piwik no script img

34 Befunde falsch bewertetBrustkrebs-Fehlbehandlung in Bremen

Eine Pathologin in Bremen hat mehrfach einen Tumormarker falsch gedeutet. Die Aufklärung steht am Anfang. Aber CDU und FDP meinen, die Gründe zu kennen.

Am Bremer Klinikum Mitte wurden Brustkrebsbefunde falsch bewertet Foto: Sina Schuldt/dpa

In Bremen soll eine externe Prüfung aufklären, wie es zu einer Fehlerserie bei der Bewertung von Brustkrebsbefunden kommen konnte. Das bekräftigte am Dienstag im Parlament Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke). Sie sagte aber auch, wie schwer es sei, jemand für diese Aufgabe zu finden. Auf Nachfrage der taz konnte ihre Sprecherin nicht sagen, welche Qualifikation genau gesucht werde.

Derweil weiß die Opposition ohne Prüfung und Kenntnis der genauen Umstände, dass strukturelle Probleme ursächlich sind, wie CDU- und FDP-Parlamentsabgeordnete in der Sitzung der Stadtbürgerschaft kundtaten. Beide Fraktionen hatten bereits sechs Tage nach Bekanntwerden der Fehlerserie am 2. Dezember detaillierte Anfragen an den Senat gestellt.

Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt – gegen unbekannt wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung, wie eine Sprecherin der taz sagte. Das liegt daran, dass Pa­ti­en­t:in­nen aufgrund der fehlerhaften Befunde Therapien bekommen haben, die nicht indiziert waren, aber mit schweren Nebenwirkungen sowie Langzeitschäden verbunden sein können.

Im Fokus des öffentlichen Interesses hatte zunächst eine Oberärztin gestanden, die nach Aussagen der kommunalen Krankenhausgesellschaft Geno allein für 34 fehlerhafte Befunde am Klinikum Bremen-Mitte verantwortlich sein soll. Stichprobenhaft seien Befunde weiterer Ärz­t:in­nen untersucht worden, dabei habe es nichts zu beanstanden gegeben, teilte eine Geno-Sprecherin der taz mit. Und: „Wir können uns das nicht erklären.“ Die Ärztin sei eine erfahrene Pathologin, die jetzt allerdings nicht mehr für die Bremer Klinik tätig sei.

Freistellung auch in Göttingen

Auch die Universitätsklinik Göttingen, in der sie ebenfalls in Teilzeit arbeitet, hat sie bis Weihnachten freigestellt – „um die Hintergründe transparent und umfassend aufzuarbeiten“, wie eine Kliniksprecherin der taz mitteilte. Man kann annehmen, dass dies auch zum Schutz der Ärztin geschieht, der jetzt so schwere Schuld zugeschoben wird.

Die Göttinger Kliniksprecherin schreibt auch, dass sämtliche von der Ärztin bearbeiteten Fälle aus dem Zeitraum Oktober 2024 bis November 2025 sorgfältig überprüft worden seien, ohne dass sich weitere Auffälligkeiten ergeben hätten. Sie ist dort anders als in Bremen nicht mit der Bewertung von Brustkrebsbefunden betraut. Nur bei diesen hat sie offenbar wiederholt denselben Fehler gemacht. In Bremen ergab die Prüfung anderer Krebsbefunde von ihr laut Krankenhausgesellschaft keine weiteren Unstimmigkeiten.

Nicht erklärbar ist derzeit, warum die fehlerhaften Befunde erst ab Februar 2025 auftauchen. Das hat nach Angaben der Geno die Überprüfung all ihrer 500 Brustkrebsbefunde zwischen dem Beginn ihrer Tätigkeit im Oktober 2024 und dem Ende im November 2025 gezeigt. Was sich im Februar verändert hat, ob es technische Neuerungen gab oder ob die Ärztin ab diesem Zeitpunkt die Proben nicht mehr in Bremen, sondern in Göttingen und damit vor einem anderen Monitor bewertet hat: Das sagt die Geno nicht mit Verweis auf die strafrechtlichen Ermittlungen.

Es geht bei der ganzen Geschichte um die Erkennung eines bestimmten Typs von schnell wachsendem Brustkrebs, der bei etwa 15 bis 20 Prozent der Pa­ti­en­t:in­nen vorliegt. Dieser kann seit etwa 25 Jahren mit einem damals neuen Medikament sehr gut behandelt werden. Diese Therapieform hat entscheidend zur Senkung der Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs beigetragen. Es handelt sich um eine Antikörpertherapie, die mit einer Chemotherapie kombiniert wird.

„Als die Studien damals zeigten, wie gut das Medikament wirkt, gab es Standing Ovations“, sagt Annette Lebeau. Sie ist Pathologin in eigener Praxis in Lübeck, Vizepräsidentin des Berufsverbandes Deutscher Pathologinnen und Pathologen und Professorin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Als ausgewiesene Expertin für die Beurteilung von Brustkrebsbefunden erklärt sie der taz am Telefon die Diagnostik dieses speziellen Krebstyps.

Ein grenzwertiges Ergebnis

Die sei heutzutage ein Routineverfahren mit etablierten Maßnahmen der Qualitätssicherung. Würden die eingehalten, sei die Diagnostik nicht fehleranfälliger als andere, sagt Annette Lebeau. Mithilfe von markierten Antikörpern werde mikroskopisch untersucht, ob das Protein HER2 stark vermehrt auf den Krebszellen vorhanden ist. Es beeinflusst die Wachstumsrate. In ungefähr 15 bis 30 Prozent aller Fälle ergebe dieser Test ein grenzwertiges Ergebnis, den so genannten „Score 2+“, sagt sie. Das bedeutet, dass ein zweites Verfahren herangezogen werden muss, um zwischen HER2-positiv und -negativ zu unterscheiden.

In den 34 Fällen am Klinikum Bremen-Mitte hatte die Oberärztin nicht erkannt, dass sie diese Gruppe mit dem Score 2+ vor sich hatte. Sie hatte stattdessen, das sagt die Sprecherin der Klinik, die Immunhistochemie der Gewebeproben mit dem „Score 3+“ als stark gefärbt und damit als eindeutig positiv bewertet. Andere Proben habe sie richtig als 2+ interpretiert.

Die Pa­ti­en­t:in­nen hatten daraufhin eine Antikörpertherapie bekommen, die nicht bei allen einen medizinischen Nutzen hatte. Einige hätten auch die Chemotherapie nicht gebraucht, sagte die Geno-Sprecherin der taz. Wie viele falsch behandelt wurden und wie viele richtig im Sinne eines Therapieerfolgs, könne sie nicht sagen. Auch nicht, wie viele nur die Chemotherapie bekommen hatten.

Offen bleibt, wie es dazu kommen konnte, dass die Ärztin so viele Befunde fehlerhaft interpretierte. „Wir haben hohe Qualitätsstandards in Deutschland etabliert, um solche und andere Fehler zu vermeiden“, sagt die Lübecker Pathologin Annette Lebeau. Die Situation in Bremen stelle deshalb eine Ausnahme dar. „Welche Sicherungsmaßnahmen hier versagt haben, muss kritisch geprüft und differenziert betrachtet werden.“

Dabei wird es auch darum gehen, ob in der Pathologie am Klinikum Mitte ausreichend fachärztliche Expertise und Kapazitäten für die Diagnostik der verschiedenen Krebserkrankungen vorhanden sind. Derzeit arbeiten dort neben dem Chefarzt nur zwei Fachärzt:innen. Sie müssen jetzt nach dem Ausscheiden der Oberärztin nicht nur deren Arbeit übernehmen. Als vertrauensbildende Maßnahme sollen sie alle Brustkrebsbefunde nach dem Vieraugenprinzip bewerten. Dies ist kein Standardverfahren und wird von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare