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Maßnahmen gegen Jugendgewalt in BerlinDer lange Atem nach dem Knall

Drei Jahre ist es her, dass Angriffe auf Rettungskräfte an Silvester eine Debatte lostraten. Es gab Geld für Prävention, aber geht es auch weiter?

Besuch im Feuerwehrauto im Rahmen des Wahlpflichtfachs „Retten und Schützen“ Foto: Britta Pedersen/dpa

Eltern in Berlin bekamen vor den Ferien Post von der Polizei. In dem Brief, den die Behörde über die Schulen verschickte, heißt es: „Seien Sie und ihr Kind Vorbild für alle anderen, zeigen Sie, dass Silvester auch ohne Gewalt Spaß machen kann.“ Die Polizei listet darin Regelungen für den Jahreswechsel auf und weist darauf hin, dass es eine Straftat ist, wenn Feuerwerk andere (auch ungewollt) verletzt. Sie appaliert zudem auf Postings über Knallerei zu verzichten: „Keine Gewalt im Netz“.

Der Brief ist Teil einer Strategie, mit der Berlin seit dem Jahreswechsel 2022/23 und der folgenden Debatte über Jugendgewalt Silvester befrieden will. In der Neuköllner High-Deck-Siedlung war nach Böllerwürfen ein Reisebus unter einem Wohnhaus ausgebrannt. An verschiedenen Orten flogen Feuerwerksraketen und Böller auf Po­li­zis­t*in­nen und Feuerwehrleute. 38 Personen waren festgenommen worden.

Nachdem die erste große – und dank CDU-Namensabfrage teils rassistisch motivierte Empörung – verklungen war, kam der Ruf nach Konsequenzen. Die damals Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und ihr Nachfolger Kai Wegner (CDU) luden zu insgesamt drei „Gipfeln gegen Jugendgewalt“. Rund 107 Millionen Euro flossen in rund 30 Maßnahmen, die das Miteinander fördern sollten, darunter Sportangebote, Schul- und Jugendsozialarbeit und Familienförderung. Die Mittel waren verteilt über drei Jahre. Kai Wegner sagte damals: „Prävention ist ein Marathon, kein Sprint.“ Er und Giffey betonten auch, dass die Maßnahmen nachhaltig sein sollten, dass die Anti-Gewalt-Prävention also strukturell gestärkt werden solle, nicht nur einmalig.

Doch wieviel ist wirklich langfristig verankert? Konkret: Wenn Berlin nun im Januar ins dritte Jahr nach den Krawallen startet, wie viel wird weiterhin gegen Jugendgewalt getan?

Maßnahmen gegen Jugendgewalt

Für Maßnahmen zur Prävention von Jugendgewalt hatte der Senat von 2023 bis 2025 rund 107 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, das waren 2023 rund 18,4 Millionen Euro, gut 44,1 Millionen Euro für 2024 und ähnlich viel – nämlich 44,2 Millionen – für das Jahr 2025. Insgesamt setzten die Verwaltungen 33 Maßnahmen zur Prävention und Intervention von Jugendgewalt von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF), der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung sowie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in Zusammenarbeit mit den Bezirken und der Zivilgesellschaft umgesetzt.

Bezirken sowie unter Beteiligung Jugendlicher und der Zivilgesellschaft wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket entwickelt, das zum Ziel hat, Jugendgewalt – insbesondere in belasteten Gebieten – durch Prävention und Intervention wirksam zu begegnen. Zum einen sollen Jugendlichen Perspektiven und Teilhabechancen eröffnet und zugleich klare Konsequenzen bei Straftaten und Grenzüberschreitungen aufgezeigt werden. Die Projekte fördern die soziale und berufliche Teilhabe junger Menschen, stärken Konflikt- und Gewaltprävention und setzen konsequentes Handeln bei strafbarem Verhalten um. Zum anderen verfolgt der Senat bei der Prävention von Jugendgewalt außerdem die Strategie, im Kontext der Familie anzusetzen, um die Elternkompetenzen frühzeitig zu stärken. Hierbei sollen insbesondere Familien mit multiplen Problemlagen durch Beratung, Begleitung und Begegnung erreicht werden.

Die Senatsverwaltung für Jugend hat auch den Bezirken Geld zur Verfügung gestellt, mit denen sie diese aus einem von der Verwaltung als sinnvoll bewerteten Maßnahmenkatalog von Vorschlägen das umsetzen konnten, was am besten zu ihren Bedarfen passt. Geld gibt es inzwischen auch für die sogenannten Flexibudgets, mit denen Jugendämter niedrigschwellig reagieren können, noch bevor es soweit kommt, dass Hilfen zur Erziehung notwendig werden. (taz)

„Sehr Vieles“, sagt Falko Liecke (CDU). Er ist seit 2023 Staatssekretär für Jugend und Familie und war maßgeblich an der Umsetzung beteiligt. „Das, was in den letzten Jahren entstanden ist, soll fortgeführt werden“, sagt er, das seien nahezu alle Maßnahmen. Das bekräftigt auch seine Kollegin Kerstin Stappenbeck, Abteilungsleiterin für Jugend und Kinderschutz. „Die Projektpartner haben die Maßnahmen damals schnell und mit viel Energie aufgebaut“, sagt sie. Die Senatsverwaltung hat die Maßnahmen mit positivem Ergebnis evaluiert. Die Verwaltung gibt an, dass sie rund 92.500 junge Menschen erreicht hat, darunter gelten 55 Prozent als armutsbetroffen und 65 Prozent sind männlich.

Das, was in den letzten Jahren entstanden ist, soll fortgeführt werden

Falko Liecke, Staatssekretär

Allerdings gibt es auch hier jedes Jahr für die Projekte eine Phase, in der eben nicht klar ist, ob die Politik die Mittel tatsächlich wieder bereitstellt. Auch in den aktuellen Haushaltsdebatten sah es teils so aus, als ob Projekte von Kürzungen bedroht sind. Obwohl also alle Beteiligten die Maßnahmen loben – darunter Feuerwehr, Jugendhilfeträger und Bezirke – unterliegen sie vielfach weiter den Projektförderlogiken, die sich jeweils auf ein Jahr beziehen.

Jugenddelinquenzteams strukturell verankert

Tatsächlich gelungen ist die strukturelle Verankerung bei den Jugenddelinquenzteams. Das sind in der Gewaltprävention geschulte Jugendsozialarbeiter*innen, die Jugendliche, die mehrfach mit Gealt aufgefallen sind, nach dem sogenannten Neuköllner Modell betreuen. Voraussetzung ist, dass die Eltern Polizei und Jugendamt vom Datenschutz entbinden. Wenn der junge Mensch auffällt, tauschen sich die beteiligten Stellen sofort aus und die So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen haken direkt nach. Diese Teams sind nun in allen Bezirken fest angestellt und dadurch langfristig gesichert.

Erfolgreich waren der Mitternachtssport, also Sportangebote abends, nachts und am Wochenende. Oder Fußballspiele, gemeinsame Feste und Workshops von Jugendlichen zusammen mit Feuerwehrleuten. Auch dieses Jahr werden Jugendclubs wieder Silvesterparties mit den Jugendlichen machen oder mit ihnen wegfahren.

Über die Gelder gegen Jugendgewalt sind inzwischen in allen Bezirken mindestens zwei Streetwork-Teams aufgebaut, Sechs sind es gar in Mitte. Außerdem gibt es Teams, die gegen Schuldistanz vorgehen. „Es war uns wichtig, dass alles, was mit Jugendlichen entstanden ist, fortgeführt wird“, sagt Stappenbeck. „Wir haben Zielgruppen erreicht, die wir bisher nicht ausreichend im Fokus hatten“, betont sie. Und Liecke betont den Kontakt zu Eltern. „Wir kommen darüber auch an die Familien ran, die sonst schwer erreichbar sind“, Das sei wichtig. „Denn wie Gewalt auch hat Schuldistanz seine Gründe“, sagt er.

Janis Tappe koordiniert das Kiezprojekt der Feuerwehr, bei dem Jugendliche etwa mit Feuerwehrleuten Fußball spielen, sich für gemeinsames Kochen treffen oder auch Erwachsene die Wache besuchen. Außerdem führen sie vor Silvester Workshops zu sicherem Böllern durch. An einer Schule in Neukölln läuft „Schützen und Retten“ als Wahlpflichtfach. Das Projekt sieht Tappe als großen Erfolg „auf unterschiedlichen Ebenen“, sagt er. An­woh­ne­r*in­nen und Feuerwehrleute treffen sich außerhalb von Einsätzen, also außerhalb von Stress-Situationen“, sagt er. Diese Kontakte auf Augenhöhe erzeugten mehr Verständnis für das Gegenüber.

Ihre Arbeit sei etabliert und wird im kommenden Jahr weiter finanziert. „Bisher machen die Kollegen das zusätzlich zu ihrer Arbeit und bekommen dafür einen Freizeitausgleich“, sagt Tappe. „Um es langfristig zu sichern, bräuchte es für diese Arbeit feste Stellenanteile und Koordinatoren.“ Dazu müsste in Berlin wohl auch das Gesetz angepasst werden, weil die Feuerwehr hier – anders als in anderen Bundesländern – keinen gesetzlichen Präventionsauftrag hat.

Staatssekretär Liecke erklärt, dass die Senatsverwaltung sich für Änderungen bei den Zuwendungen einsetzt. „Wenn wir sehen, dass diese zur Infrastruktur und Stärkung der Maßnahmen vor Ort beitragen, wir so Kinder, Jugendliche und Familie auf Augenhöhe und nachhaltig erreichen, dann können wir auch über längere Zeiträume fördern“, sagt er. Für die Träger bedeute das auch Planungssicherheit.

„Darauf, Projekte über mehrere Jahre zu fördern, könnten sich wohl alle einigen“, sagt Klara Schedlich, Sprecherin für Jugend- und Sportpolitik der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Es ist rechtlich kompliziert, aber die Verwaltung hätte da auch schon weiter sein können“, sagt sie. „Mein Eindruck ist, dass die CDU über die Gelder auch verfügen können will, je mehr gebunden sind, desto weniger ist das möglich.“ So habe die CDU politische unliebsame Träger nun aussortieren können. Schedlich kritisiert, dass wieder erst kurz vor Jahresende feststeht, wer wie weitergefördert wird. „Präventionsarbeit beruht in der Jugendhilfe auf langfristigen Beziehungen. Wenn die Arbeitsbedingungen so unsicher sind, dass die Mit­ar­bei­te­r*in­nen sich wegbewerben, funktioniert das gerade in belasteten Vierteln nicht“, sagt sie.

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