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Kanzler-Besuch bei NetanjahuEin Merz für mutmaßlichen Kriegsverbrecher

Bei seinem Antrittsbesuch versucht Merz, das angeschlagene Verhältnis zu Israel zu kitten. Dafür lässt er sich vom israelischen Premier vorführen.

Bundeskanzler Merz geht mit dem „lieben Bibi“ nach Gesprächen in Jerusalem zur gemeinsamen Pressekonferenz Foto: Michael Kappeler/dpa
Anna Lehmann

Aus Jerusalem

Anna Lehmann

„Ich verneige mich vor den sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern aus ganz Europa, die von den Deutschen ermordet wurden“, liest Friedrich Merz mit kratziger Stimme vor. Der Bundeskanzler hat sich gerade eine Stunde durch die Ausstellung der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem führen lassen, Kopf gesenkt, Stirn gefurcht. Man sieht ihm an, dass ihn die Bilder und Geschichten von abgemagerten, erschossenen, vergasten Menschen nicht unberührt lassen. Nun trägt er sich ins Gästebuch ein. Es ist nicht sein erster Besuch in Yad Vashem, aber sein erster als Kanzler. Er schließt seinen Eintrag mit den Worten: „Deutschland muss für die Existenz und die Sicherheit Israels einstehen. Das gehörte zum unveränderlichen Wesenskern unserer Beziehungen.“

Merz spricht von „Wesenskern“, wo seine Vor­gän­ge­r:in­nen Angela Merkel und Olaf Scholz einst „Staatsräson“ sagten. Das ist ein neuer Zungenschlag. So sehr der Besuch des Bundeskanzlers in Israel den üblichen Bahnen folgte – ein Abstecher nach Yad Vashem gehört für jede deutsche Po­li­ti­ke­r:in zum Pflichtprogramm –, ist nicht nur der Tonfall anders.

Der Kanzler hat sich auch viel Zeit gelassen. Erst sieben Monate nach Amtsantritt reiste er zu seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu. Merkel und Scholz waren schneller. Merz’ Zögern spiegelt die komplizierten deutsch-israelischen Beziehungen wider, die eng mit der Lage im Gazastreifen verknüpft sind.

Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 reagierte Israel mit einer immer brutaleren Offensive in Gaza, die Zehntausende palästinensische Zivilisten das Leben kostete. Als Israel die Angriffe ausweitete, Hilfslieferungen blockierte und die internationale Kritik wuchs, ordnete Merz im August einen Teilstopp von Rüstungsgütern an.

Kein Widerspruch für den „lieben Bibi“

Die Beziehungen zum israelischen Regierungslager sanken erstmal unter den Gefrierpunkt. Auch aus den eigenen Reihen musste sich Merz viel Kritik anhören. Mit dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas vom Oktober sieht Merz nun keinen Grund mehr, Israel Waffen vorzuenthalten. Mitte November beendete die Bundesregierung das Teilembargo – obwohl Israel weiterhin Luftangriffe fliegt und weiterhin Menschen sterben.

Bei der Pressekonferenz mit Netanjahu nach einem fast einstündigen Gespräch erwähnt Merz weder die Angriffe noch die Opfer. Er spricht zwar das „Dilemma“ der deutsch-israelischen Beziehungen an und betont die Zweistaatenlösung, widerspricht dem „lieben Bibi“ aber kaum, als dieser lächelnd sagt: Der Zweck eines palästinensischen Staates sei es, Israel zu vernichten. Deshalb werde man keinen unterstützen. „Israel wird immer ein souveräner Staat sein – vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer.“

Das klingt nicht nur wie die antipalästinensische Variante des Slogans „From the river to the sea“, es ist eine klare Absage an die Forderung nach einer Zweistaatenlösung, die ja auch Teil des Waffenstillstandsplans ist. Merz steht daneben, mahlt mit den Kiefern und sieht aus, als hätte ihm Netanjahu Salz in den Kaffee geschüttet.

Dass der Besuch schwierig werden würde, war absehbar. Merz näherte sich Jerusalem auf Umwegen. Am Samstag machte er einen Zwischenstopp in Jordanien, wo ihn Gardesoldaten mit Ehrenspalier empfingen und König Abdullah ihn zu einem frühen Abendessen lud. Merz lobte den König und pries die jordanische Flüchtlingspolitik als „besondere, großartige humanitäre Leistung“. In Jordanien leben 2 Millionen palästinensische Flüchtlinge, zum Teil seit Jahrzehnten. So warmherzig spricht Merz daheim nie über Asylpolitik.

Vorabbotschaften aus Jordanien

Der Kanzler nutzte den Zwischenstopp auch, um Netanjahu eine Botschaft zu senden. Man sei sich einig gewesen, dass nun der Einstieg in Phase zwei des Waffenstillstands gelingen müsse, appellierte der Kanzler. Dem Terror der Hamas müsse die Grundlage entzogen werden. Vor dem Winter brauche es aber auch mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza.

Auch hinsichtlich der Lage im Westjordanland sei er sich sehr einig mit dem jordanischen König: „Es darf keine Annexionsschritte im Westjordanland geben.“ Keine formellen, aber auch keine politischen, baulichen, faktischen oder sonstigen. „Wir müssen den Weg zur palästinensischen Staatlichkeit offenhalten“, so Merz noch forsch in Jordanien.

Die zweite Phase des Waffenstillstands, die nach dem Plan von Präsident Donald Trump auf die Rückkehr der israelischen Geiseln folgen sollte und in der die Entwaffnung der Hamas und der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen ansteht, ist allerdings die heikelste. Wer den Plan umsetzen und den Frieden sichern soll, bleibt unklar. Deutschland will sich heraushalten.

In Jerusalem bleibt Merz bei mahnenden Worten. Netanjahus Absage an die Zweistaatenlösung kommentiert er beschwichtigend: Es ginge ja erst einmal darum, schrittweise den Friedensplan zu implementieren. Was den palästinensischen Staat anbelangt, so sieht Merz den erst am Ende eines Prozesses. „Es ist eine Hoffnung, die sich vielleicht erfüllt. Vielleicht auch nicht.“ Also sehr weit weg. Netanjahu lauscht der Simultanübersetzung und lächelt zufrieden.

Bei Waffen geht die Freundschaft wieder los

Auch um die heikle Frage des Gegenbesuchs laviert sich Merz herum. Gegen Netanjahu liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor, unter anderem wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen. Deutschland müsste ihn bei einem Besuch festnehmen. Dennoch hatte Merz zu Beginn seiner Amtszeit erklärt, es spreche nichts gegen eine Einladung. Heute sagt er, man habe darüber nicht gesprochen, und es gebe keinen Anlass.

Der Kanzler bemüht sich sichtlich, die Beziehungen zu Israel zu kitten. Doch das Waffenembargo hat mehr Schaden angerichtet, als er wahrhaben will. Ob er ausschließen könne, dass sich eine solch „schreckliche Geschichte“ wiederholte, fragt ihn ein israelischer Journalist und Merz murmelt nur etwas von „besonderen Umständen“.

Sein sanfter Ton stößt auf Kritik. „Der Bundeskanzler darf nicht als Zuschauer auftreten und Plattitüden verbreiten“, sagt Tsafrir Cohen von der Menschenrechtsorganisation medico international gegenüber der taz. „Es braucht realen Druck, insbesondere was die Sicherstellung humanitärer Hilfe für Gaza und die Bekämpfung der staatlich geduldeten Siedlergewalt im Westjordanland betrifft.“ Andernfalls mache sich Deutschland zum Komplizen der rechtsextremen Regierung.

Trotz aller Spannungen gibt es auch Gemeinsamkeiten. Das Rüstungsgeschäft floriert wieder. Erst vergangene Woche nahm die Bundeswehr das israelische Luftabwehrsystem Arrow 3 in Betrieb. Das Verteidigungsministerium sprach von einem „deutlichen Signal der Verbundenheit“. Bei Waffen beginnt die Freundschaft offenbar von Neuem.

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