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Aktivistinnen zu US-Terrorvorwurf„Die Antifa Ost gibt es gar nicht“

Die USA haben die „Antifa-Ost“ als Terrorgruppe eingestuft. In Deutschland gehe die Entwicklung in die gleiche Richtung, klagen zwei Unterstützerinnen.

Die Antifa-Bewegung unter Druck wie lange nicht: Bilder einer Demonstration in Leipzig 2024 Foto: Sebastian Willknow, dpa
Timm Kühn

Interview von

Timm Kühn

taz: Frau Becker, Frau Weißdorn, Sie sind beide in Soligruppen für An­ti­fa­schis­t:in­nen aus dem Ermittlungskomplex „Antifa Ost“ aktiv. Mitte November hat das US-Außenministerium die „Antifa Ost“ zu einer ausländischen Terrororganisation erklärt. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon erfahren haben?

Miriam Becker: Im ersten Moment musste ich total lachen. Das ist natürlich furchtbar, aber es ist auch so absurd. Maja und die anderen, die aus Jena angeklagt sind, sind ja noch sehr jung. Das muss man erstmal geschafft haben, in den ersten vier Jahren nach der Schule auf die internationale Terrorliste gesetzt zu werden – neben Gruppen wie Hamas, Hisbollah oder al-Qaida. Um den Vergleich zu ziehen, muss man sich schon wirklich sehr viel reingeworfen haben.

taz: Die USA begründen ihre Einstufung mit der Reihe von teils ziemlich brutalen Übergriffen auf Neonazis, die die Polizei der „Antifa Ost“ zurechnet. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

Becker: Ich bin im Solidaritätskomitee für Maja T. aktiv. Wir sind Eltern, Geschwister, Verwandte, Freund:innen. Wir positionieren uns als Komitee dazu gar nicht. Es gibt gerade einen Prozess, wo es darum gehen soll, herauszufinden, was passiert ist. Bis das geklärt ist, gilt die Unschuldsvermutung. Besonders viele Beweise wurden gegen Maja bisher jedenfalls nicht vorgelegt.

Im Interview: Miriam Becker

ist 22 Jahre alt und kommt aus Jena. Sie ist aktiv im Solidaritätskomitee für Maja T., das aus Freun­d:in­nen und Verwandten von T. besteht. Da sie nicht mit Klarnamen genannt werden will, ist der Name fiktiv.

Im Interview: Thea Weißdorn

ist 27 Jahre alt und lebt in Jena. Sie ist Teil des Budapest Antifascist Solidarity Committee (BASC), das politische Unterstützungsarbeit macht. Auch ihr Name ist fiktiv, da sie nicht mit Klarnamen genannt werden will.

Thea Weißdorn: In Dresden wird ja aktuell wieder über zwei Angriffe in Eisenach verhandelt, die dem Neonazi Leon Ringl und seiner Kampfsportgruppe Knockout51 galten. Die haben Waffen gehortet, die wollten Linke töten und einen „Nazi-Kiez“ mit Gewalt aufrechterhalten. Ich finde es schon richtig, das zu unterbinden, gerade weil es der deutsche Staat und die Polizei nicht getan haben. Ob die Form, in der das geschehen ist, richtig war, kann je­de:r selbst beurteilen. Es ist auch okay, dass der Staat Körperverletzungs- oder Diebstahldelikte verfolgt. Aber es ist immer die Frage: Wird hier eine Straftat verfolgt, oder ist es ein politisches Verfahren, um Antifaschismus insgesamt zu kriminalisieren? Die Einstufung aus den USA ist da nur der nächste Schritt einer absurden Entwicklung, die es auch in Deutschland gibt.

taz: Was denn für eine Entwicklung?

Weißdorn: Bei den Prozessen geht es um Diebstahl oder Körperverletzung, auch mal gefährliche Körperverletzung. Das sind keine Taten, die normalerweise vom Staatsschutzsenat vor einem Oberlandesgericht verhandelt werden. Auch die Anklagen sind absurd: Jeder weiß, dass linke Bewegungen seit Jahrzehnten nicht mehr Mord und Totschlag als Mittel wählen, aber trotzdem wurde und wird in den deutschen Prozessen auch wegen versuchten Mordes verhandelt. Das funktioniert nur, wenn man daraus eine angeblich so gefährliche kriminelle Vereinigung spinnt.

taz: Von den vier militanten linken Gruppen, die jüngst von den USA zu Terrororganisationen erklärt wurden, ist „Antifa Ost“ die einzige, deren Bezeichnung eine Fremdzuschreibung ist. Sie identifizieren sich damit nicht?

Becker: Die „Antifa Ost“ ist ein völliges Hirngespinst. Ursprünglich entstanden ist der Begriff in den Ermittlungen rund um Lina E. Auch der Begriff „Hammerbande“, auf den sich die USA ebenfalls beziehen, ist keine Selbstbezeichnung, sondern stammt aus der Springerpresse.

Weißdorn: Unter „Antifa Ost“ werden Leute aus Bayern verfolgt, selbst aus Italien. Es macht alles längst keinen Sinn mehr. Dem deutschen Staat geht es offenbar darum, die Ermittlungen auf Leute auszuweiten, denen keine konkreten Taten vorgeworfen werden, sondern Unterstützung oder Ähnliches. Die wollen eine Rechtfertigung, die antifaschistische Szene auszuspähen.

Becker: Und es geht darum, das persönliche Umfeld einzuschüchtern.

taz: Im Kern werden unter dem Begriff zwei Tatkomplexe verhandelt: Die Ermittlungen um Lina E., die gerade mit dem Prozess gegen Johann G. in die nächste Runde gehen und sich um Taten in Deutschland zwischen 2018 und 2020 drehen – und die Überfälle am neonazistischen „Tag der Ehre“ 2023 in Budapest. Verneinen Sie, dass es da einen Zusammenhang gibt?

Weißdorn: Ich kann das weder verneinen noch bestätigen, weil ich es nicht weiß. Aber Jena zum Beispiel ist de facto ein Dorf, da kennt sich jeder aus der Schule oder von woanders. Vielleicht kennen sich da ja Leute, aber das heißt doch nicht, dass sie gemeinsam eine kriminelle Vereinigung gegründet haben. Ich finde es schon aus der Luft gegriffen, zu sagen, dass die Leute, die sich vor sechs Jahren Eisenach überlegt haben sollen, dieselben sind, die nach Budapest gefahren sind. Viele der Budapest-Angeklagten waren zu dem Zeitpunkt noch Teenager.

taz: Was sind die konkreten Auswirkungen der Einstufung der US-Behörden?

Becker: Wenn konkrete Einzelpersonen auf der Terrorliste auftauchen, dürfen sie nicht mehr in die USA einreisen und können auch US-Dienste wie Paypal nicht mehr nutzen. Auch internationales Vermögen kann eingefroren werden. Aber ganz vieles ist total unklar. Vor allem, für wen das gilt. Muss man rechtskräftig verurteilt werden, um auf diese Liste zu kommen, oder reicht es, in der Presse mit der „Antifa Ost“ in Verbindung gebracht zu werden? Aber natürlich betrifft so etwas auch alle, die sich einfach nur mit Antifaschismus solidarisieren wollen.

taz: Wie denn?

Weißdorn: Auch die Unterstützung von angeblichen Ter­ro­ris­t:in­nen ist ja für US-Bürger:innen illegal. Die Auswirkungen für Familien und Freun­d:in­nen kennen wir noch nicht. Auch Ungarn hat die „Antifa Ost“ zur Terrororganisation erklärt. Da muss man gar nicht für militanten Antifaschismus sein, um ins Visier der Behörden zu geraten. Da reicht es, in Budapest vor Gericht dagegen zu protestieren, dass Maja seit 500 Tagen in Isolationshaft sitzt und illegal ausgeliefert wurde.

taz: Worin sehen Sie die politische Bedeutung der Einstufung?

Becker: Die extreme Rechte wird überall stärker, nicht nur in den USA. Regierungen fangen deshalb überall an, Antifaschismus als etwas Schlechtes darzustellen. Also nicht nur diejenigen, die wegen konkreter Tatvorwürfe angeklagt oder verurteilt werden, sondern die Bewegung insgesamt. Der Blick auf die Realität verschiebt sich. In Thüringen diskutieren wir plötzlich darüber, ob Antifaschismus von der Verfassung abgedeckt ist, während die Nazis Waffen horten und Todeslisten anlegen. Das verdreht doch total den Blick darauf, wie real die Bedrohung von rechts aktuell ist.

taz: Viele, die der „Antifa Ost“ zugerechnet werden, sitzen inzwischen in U-Haft oder regulärer Haft. Was ist denn noch übrig von der „Antifa Ost“?

Weißdorn: Das ist ja das Spannende: Niemand weiß, wann das alles ein Ende nimmt. Im aktuell laufenden Prozess in Dresden sind auch Leute angeklagt, die nur ein Auto ausgeliehen haben sollen. Für diese Menschen ist schon der Prozess eine Strafe, weil sie nun anderthalb Jahre zweimal die Woche nach Dresden fahren müssen, während sie parallel Studium, Familie und Arbeit unter einen Hut bekommen müssen. Ob es danach noch eine Prozessrunde zwei, drei, vier, fünf und sechs geben wird, ist einfach unklar, weil alles so ausgeufert ist.

taz: In Deutschland wird nicht wegen einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Fordern Sie von der Bundesregierung, dass sie die eigenen Staats­bür­ge­r:in­nen vor den USA schützt?

Becker: Wir als Solikomitee für Maja fordern von der Bundesregierung, Maja aus Ungarn zurückzuholen, und zwar sofort. Die rechtswidrige Auslieferung dorthin muss rückgängig gemacht werden. Aber wir wollen uns nicht so sehr auf die Staatsbürgerschaft beziehen, weil wir natürlich auch die Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn verhindern wollen, der keine Staatsbürgerschaft besitzt. Es kann nicht sein, dass da ein Unterschied gemacht wird. Es sollte niemand nach Ungarn ausgeliefert werden. Selbst die faschistische Meloni-Regierung in Italien setzt sich für ihre Leute ein. Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung so untätig bleibt

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