräfte in europäischen Ländern unterstützen, die den aktuellen politischen Status Quo ablehnen. Deshalb sollten „patriotische“ Parteien unterstützt werden, da sonst die „Auslöschung der Zivilisation“ drohe.

Eine anhaltende Unterstützung der AfD in Deutschland, wie sie von der US-Regierung und Milliardär Elon Musk während der letzten Bundestagswahl betrieben wurde, scheint die logische Konsequenz zu sein. US-Präsident Donald Trump hat sich in der Vergangenheit immer wieder in die Innenpolitik anderer Länder eingemischt, zuletzt etwa bei der Präsidentschaftswahl in Honduras Ende November.

Doch von den EU-Chefs in Brüssel – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder Ratspräsident Antonio Costa – kam am Wochenende gar nichts. Und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas war sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Die USA seien „immer noch unser größter Verbündeter“, sagte Kallas beim Doha Forum, einem Diplomaten-Treffen in der katarischen Hauptstadt. „Natürlich gibt es da viel Kritik, aber ich denke, etwas davon ist auch wahr“, so die europäische Chefdiplomatin über die Vorhaltungen der Regierung von US-Präsident Donald Trump. „Wir sollten zusammenhalten“, so ihr Fazit.

Ganz ähnlich äußerte sich der deutsche Außenminister Johann Wadephul. Die USA „sind und bleiben unser wichtigster Verbündeter“ in der Nato, so der CDU-Politiker. Zugleich betonte er, Deutschland brauche „keine Ratschläge“ zu Fragen der freien Meinungsäußerung oder „der Organisation unserer freiheitlichen Gesellschaften“.

Weniger Zurückhaltung üben EU-Experten. Europa müsse endlich anerkennen, daß es „allein“ sei, meint Nathalie Tocci, Leiterin des Istituto Affari Internazionali in Rom. Ein echtes transatlantisches Band gebe es nur noch zwischen Trump und den Rechtspopulisten in der EU. Doch diese Botschaft ist für die Transatlantiker in Brüssel und Berlin schwer zu verdauen. Sie setzen weiter auf die Zusammenarbeit mit Trump – koste es, was es wolle. So hat Wadephul beim jüngsten Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel neue Waffenkäufe in den USA für die Ukraine bekannt gegeben. Wert: 200 Millionen US-Dollar. Nato-Generalsekretär Marc Rutte kündigte Bestellungen aus Europa im Gesamtwert von 5 Milliarden Dollar an – für Waffen made in USA.

Mit diesem Geld wollen die Europäer nicht nur die Ukraine verteidigen, sondern auch Trump bei der Stange halten. Doch der dankt es ihnen schlecht. Die Friedensgespräche zur Ukraine führt er hinter dem Rücken der EU. In seiner neuen Sicherheitsstrategie schreibt Trump den Europäern ins Stammbuch, sie hegten beim Ukraine-Krieg „unrealistische Erwartungen“ auf einen Sieg. Zudem wird Russland nicht mehr als strategische Bedrohung bezeichnet. Einer Aufnahme der Ukraine in die Nato erteilt die neue US-Doktrin wohl auch deshalb eine Absage. Demgegenüber halten Rutte und von der Leyen stur an diesem Ziel fest. Die Positionen sind unvereinbar – wohl auch deshalb schweigen sich die EU-Chefs so beharrlich aus.

Die neue Sicherheitsstrategie der USA ist schriftliche Zusammenfassung dessen, was die Trump-Regierung seit ihrem Amtsantritt im Januar verkündet hatte. Die Rede des US-Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar war der bis dato deutlichste Anhaltspunkt für die Abwendung von Europa. Im September dann ließ Präsident Trump bei der UN-Vollversammlung auch den letzten Zweifel ausklingen.

Im US-Kongress hat die neue nationale Sicherheitsstrategie zumindest unter Demokraten für Bedenken gesorgt. Das Papier nehme Abschied von der Idee „dass wir uns für Freiheit und Menschenrechte auf der Welt einsetzen sollten völlig. Stattdessen belehrt es unsere europäischen Verbündeten und umarmt autoritäre Führer, die die Familie Trump und ihre milliardenschweren Freunde bereichern“, schrieb der demokratische Senator Chris Van Hollen, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, auf X. Sein Senatskollege Richard Blumenthal fügte hinzu, dass die neue Sicherheitsstrategie die USA nicht sicher machen würde. „America First bedeute Amerika allein, und wir werden den Preis dafür zahlen“, schrieb das Mitglied des Verteidigungsausschusses in den sozialen Medien.

Von republikanischer Seite gab es bislang keine großen Reaktionen. Auch die Kongressmitglieder, die in der Vergangenheit das außenpolitische Vorgehen der Regierung kritisiert hatten, wie die Senatoren Rand Paul oder Lindsey Graham, kommentieren die Sicherheitsstrategie nicht. Mit dem Stillschweigen verdeutlichen Republikaner nur noch mehr, wer in ihrer Partei aktuell das Sagen hat.

Interessant ist zudem, was im neuen Sicherheitspapier nicht angesprochen wird. In Trumps erster Sicherheitsstrategie 2017 waren die Gegner klar definiert. „China und Russland stellen die amerikanische Macht, den Einfluss und die Interessen infrage und versuchen, die amerikanische Sicherheit und den Wohlstand zu untergraben“, hieß es damals. Acht Jahre später kommt Russland nur noch in vier Absätzen vor und die Invasion der Ukraine im Februar 2022 wird nicht ausdrücklich verurteilt. Vielmehr wollen die USA versuchen, „die Beziehungen zwischen Europa und Russland zu verbessern“. China wird vor allem als wirtschaftlicher Widersacher erwähnt. Eine militärische Gefahr durch die Volksrepublik wird nur schwammig dargestellt.

Das neue Sicherheitspapier ist ein wichtiger Wegweiser für die künftigen Pläne der US-Regierung. Ministerien wie das Außenministerium oder das Verteidigungsministerium werden sich an die darin enthaltenden Vorgaben anpassen und versuchen, die Ziele umzusetzen. Für die transatlantischen Beziehungen ist es ein weiterer Rückschlag. Doch wenn Trump eins bewiesen hat, dann dass er auch vor 180 Grad-Wenden nicht zurückschreckt.

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