Hautfarben-Chart in ARD-Show „Die 100“: Befremdlich und falsch
Die ARD-Show „Die 100“ reproduziert eine Szene aus Family Guy. Sie will damit den Rassismus von Merz' Stadtbild offenbaren. Und verfällt ihm dabei selbst.
I ns deutsche Fernsehen lässt sich die Szene nicht übersetzen, soviel ist jetzt zumindest klar. Ursprünglich stammt die Idee, an die sich das ARD-Format „Die 100 – was bewegt Deutschland“ meinte wagen zu müssen, von Family Guy.
In dem Cartoon fährt die Hauptfigur, Peter Griffin, über eine Landesgrenze. An der Grenzkontrolle hält ihm ein Beamter eine Hautfarbenskala neben das Gesicht: oben helle Hauttöne, beschriftet mit „Okay“, unten braune und Schwarze, „nicht okay“. Da Griffin weiß ist, winkt ihn der Grenzbeamte durch.
Was Family Guy gekonnt, wenn auch makaber, karikiert – nämlich die rassistische Idee, dass es gute und schlechte Einwandernde gibt, Migrant_innen und „Expats“, weiße und schwarze – geht in „Die 100“ daneben. In der ARD-Sendung stimmen hundert Bürger_innen auf einer Bühne über kontroverse Fragen ab, dieses Mal ging es im Kontext der Frage, ob Deutschland gut regiert werde, auch um die Stadtbild-Debatte.
Die Aktion mit dem Hautfarben-Chart soll untersuchen, wer im Stadtbild laut Merz wohl ein Problem darstellen würde und wer nicht. Die Szene mehrfach ansehen zu müssen, um sie beschreiben zu können, ist nicht leicht.
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„Wahnsinnig zugespitzt“ nennt Nassif die Aktion
Der Moderator, Till Nassif, hält das Hautfarben-Chart in der Hand, hält es zunächst an sein eigenes Gesicht, scherzt, dass er froh sei, dass ihn die Maske nicht zu dunkel geschminkt habe. Dann hält er es neben eine weiße Frau, sie sagt, dass sie wohl bestehen würde. Im Hintergrund lacht das Publikum schon erwartungsvoll, da neben ihr ein schwarzer Mann steht.
„Also ich denke, ich würde nicht bestehen“, sagt er, als sich der Moderator dann, wie befürchtet, ihm zuwendet, das Chart an sein Gesicht hält und es mit einer Taschenlampe beleuchtet. Wie sich das anfühle, fragt Nassif und hält während der gesamten Antwort die Karte weiterhin neben das Gesicht des Mannes. Als der erklärt, dass sich der Rassismus verschlimmert habe und er neuerdings mehr Hass erfahre, antwortet Nassif abrupt „Okay!“ und geht weg, um seine Moderation fortzuführen.
Das Publikum applaudiert, als „wahnsinnig zugespitzt“ bezeichnet Nassif dann die Aktion. Es ist schwer vorstellbar, wie eine Redaktion diese Idee abnicken konnte. Sie ist nicht etwa bitterböse komisch und zeigt auch nicht scharf beobachtend einen Missstand auf. Sondern sie ist unangenehm und falsch, die Präsentation völlig befremdlich.
Denn Die 100 ist kein Satireformat, auch kein Cartoon. Zudem füllt die Sendung die Leerstelle, die „Family Guy“ bewusst lässt. Dort sieht man schließlich nur die Realität einer weißen Person. Was einer Person of Colour an der Grenze geschieht, überlässt man den Zuschauenden, auch weil das zu zeigen zu schmerzhaft ist. „Die 100“ füllt diese Lücke mit einer echten Person, deren Gesicht im Fernsehen und jetzt in einem Clip zu sehen ist, der tausendfach geklickt wurde.
Dass es selbst rassistisch ist, eine einzelne Person in einem solchen Kontext derart zu exponieren, hätte den Verantwortlichen auffallen müssen, bevor die Sendung ausgestrahlt wurde. Um Rassismus zu finden, ist kein Fingerzeigen auf Merz nötig.
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