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UltralaufRiskanter Hype

Der Extremsport Ultralauf liegt auf Instagram und Tiktok zunehmend im Trend. Doch viele In­flu­en­ce­r:in­nen verschweigen die Gefahren.

Sieht oft toll auf Social Media aus, kann aber Risiken bergen: extremer Laufsport, hier in den USA Foto: imago

Hunderte Kilometer laufen und bewusst über die Grenzen des eigenen Körpers hinausgehen, darum geht es beim Ultralauf. Was einst Extremsport war, liegt bei jungen Menschen auf Instagram und Tiktok zunehmend im Trend.

Mit dem Last Soul Ultra (LSU) etwa, einem Backyard-Ultralauf in NRW im Oktober mit rund hundert teils prominenten Teilnehmenden, erreichte der Sport ein Millionenpublikum bei Social Media. Zeitweise verfolgten 40.000 Zu­schaue­r:in­nen den Livestream und sahen Stars wie Fußballweltmeister André Schürrle, MMA-Kämpfer Stephan Pütz, Schwimmweltmeisterin Leonie Beck und den Influencerinnen Imke Salander und Maren Schiller zu. Manche von ihnen hatten keinerlei Ultralauf-Erfahrung.

Bei einem Backyard-Ultra wird stündlich eine 6,7-Kilometer-Runde gelaufen. Wer zur vollen Stunde nicht wieder an der Startlinie steht, scheidet aus, bis zuletzt nur noch eine Person eine volle Runde beendet. Die Rennen dauern oft tagelang. Nach 67 Runden (448 Kilometern) und fast drei Tagen Laufen war Schluss beim LSU. Sieger war der 22-jährige Ultraläufer und Influencer Kim Gottwald. Zusammen mit Schürrle organisierte er das Event. Auf eine Interviewanfrage der taz hat Gottwald nicht reagiert.

Alle Promis bewarben das Event auf ihren Kanälen, zeigten sich an ihren Belastungsgrenzen. Selten warnten sie dabei vor den möglichen langfristigen Folgen.

„Einordnung nötig“

Derartiges Marketing kritisiert die Influencerin Veronika (vero.sports) auf Instagram und Tiktok. Sie betreibt selbst Ultrasport, hat auf Tiktok 21,5 Millionen Likes. „Der LSU hat viele Menschen erreicht, die keine oder wenig Erfahrung mit dem Ultrasport oder Laufen im Allgemeinen haben. Für diese wäre eine Einordnung nötig gewesen“, sagt sie im Interview.

Sie kritisiert zudem die Glorifizierung des Ultralaufens. „Mir ist aufgefallen, wie sehr junge Leute dazu animiert werden, nachzueifern. Auf Social Media entwickelt sich ein neuer Trend, der Richtung Ultrasport geht.“ Laufsport boomt in den Sozialen Netzwerken, und Ultralauf erhält wegen der Extreme viel Aufmerksamkeit. So finden sich allein bei Instagram rund 2,8 Millionen Posts mit dem Hashtag UltraRunning. Grundsätzlich sieht die Influencerin in dem Trend kein Problem, fordert aber Aufklärung über Risiken.

Viele junge Menschen liefen ohne ausreichende Erfahrung und Wissen lange Distanzen, kritisiert auch Matthias Krüll, leitender medizinischer Experte des Berlin-Marathons. Er nimmt teilnehmende In­flu­en­ce­r:in­nen in die Verantwortung: „Ich finde es ausgesprochen unverantwortlich, wenn sich ein erheblicher Teil der In­flu­en­ce­r:in­nen zu Ma­ra­thon­läu­fe­r:in­nen erklärt und mit einem Halbwissen Tipps gibt, die von der Realität weit entfernt sind.“

Während maßvolle Belastung das Knochenwachstum fördere, könnten Langstreckenläufe in jungem Alter dieses beeinträchtigen und später zu Problemen führen. „Ich habe kaum In­flu­en­ce­r:in­nen erlebt oder Beiträge gesehen, wo differenziert über Themen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Check-Ups diskutiert wurde. Da gibt es wenige, die das verantwortungsvoll machen, obwohl sie ein erhebliches Publikum erreichen“, betont Krüll.

„Kein Volkslauf“

Zu möglichen Problemen zählen Gelenkreizungen sowie Sehnen- und Sehnenscheidenentzündungen. „Im besten Fall höre ich dann einfach auf. Im schlimmsten Fall laufe ich mir die Gelenke dauerhaft kaputt.“ Häufig sehe er Überlastungserscheinungen, Probleme wie Fersensporn und chronische Schmerzen.

Marathons und Ultraläufe seien kein Volkslauf: „Das ist Leistungssport. Wir können das prinzipiell machen, unser Körper ist genetisch dafür ausgelegt. Aber in der heutigen Zeit sind wir ans lange Laufen eben nicht mehr in dem Maße gewöhnt.“

Medizinische Folgen sollten auf Social Media offen kommuniziert werden, findet auch Veronika. Doch wenn man öffentlich sage, dass man etwa nach einem Wettkampf Schmerzen habe, ziehe das oft eine Welle negativer Kommentare nach sich. Daher verzichteten viele darauf: „Aber eigentlich ist es wichtig, genau das zu tun. Was ich falsch finde, ist, Videos zu posten, dass man über 100 Kilometer läuft und das nächste Video ist direkt wieder ein Training oder ein Shakeout-Run.“

Wer Lauferfahrungen sammeln wolle, sollte nicht mit einer Langdistanz beginnen, sondern mit kurzen Strecken, betont Krüll, und sieht In­flu­en­ce­r:in­nen in der Pflicht: „Es ist ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein langer Lauf eher das Ziel am Ende einer sportlichen Entwicklung ist.“ Der Körper brauche Zeit zur Gewöhnung. „Außerdem erwarte ich, dass auf die gesundheitlichen Risiken des Sports hingewiesen wird.“

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