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Sinti und Roma im BoxsportManchmal bietet nur das Boxen eine Chance, sich zu behaupten

Sinti und Roma sind im Kampfsport erstaunlich präsent. Das hat soziale Gründe, aber ein bisschen hat es auch damit zu tun, dass es viele Talente gab.

Schlägt sich durch: Johann „Rukelie“ Trollmann (r.) bei einem öffentlichen Training im Juni 1933 in der Berliner Stresemannstraße Foto: Keystone/TT/imago

A Abseits im eigenen Land“ ist nicht unbedingt ein Titel, der an Boxsport denken lässt. Aber in einer Ausstellung dieses Titels spielen Boxer eine wichtige Rolle. Es geht um Sinti und Roma im Sport, und da fällt auf, dass der Boxsport erstaunlich oft und auf hohem Niveau vertreten ist.

Die Ausstellung tourt schon seit einigen Jahren durch Deutschland, aber jüngst wurde sie erweitert. Unter anderem wird der Kampfsportler Gerard Linder aus Polen, Kickboxweltmeister im Superbantamgewicht, gewürdigt. Auch er gehört in die Reihe, um die es hier geht, eine stolze Reihe von Sinti- und Roma-Boxern. „Die Ausstellung zeigt, welche Rolle Sport für die Identitätsbildung von Sinti* und Roma* spielt und welche Vorbilder bislang verborgen geblieben sind“, heißt es in der Präsentation.

Da passt Boxen in vieler Hinsicht. Boxsport symbolisiert Stärke, Stolz und die Fähigkeit, sich bei Bedrohung selbst zu behaupten. Kein Wunder, dass einer der Kuratoren Oswald Marschall ist. Der Sinto aus Minden in Ostwestfalen-Lippe war 1974 bei der Box-EM dabei. Als er seine Karriere 1978 beendete, hatte er von 148 Kämpfen nur 11 verloren. An den Olympischen Spielen 1976 durfte er jedoch nicht teilnehmen. Später engagierte sich Marschall im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Hier ist er vor allem für Sport zuständig.

Trollmann hatte Anhänger unter denen, die sich mit der neuen Richtung des Verbandes nicht abzufinden wussten.

Fachblatt „Boxsport“, Juni 1933

Auch Marschall steht in der Reihe berühmter Sinti-Boxer. Wie auch Jakob „Jonny“ Bamberger aus Ostpreußen. Der war bei den Amateurboxern Deutscher Vizemeister im Fliegengewicht und gehörte 1936 zum Olympiakader. Dort wurde er aussortiert – vermutlich, weil er Sinto war. 1941 wollte Bamberger nach Prag fliehen, weil die Repressionen zunahmen. Er wurde geschnappt, kam unter anderem in die Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau, wo er mit Meerwasserversuchen misshandelt wurde. Er überlebte, erhielt aber erst 1969 eine Entschädigung. Als Ehrenvorsitzender des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma starb er 1989 in Heidelberg.

Dass Bamberger und Marschall große Verdienste haben, ist ebenso offensichtlich wie die Tatsache, dass sie nicht nur in der übrigen Gesellschaft, sondern auch in ihrem Sport Diskriminierung ausgesetzt waren. Nur einer größeren Öffentlichkeit sind sie kaum bekannt.

Etwas bekannter: Rukelie Trollmann

Ein bisschen anders – mittlerweile zumindest – ist das vielleicht bezüglich Johann „Rukelie“ Trollmann. Der Sinto aus Hannover wurde 1933 Deutscher Profimeister im Halbschwergewicht. Im Vorfeld hatte das Fachblatt Boxsport geschrieben: „Trollmann hatte besonders viele Anhänger unter denen, die sich mit der neuen Richtung des Verbandes nur schwer oder gar nicht abzufinden wussten, Anhänger, die das Theatralische in seinem Spiel, diese zigeunerhafte Unberechenbarkeit schätzten.“ Sportlich hatte Trollmann seinen Kampf eindeutig gewonnen, aber die Verbandsfunktionäre, allesamt NSDAP-Mitglieder, wollten das Ganze „ohne Wertung“ protokollieren. Trollmann und Publikum protestierten; er erhielt den Meistergürtel.

Doch vier Tage später wurde ihm der Titel schon wieder aberkannt. Der Berliner Lokal-Anzeiger kommentierte: „Man stellt sich einen deutschen Meister anders vor. Ein deutscher Boxer darf nicht weinen, erst recht nicht ein Meister in aller Öffentlichkeit heulen oder wenigstens den ‚Heulenden‘ markieren.“

Tatsächlich war Rukelie Trollmann über Jahrzehnte vergessen. In offiziellen Meisterlisten tauchte sein Name nicht auf. Erst in den 1990er-Jahren erinnerten einzelne Artikel an ihn. Mittlerweile gibt es Filme, Bücher und noch mehr.

Dass Trollmann großes individuelles Talent hatte, ist offensichtlich. Dass er aber in eine stolze Reihe exzellenter Sinti- und Roma-Boxer und anderer -Sportler gehört, das versucht die Ausstellung „Abseits im eigenen Land“ offensichtlich zu machen.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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