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EssayIn deiner Küche bin ich fremd

Gilda Sahebi

Essay von

Gilda Sahebi

Fühl dich wie zu Hause, sagen die Freunde, die unserer Autorin Unterschlupf gewähren. Aber wo ist hier die Pfanne? Ein Essay über Sicherheit und Intimität.

Von einem Sofa zum nächsten. Vor zwei Jahren hatte unsere Autorin noch ihr eigenes Foto: Jens Gyarmaty/laif

E s fühlt sich ein wenig ironisch an, einen Text darüber zu schreiben, was Zuhause bedeutet, wenn man selbst gerade kein eigenes Zuhause hat. Ich ziehe seit Wochen von Ort zu Ort, von einem Freund zur nächsten Freundin, von Bett zu Sofa. Das Zuhause hat sich auf meinen Koffer reduziert, darin die einzigen Dinge, die mir selbst gehören. Aber auch die sehen in den Wohnungen anderer irgendwie fremd aus. Als wüssten meine Kleider, dass sie da nicht hingehören.

Ankommen statt Abschotten – 10 Jahre nach 2015

Wie könnte eine Politik aussehen, die auf Ankommen statt Abschotten setzt? Was können wir lernen aus 2015? Und wo sind die Orte, an denen der restriktiven Politik von oben eine solidarische Politik von unten entgegengesetzt wird? Diesen Fragen haben wir über das im Jahr 2025 fünf Sonderausgaben zu Flucht und Migration gewidmet.

Mit der wochentaz vom 20. Dezember findet das Projekt seinen Abschluss. Es ist keine besinnliche Zeitung geworden – aber eine, die sich um ein Thema dreht, das zu Weihnachten einen besonderen Klang bekommt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was „Zuhause“ eigentlich ist, was es braucht, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen – und wie die Hoffnung darauf oft zerstört wird.

Alle Texte aus dieser Sonderausgaben erscheinen nach und nach hier. In dem Online-Schwerpunkt finden Sie auch die Texte aus den vier vorherigen Sonderausgaben.

Eines ist mir in dieser Zeit besonders aufgefallen: Wie intim ich Küchen finde. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bad – unkomplizierte Räume. In einer Küche derweil gibt es unzählige Objekte, die es zu arrangieren gilt, von der Küchenschere über den Tee bis zur beschichteten Pfanne, und jede Platzierung erscheint bis zum Ende durchdacht. Jeder Mensch organisiert seine Küche nach einem ganz eigenen System. Wenn ich in einer neuen Wohnung keine Einführung in die Küche bekomme, wird die Suche nach der Reibe zum Hürdenlauf. Ich fühle mich selten so fremd wie in der Küche einer anderen Person. Es ist bei jedem Umzug so, als müsse ich mich in einer gänzlich neuen Welt zurechtfinden.

Ist Zuhause also die beschichtete Pfanne? Vielleicht. Vielleicht ist es auch das Gefühl, das mit dieser Pfanne verbunden ist. Ein Gefühl von Ordnung, von Sicherheit, möglicherweise von Intimität. Man weiß, wo sie ist, wie man sie benutzt, in welche Rituale man sie einbettet, wenn man erschöpft von der Arbeit kommt und wieder mit der Kollegin aneinandergeraten ist. Dann kocht man das Curry mit Reis, vergisst die Ängste, schöpft Kraft, sitzt mit den Menschen zusammen, die man liebt, versorgt sich und die anderen.

Zuhause ist möglicherweise mehr, es bedeutet auch etwas zu haben, das einem selbst gehört; es geht nicht um die Pfanne im eigentlichen Sinne, sondern darum, dass man die Pfanne kaputt machen oder wegwerfen kann, wenn man möchte. Es geht um Selbstbestimmung, auch um Kontrolle. Kein Zuhause zu haben, bewirkt ein Gefühl von Ohnmacht, führt zu Abhängigkeit von anderen. Man kennt die Regeln und die Gepflogenheiten nicht, die kulturellen Codes, die No-Gos und die Gos. Es ist leicht, sich verloren zu fühlen.

Hilflosigkeit, die ich verspüre

Meine Situation ist nicht ansatzweise mit jener von Menschen vergleichbar, die wirklich ihr Zuhause verloren haben, weil sie in Lebensgefahr schweben, weil Bomben fallen, weil sie verfolgt werden. Das Gefühl von Hilflosigkeit, das ich verspüre, ist im Gegensatz dazu nicht einmal der Rede wert. Und doch finde ich es gerade ganz besonders zynisch, wenn wieder einmal Angstdebatten um Migration geführt werden, wenn in den USA eine Sicherheitsstrategie veröffentlicht wird, in der gewarnt wird, dass die weiße europäische Bevölkerung ausgetauscht werden solle gegen eine muslimisch-afrikanische Bevölkerung.

Wenn es heißt, den westlichen Gesellschaften drohe die „kulturelle Auslöschung“, wenn man Migration nicht stoppe. Die Grundlage für diese Behauptungen und Debatten ist die Annahme, dass Menschen ihr Zuhause verlassen möchten. Dass viele Millionen von Menschen bereit seien, alles, was sie kennen, was ihnen vertraut ist, was sie lieben, zurückzulassen.

Obwohl die Menschen, bei denen ich unterkomme, geliebte, mir wohlgesonnene Menschen sind, die mich stets mit den Worten empfangen, dass ich mich wie zu Hause fühlen soll, fühle ich mich trotzdem manchmal fremd. Und das, obwohl ich weiß, was für ein Privileg, was für ein großes Geschenk es ist, Menschen in meinem Leben zu haben, die ihr Zuhause mit mir teilen.

Wie muss es sich aber für Menschen anfühlen, in Gesellschaften anzukommen, die diese Menschen nicht wollen, zumindest zu großen Teilen, die sie abwerten, kriminalisieren, allein lassen? Wenn das Leben in Gefahr ist – natürlich nimmt man alles auf sich. Wenn es keine Hoffnung für die Zukunft gibt – natürlich lässt man das eigene Zuhause hinter sich. Und doch ist es kein Wunder, dass die allermeisten Menschen, die fliehen, in den Regionen bleiben, die sie kennen. Wo sie wissen, wie die Erde sich anfühlt, wie das Wasser schmeckt, wie die Luft riecht.

Zuhause ist ein umkämpftes Konzept. Es kann ausschließend und einschließend verstanden werden. In Iran, dem Land, aus dem ich stamme, wird das Zuhause als ein gemeinschaftlicher Ort verstanden. Es ist traditionell ein Raum, der da ist, um geteilt zu werden. Das eigene Wohlbefinden wird den Bedürfnissen des Gastes untergeordnet. Natürlich bekommt der Gast das Bett, man selbst nimmt den Boden, natürlich kriegt der Gast das Essen, man selbst isst, was übrig bleibt. Alles andere wäre eine Schande. Diese Art der Gastfreundschaft nimmt manchmal absurde Züge an, weil sie so weit gehen kann, dass sie wiederum den Gast in die Scham treibt. Das Ritual an sich ist aber heilig, und es kann ein authentisches Gefühl eines geteilten Zuhauses entstehen.

In manchen anderen Ländern gibt es ganz andere Konzepte, die wenig mit Tradition, sondern vielmehr mit Abschottung zu tun haben. Als Bild fallen mir dabei sogenannte Gated Communities ein, abgetrennte, durch Sicherheitsdienste geschützte Wohnviertel, die privat geführt sind und meist wohlhabenden Menschen gehören. Wer nicht dazu gehört, darf nicht hineinkommen.

Es sind Städte in der Stadt, und sie sind darauf ausgerichtet, zu sagen: Wir sind anders als ihr. Wir haben unsere eigenen Regeln, wir haben unsere eigenen Mauern, wir bestimmen, wer zu uns gehört. Wer arm ist, wer bedürftig ist, wer krank oder schwach ist, gehört nicht dazu. Wir haben keine offenen Türen, sondern misstrauen jedem, der reinkommt. Wir setzen unsere Regeln mit Gewalt durch. Diese Kultur findet man nicht nur in Gated Communities, man findet sie in Staaten, man findet sie in Häusern, man findet sie in Wohnungen so mancher Menschen.

Die USA scheinen unter Donald Trump zu einer einzigen großen Gated Community geworden zu sein. Nicht nur nach außen, auch nach innen. Im Juli 2025 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump eine Verordnung, nach der wohnungslose Menschen von öffentlichen Plätzen vertrieben werden müssten. Sie würden „langfristig“ in „institutionelle Einrichtungen“ gebracht, wo sie eine „humane Behandlung“ erhalten würden – so würde die „öffentliche Ordnung“ wiederhergestellt.

Nun haben wohnungslose Menschen per definitionem kein „Zuhause“, und doch ist es womöglich dieser eine Schlafplatz, an dem sie sich mit Menschen zusammenfinden, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit geben. Oder es ist der Hund, der sie begleitet, der für sie Zuhause bedeutet. Vielleicht haben sie eine kleine Sammlung an Objekten, die sie daran erinnern, dass auch sie etwas besitzen. Anstatt diesen Menschen zu helfen, ihnen eine Wohnung zu beschaffen, ihnen das zu geben, was sie brauchen, wird ihnen das allerletzte Stück Zuhause geraubt. Autoritäre Staaten können eines besonders gut: Menschen das Zuhause rauben.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Der Tod eines geliebten Menschen, oder eine Trennung, ein Abschied, kann den Verlust des Zuhauses bedeuten, selbst wenn man weiter die gleichen Zimmer bewohnt, dasselbe Bad benutzt, die eigene Pfanne in die Hand nimmt. Plötzlich ist etwas weg, das all diesen Objekten Bedeutung gegeben hat, ein Gefühl, eine Energie, eine Seele? Was sich gestern noch wie das Zuhause angefühlt hat, kann morgen leer erscheinen. So leer, dass man sich ein neues Zuhause suchen möchte. Zuhause ist das, wie man sich darin fühlt.

Ich musste meine Wohnung verlassen, weil sie auf unbestimmte Zeit nicht bewohnbar ist. Den zuständigen Immobilienkonzern kümmert es nicht, dass ich keine Unterkunft habe. Ein paar Tage, nachdem ich auszog und das Gefühl des Verlorenseins fast unerträglich war, sagte mir eine Person: Such dir einen Gegenstand, der für dich Zuhause bedeutet. Nimm ihn überall hin mit, in jede neue Unterkunft, in die du ziehst.

Ich überlege immer noch, was das für mich sein könnte, bis heute habe ich diesen Gegenstand nicht gefunden. Vielleicht will ich ihn auch nicht finden. Vielleicht bin ich zu sehr im Gefühl verfangen, dass diese ganze Situation so ungerecht ist, dass es mir nicht gelingt, mir unabhängig von dem Ort, an dem mein eigenes Bett und meine eigene Pfanne stehen, ein Gefühl von Zuhause zu erschaffen.

Flüchtlingssommer 2015

Zehn Jahre Flüchtlingssommer 2015: Die großen Fragen von damals sind die großen Fragen von heute – ganz egal, ob es um Grenzkontrollen, Integration oder die AfD geht. Die taz sucht in einem Sonderprojekt Antworten.

„Perhaps home is not a place, but simply an irrevocable condition.“ Vielleicht ist Zuhause kein Ort, sondern schlicht ein unwiderruflicher Zustand, schrieb James Baldwin in seinem Roman „Giovanni’s Room“ aus dem Jahr 1956. Diese Zeile lässt sich als zutiefst resigniert lesen, oder als eine Tür zur Unabhängigkeit. Das Zuhause in sich zu tragen, gleich, wo man ist. Wem es gelingt, sich selbst zu genügen, sich in sich selbst so wohlzufühlen, mit der eigenen Identität, dem eigenen Schatten, mit allem, was man ist, dass man in sich selbst das Zuhause findet. Das kann als Klischee abgetan werden. Oder als Weg, den es sich zu gehen lohnt.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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