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Abschiebungen nach SyrienHilfswerke warnen vor unsicherer Lage

Ein Jahr nach dem Sturz Assads bleibt das Leben in Syrien unsicher. Hilfswerke warnen vor der instabilen Lage und politischen Schnellschüssen.

Zwei Jungen gehen mit syrischen Flaggen durch eine Straße im kriegszerstörten Damaskus-Vorort Daraya Foto: Omar Sanadiki/AP/dpa

afp/kna | Ein Jahr nach dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien mehren sich besonders aus den Reihen der Union die Rufe nach der Rückführung syrischer Staatsbürger. „Die ursprünglichen Fluchtgründe Bürgerkrieg und Assad-Regime sind seit einem Jahr weggefallen. Deswegen müssen wir auch an die Rückkehr von Personengruppen denken, die erst kurz hier sind oder nicht gut integriert sind“, sagte CDU-Innenpolitiker Alexander Throm dem Nachrichtenportal Web.de.

Die Debatte um eine mögliche Rückkehr von Syrern in ihr Heimatland müsse „sachlich und faktenbasiert“ geführt werden, fordern hingegen die Hilfsorganisationen Brot für die Welt und Diakonie Deutschland. „Wir hoffen gemeinsam mit allen Syrerinnen und Syrern, dass ihr Heimatland in Zukunft wieder ein sicherer Ort sein wird“, erklärte die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin. „Diese Vision hat aber leider wenig mit der aktuellen Realität zu tun.“

7 Millionen Menschen seien weiterhin innerhalb des Landes vertrieben. Es mangle an ausreichend Wohnraum und angemessener Unterstützung. „Der internationale Plan für humanitäre Hilfe in Syrien für das Jahr 2025 war Anfang Dezember erst zu 30 Prozent finanziert. Dennoch werden in Deutschland immer wieder Forderungen nach möglichen Rückführungen von syrischen Geflüchteten laut“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

Milizen machen die Lage unsicher

Bewaffnete Milizen stellen in ganz Syrien eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen dar“, führte Pruin aus. „Die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Land ist katastrophal.“ Die Grundvoraussetzungen für Rückkehrer, sich dort ein neues Leben aufzubauen, seien nicht gegeben. „Wer Syrien für sicher erklärt, um Abschiebungen zu rechtfertigen, ignoriert die Verhältnisse vor Ort.“

Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland, verwies auf Syrerinnen und Syrer, die längst Teil der deutschen Gesellschaft geworden seien. Rund 250.000 syrische Staatsbürger seien in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, viele von ihnen in Mangelberufen. „Es braucht ein klares Signal, dass viele Menschen bleiben werden und hier nach wie vor willkommen sind. Sie sollten in erster Linie Bleibeperspektiven haben, statt sie zur Rückkehr nach Syrien aufzufordern.“

SPD und Grüne fordern flexibleres Aufenthaltsrecht

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, forderte unter Berufung auf den Koalitionsvertrag ebenfalls, Straftäter und Gefährder grundsätzlich nach Syrien zurückzuführen. Allerdings sei die Lage vor Ort nach wie vor „vom gewaltigen Ausmaß der Zerstörung nach einem mehr als ein Jahrzehnt andauernden Krieg geprägt“. Rückführungen seien vor diesem Hintergrund „immer davon abhängig, ob im Einzelfall eine Rückkehr ins Herkunftsland gefahrlos möglich ist“.

Eichwede erklärte zudem, eine „sehr große Zahl von aus Syrien stammenden Menschen“ sei „hervorragend integriert“. Sie fügte an: „Sie leisten einen wertvollen Beitrag zum Funktionieren unseres Gemeinwesens. Viele haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit und sind hier heimisch geworden.“

„Die Menschen, die sich eine Rückkehr vorstellen können, sollten die Möglichkeit zu Erkundungsreisen bekommen, ohne dass sie dadurch ihren Schutzstatus in Deutschland verlieren“, schlug Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch vor. „Eine sichere und gelingende Rückkehr sollte in unser aller Interesse sein.“

„Statt populistischer Abschiebedebatten braucht es jetzt flexiblere Reglungen im Aufenthaltsrecht“, forderte auch die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg. „Durch die Aufnahme von etwa einer Million syrischer Geflüchteter während der Kriegsjahre seit 2011 verbinden Deutschland und Syrien heute besondere Beziehungen. Aus diesen ergeben sich Chancen und Verantwortung.“

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