Reichsbürger-Prozess um Prinz Reuß: Jetzt sind Angriffspläne plötzlich nur „irrwitzige Ideen“
Der mutmaßliche Reichsbürger-Putschist Heinrich XIII. Prinz Reuß äußert sich vor Gericht erstmals zur Anklage. Er stilisiert sich vor allem als Opfer.
Alter Adel weint nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit: Das scheint für Heinrich XIII. Prinz Reuß ein eherner Grundsatz zu sein. Jedenfalls schmerzt es ihn sehr, dass er am Mittwoch im Frankfurter Oberlandesgericht immer wieder dagegen verstößt. „Ich weiß nicht, was das soll mit dieser Emotionalität“, rügt sich der 74-Jährige selbst. „Das ist mir auch fremd.“ Er schluchzt, wenn er vom Tod seines Vaters spricht oder von seiner Tochter. Aber auch, wenn er die Präambel der Reichsverfassung von 1871 vorliest.
Seit genau hundert Verhandlungstagen muss sich der Frankfurter Immobilienunternehmer zusammen mit acht weiteren Männern und Frauen vor dem Staatsschutzsenat verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen – sowie 16 Angeklagten, die in Stuttgart und München vor Gericht stehen – die Vorbereitung eines bewaffneten Reichsbürger-Umsturzes vor. Die Anklage lautet auf Terrorismus und Hochverrat.
Mehr als anderthalb Jahre nach Prozessbeginn hat der mutmaßliche Rädelsführer nun damit begonnen, sich zur Anklage zu äußern. „Ich habe keine Terrorakte geplant“, trägt er seine vorbereitete Einlassung vor. „Ich war kein Terrorist und werde kein Terrorist werden.“ Über die Planung eines Angriffs auf den Bundestag, wie sie der Gruppe zur Last gelegt wird, habe er nie gesprochen. Und er hätte derlei Gewalthandlungen auch grundsätzlich abgelehnt. Als einer seiner heutigen Mitangeklagten diese „irrwitzige Idee“ in einem Chat andeutete, habe er nicht nachgefragt, erklärt Reuß. „Weil mich das nicht interessiert hat.“
Wie bei allen Angeklagten, die sich bislang zur Sache eingelassen haben, steht auch bei ihm die vermeintliche „Allianz“ im Mittelpunkt, ein Kernelement des antisemitischen QAnon-Verschwörungsglaubens. Man habe mit dem baldigen Einmarsch dieser übermächtigen internationalen Geheimarmee gerechnet und sich deshalb auf den Umsturz der Verhältnisse in Deutschland vorbereiten wollen. Aber ohne selbst irgendetwas voranzutreiben.
In einem wesentlichen Punkt weicht Reuß jedoch von dem ab, was seine Mitangeklagten und auch seine Verteidiger bis dato erklärt haben. Für ihn war die erwartete Invasion demnach nicht mit der Hoffnung verbunden, von der „Allianz“ als neue deutsche Regierung eingesetzt zu werden. Sondern mit Sorge: „Das hat mich massiv beunruhigt und mich bewegt, mein Potenzial gegen Diktatur und militärische Fremdbestimmung einzubringen.“ Und zwar, indem er sich um die Reaktivierung der deutschen Fürstentümer bemüht habe. Allem voran: dem eigenen.
Der Putschist als verkannter Widerstandskämpfer
Der mutmaßliche Putschist als verkannter Widerstandskämpfer. Es ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht ganz leicht, den Gedanken des Angeklagten zu folgen. Der „Rat“, der auf seinem Jagdschloss in Bad Lobenstein tagte und in dem bereits ministeriumsartige „Ressorts“ verteilt wurden, unter anderem an die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann? Bloß ein „Gesprächskreis intellektueller Personen mit wechselnden Vorträgen während der Coronapandemie“, sagt Reuß. Die Bundesanwaltschaft stuft die Runde als designierte Putschregierung ein, geführt von Reuß. Der aber wiegelt ab: „Es gab keinen Vorsitzenden, keinen Bestimmer, keine Beschlüsse und keine Planung. Ich habe als Hausherr lediglich moderiert.“
Die Verschwiegenheitserklärungen, die Dutzende Mitverschwörer*innen unterzeichneten und in denen ihnen bei Verrat die Todesstrafe angedroht wurde, seien ohne sein Wissen unter die Leute gebracht worden. Obwohl darin stand, dass er persönlich das Todesurteil sprechen würde.
Mehrfach distanziert sich Reuß demonstrativ von seinen damaligen Überzeugungen, dann wieder scheint durch, dass er das Reichsbürger-Narrativ von der angeblich fehlenden Souveränität der Bundesrepublik doch noch nicht so ganz ad acta gelegt hat. Er nennt es einen „unverzeihlichen Fehler“, dass er sich 2020 von, wie er es ausdrückt, „sächsischen Patrioten“ zur feierlichen Proklamation seines Fürstentums Reuß habe überreden lassen. Dann wiederum beteuert er, überhaupt niemals der Reichsbürger-Ideologie gefolgt zu sein, sondern sich allein wegen seines Ringens um die Restitution enteigneten Familieneigentums mit der „Rechtsstellung Deutschlands“ befasst zu haben.
Prinz Reuß als Opfer: Das ist seine liebste Rolle
Heinrich XIII. Prinz Reuß als Opfer: Das ist seine liebste Rolle. Als Opfer der Gerichte schildert er sich, die ihm den alten Familienbesitz nicht wiedergeben wollten. Als Opfer von Mitangeklagten, die ihm mit Geschichten über die Befreiung missbrauchter Kinder aus unterirdischen Tunneln – das andere große QAnon-Narrativ – viel Geld aus der Tasche gezogen hätten: „Ich fühlte mich für weiteres Leid mitverantwortlich, wenn ich nicht zahlen würde.“
Doch vor allem sieht er sich als Opfer der sozialen Medien, die mit Lügen und Manipulation seinen Irrglauben an die „Allianz“ befeuert hätten. „Auf diesen Informationsterrorismus sind wir alle hereingefallen“, sagt er. Und wähnt erneut mächtige Strippenzieher am Werk: „Es müssen politische Kräfte mit großer wirtschaftlicher Kraft sein.“ Wer das sein soll, verrät er nicht.
In der kommenden Woche will Reuß seine Aussage fortsetzen. Bisher hat er von 40 Kapiteln drei vorgelesen.
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