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Experte zu Merz-Besuch in Israel„Ich sehe darin eine Missachtung der Palästinenser“

Nazih Musharbash von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft zweifelt, ob der Bundeskanzler wirklich Friedenspolitik betreibt. Dieser müsse sich der Realität stellen.

Israelische Siedler lassen ihre Schafe auf palästinensischem Land unter dem Schutz israelischer Streitkräfte weiden. 09.11.2025 Foto: Mamoun Wazwaz/imago
Felix Wellisch

Interview von

Felix Wellisch

taz: Friedrich Merz hat bei seinem Antrittsbesuch in Israel von friedlichen Lösungen zwischen Israelis und Palästinensern gesprochen. Getroffen hat er aber nur israelische Vertreter. Welche Botschaft sendet das?

Nazih Musharbash: Ich sehe darin eine Missachtung der Palästinenser und unseres Selbstbestimmungsrechtes. Kanzler Merz hätte ein Signal geben können: Wir stehen zu einer Friedenslösung und wir meinen es ernst. Dass Israels Premier Netanjahu seit Langem alles tut, um die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) zu schwächen, ist das eine. Deutschland sollte das aber nicht mittragen. Das ist nicht nur eine Frage diplomatischer Gepflogenheit: Wenn Herr Merz über Frieden sprechen möchte, muss er sich der Realität stellen. Er muss mit eigenen Augen sehen, wie Siedler im besetzten Westjordanland, wenige Kilometer von seinem Treffen entfernt, Tag für Tag vorgehen.

taz: Sie sprechen von den stark gestiegenen Siedlerübergriffen auf Palästinenser und dem massiven Ausbau völkerrechtlich illegaler israelischer Siedlungen.

Musharbash: Im Westjordanland wurden seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober vor zwei Jahren mehr als 1.000 Palästinenser von Israelis getötet. Radikale Siedler zünden dort ohne Angst vor Strafen Häuser an, töten und vertreiben Menschen, schänden Moscheen und Kirchen. Die israelische Armee deckt und unterstützt das. Die Regierung treibt den Siedlungsbau selbst mit an. Wenn Merz sich dafür blind zeigt, kann er keine plausible Friedenspolitik betreiben.

Bild: privat
Im Interview: Nazih Musharbash

Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft. Er wurde 1946 in Amman geboren, wuchs in Bethlehem im Westjordanland auf und lebt seit 1965 in Deutschland.

taz: Kurz vor dem Besuch gab es ein Telefonat zwischen Merz und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Ist das ein Ausgleich?

Musharbash: Wohl kaum: Merz soll sich für die Unterstützung des sogenannten Trump-Friedensplans für den Gazastreifen bedankt haben, aber auch dabei hatte die PA keine Wahl. Palästinenser waren bei der Ausarbeitung nicht beteiligt, mit Netanjahu hingegen dürfte jeder Punkt abgesprochen gewesen sein. Gespräche auf Augenhöhe sehen anders aus.

taz: Könnten die Verhandlungen um die Zukunft von Gaza dennoch einen Fortschritt bringen?

Musharbash: Es ist gut, dass Gespräche über die Aufbauhilfe in Gaza anlaufen, auch in Deutschland. Würde man die Palästinenser einbeziehen, ihnen ein Leben in Würde in Aussicht stellen und Israel sich aus Gaza zurückziehen, läge darin eine Chance. Die Menschen in Gaza und die palästinensische Diaspora wissen am besten, was dort gebraucht wird. Wenn aber fremdbestimmt Hochhäuser internationaler Investoren hochgezogen und die Gasvorkommen des Gazastreifens ausgebeutet werden, dann bin ich pessimistisch. Bisher wird nicht einmal die Waffenruhe von beiden Seiten wirklich eingehalten. Israel hat in den ersten 50 Tagen mehr als 350 Menschen in Gaza getötet.

taz: Dennoch hat die Bundesregierung ihre Waffenexporte an Israel wieder aufgenommen.

Musharbash: Die Teil-Beschränkung war von Beginn an mehr ein Signal als ein echter Boykott. Jetzt wird alles wieder aufgehoben, obwohl die Mehrheit der Deutschen gegen Waffenverkäufe an Israel ist und obwohl laut dem Max-Planck-Institut binnen zwei Jahren mehr als 100.000 Palästinenser auch mit diesen Waffen getötet wurden.

taz: Für das Vorgehen der israelischen Armee wird Netanjahu mit internationalem Haftbefehl gesucht. Wie sehen Sie das Treffen vor diesem Hintergrund?

Musharbash: Vor allem darf Netanjahu nicht nach Deutschland eingeladen werden. Weil ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, würde das die internationalen Gerichte, die Deutschland aufgrund seiner Geschichte mit aufgebaut hat, mit Füßen treten. Meiner Meinung nach hätte Merz Netanjahu überhaupt nicht treffen sollen. Auch ein Treffen mit Präsident Jizchak Herzog, der nach dem 7. Oktober alle Palästinenser für den Überfall der Hamas verantwortlich gemacht hat, ist für mich als Deutsch-Palästinenser nicht einfach zu ertragen. Ich wünschte, er hätte den Mut gehabt, auch die andere Seite zu hören, anstatt sie zu ignorieren.

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