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Weihnachten im KapitalismusWas liegt unterm Tannenbaum?

Unsere Autorin wuchs in Syrien ohne Weihnachtsmann und Geschenke auf. In Deutschland lernte sie das Fest des Konsums kennen – und war trotzdem verzaubert.

Die Autorin Hanadi Zarka auf dem Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz in Berlin Foto: Doro Zinn

Wie viele Syrer, die in den 1970er Jahren geboren wurden, wuchs ich ohne Wissen um Weihnachten auf. In unserem abgelegenen Dorf, das überwiegend von armen Muslimen bewohnt war, wurde dieser Feiertag ähnlich wie andere islamische Festtage begangen. Die Familien bereiteten vegetarische Gerichte zu und backten Brot mit Öl und Sesam, das sie „Weihnachtsbrot“ nannten. Einen geschmückten Baum, den Weihnachtsmann oder Geschenke, all das kannten wir nicht.

Zum ersten Mal sah ich einen Weihnachtsbaum 1993, als ich mein Studium an der Universität von Latakia begann. In der Stadt leben viele Christen, und vor der Kirche stand ein großer Baum, geschmückt mit funkelnden Lichtern und Ornamenten. Dort hörte ich auch die Geschichte vom Weihnachtsmann, dieser geheimnisvollen Gestalt, die Kinder besucht und ihnen Geschenke bringt.

Bald verbreiteten sich die Weihnachtsbräuche in Städten und Dörfern – nicht als heilige Riten, sondern als Anlass für Freude und kommerziellen Trubel. Selbst die entlegensten Dörfer blieben davon nicht verschont.

Am 9. Dezember 2022 kam ich in Deutschland an. Sofort war ich beeindruckt davon, wie festlich Häuser und Plätze dekoriert waren. In jedem Haus stand eine Tanne. Ich sah beleuchtete Rentiere und Krippen, die die Geschichte Jesu darstellten. Die Straßen glänzten in einer fast unwirklichen Schönheit, Plätze wurden zu Märkten mit Imbissständen und Spielzeugverkäufern. Ich muss zugeben, dass mich diese Schönheit verzaubert hat.

Flüchtlingssommer 2015

Zehn Jahre Flüchtlingssommer 2015: Die großen Fragen von damals sind die großen Fragen von heute – ganz egal, ob es um Grenzkontrollen, Integration oder die AfD geht. Die taz sucht in einem Sonderprojekt Antworten.

Gleichzeitig war offensichtlich, dass auch dies keine sozial-religiösen Orte mehr waren, sondern Plattformen für den Konsum. Weihnachtsmärkte gehören heute zu den wichtigsten Einkaufssaisons des Jahres, die Freude am Fest wird exzessiv vermarktet. Indem wir auf Weihnachtsmärkten essen und trinken, Geschenke und Souvenirs kaufen, beteiligen wir uns, wie so oft, an der Kommerzialisierung von Feiertagen im Kapitalismus.

Wie viele Menschen in Deutschland einen Weihnachtsbaum in ihren Häusern stehen haben, beeindruckte Hanadi Zarka Foto: Doro Zinn

Einmal lud mich ein Freund ein, den Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz zu besuchen. Ich hatte über dessen Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg gelesen und darüber, wie die ostdeutschen Medien Bilder der Ruinen nutzten, um zu behaupten, dass Kapitalismus zu Krieg und Zerstörung führe. Aber was ich sah, war genau das Gegenteil: Die Wolkenkratzer von Sony und Daimler ragten über einem Platz empor, der nach dem Fall der Berliner Mauer nun vom globalen Kapital dominiert wurde. Ich probierte zum ersten Mal Glühwein und kostete Wurst mit Kartoffelsalat, Lebkuchen und Spekulatius – Speisen, die ich noch nie zuvor gegessen hatte. Es gab auch griechische und türkische Stände. Die Menschenmenge war eine bunte Mischung aus vielen Nationalitäten, die alle die Freude an Weihnachten teilten.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

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Wie könnte eine Politik aussehen, die auf Ankommen statt Abschotten setzt? Was können wir lernen aus 2015? Und wo sind die Orte, an denen der restriktiven Politik von oben eine solidarische Politik von unten entgegengesetzt wird? Diesen Fragen haben wir über das im Jahr 2025 fünf Sonderausgaben zu Flucht und Migration gewidmet.

Mit der wochentaz vom 20. Dezember findet das Projekt seinen Abschluss. Es ist keine besinnliche Zeitung geworden – aber eine, die sich um ein Thema dreht, das zu Weihnachten einen besonderen Klang bekommt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was „Zuhause“ eigentlich ist, was es braucht, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen – und wie die Hoffnung darauf oft zerstört wird.

Alle Texte aus dieser Sonderausgaben erscheinen nach und nach hier. In dem Online-Schwerpunkt finden Sie auch die Texte aus den vier vorherigen Sonderausgaben.

Im folgenden Jahr besuchte ich verschiedene Weihnachtsmärkte und bemerkte, wie sie sich, auch je nach Wohlstand der Gegend, unterschieden. Einige waren bescheiden, andere – wie der Markt am Kurfürstendamm – reichhaltig und extravagant. Genauso unterschiedlich sind die Perspektiven syrischer Geflüchteter auf Weihnachten, wie ich bei meiner Recherche gelernt habe. Einige Stimmen will ich hier teilen.

„In Syrien haben wir Weihnachten nicht gefeiert, aber wir haben unsere christlichen Nachbarn besucht, um ihnen zu gratulieren. Hier beobachte ich, wie Menschen kleine Geschenke austauschen und so freundlich feiern. Trotz des Trubels dieser Jahreszeit verspüre ich eine tiefe innere Ruhe. Wenn die Kirchenglocken läuten, ist es, als würden sie zu den Müden sagen: ‚Steht auf und haltet durch‘, und zu den Grausamen: ‚Lasst es gut sein‘. Ich erinnere mich an meine besetzte Heimatstadt und ihre christlichen Straßen, die zu Weihnachten erstrahlten. Für mich ist dieser Feiertag ein Aufruf zu Liebe und Vergebung“, erzählt die kurdische Anwältin Dilsha Aiyo aus Serêkaniyê.

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Darya Farman aus Qamischli sagt: „Meine Mutter, meine Tochter und ich sind orthodoxe Christen, aber wir haben hier keine Verwandten, mit denen wir feiern können. In Syrien haben wir Feste veranstaltet und alle eingeladen; Weihnachten war ein nationaler Feiertag, unabhängig von der Religion. Hier ist es kommerziell geworden. Traditionelle Märkte verschwinden. Wie können Weihnachtsmärkte jetzt Kebab und Schawarma anbieten? Sogar die Geschenke haben sich verändert – überall überteuerte chinesische Produkte, oft von schlechter Qualität.“

Dalal al-Hayek beschreibt: „Als wir ankamen und meine Tochter einen deutschen Mann heiratete, wurden meine Enkelkinder Deutsche. Sie stellt einen Weihnachtsbaum auf, und wir tauschen Geschenke aus. Ich habe selbst keinen Baum, aber ich schmücke das Haus und die Pflanzen mit Lichtern. Ich lebe in Deutschland, daher halte ich es für wichtig, die Traditionen dieses Landes zu verstehen. Ich habe kein Problem damit, sowohl muslimische als auch christliche Feiertage zu feiern.“

„In Syrien haben wir Weihnachten nicht gefeiert, und in Berlin feiern wir es auch nicht“, erzählen die Anwältin Mona Asaad und ihr Mann, der Journalist Anwar Badr. „Wir feiern nur Silvester.“

„Wie eine Geisterstadt“

Die Neurowissenschaftlerin Lujain Salitin sagt: „Meine Mutter stellte einen kleinen Weihnachtsbaum auf und spielte die traurigen Weihnachtslieder von Fairuz. Einmal sah ich den Weihnachtsmann auf der Straße und bat ihn, uns zu Hause zu besuchen. Als ich nach Deutschland kam, wohnte ich in einem Studentenwohnheim in Göttingen. Zu Weihnachten leerte sich die Stadt und wirkte wie eine Geisterstadt. Ich war furchtbar einsam. Nach meinem Abschluss änderte sich alles – ich begann, mit Freunden zu feiern, und jetzt spielen wir Wichteln.“

Und der syrisch-kurdische Dichter Ali Jazo erinnert sich: „Als Kinder in Amuda kannten wir Weihnachten nur aus Liedern und Zeichentrickfilmen. Wir blieben als Familie lange auf und ahmten nach, was wir uns vorstellten, dass andere taten. Später, in Damaskus, feierten wir mit Freunden in Restaurants und auf Partys; die Zusammenkünfte fühlten sich intimer an. In Berlin dreht sich Weihnachten um Familie, Kinder, Geschenke und die Märkte in jedem Stadtteil. Wir entdeckten neue Speisen, Traditionen und Musik. Manchmal feiern wir mit Freunden und verbinden dabei syrische und deutsche Bräuche. Aber in den letzten Jahren ist die Freude gedämpft, überschattet von den düsteren Nachrichten aus Syrien. So finden wir uns zu Weihnachten gespalten, gefangen zwischen zwei Welten, ohne ganz zu einer davon zu gehören.“

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