Italienische Zeitungshäuser zum Verkauf: Im freien Fall
Mit „La Repubblica“ und „La Stampa“ sollen zwei der bedeutendsten Tageszeitungen Italiens veräußert werden. Offen ist, was dann aus ihnen wird.
Zwei Jubiläen und ein Ausverkauf: Eigentlich hätten La Repubblica und La Stampa, zwei der bedeutendsten italienischen Tageszeitungen, im Jahr 2026 wichtige Jahrestage zu begehen, doch in den Redaktionen ist niemandem zum Feiern zumute.
Am 14. Januar 1976 erschien in Rom die erste Ausgabe der Repubblica, und schon 50 Jahre vorher hatten die Agnellis, die Familie des FIAT-Konzerns, die Turiner La Stampa übernommen.
Doch unter John Elkann, Enkel des legendären Gianni Agnelli und Chef der Holding Exor, will der Familienclan nach exakt 100 Jahren komplett aus dem Mediengeschäft aussteigen und die Firma Gedi, in der die Zeitungs-, Radio- und TV-Aktivitäten der Gruppe gebündelt sind, abstoßen.
Von „Ausverkauf“ spricht vorneweg die Redaktion der Repubblica, die am Freitag für 24 Stunden in den Streik trat und eine „Phase des harten Kampfs“ ankündigte, nachdem die Eigentümer die schon seit Wochen herumgeisternden Gerüchte bestätigten: Die Gedi soll an die von der griechischen Unternehmerfamilie Kyriakou kontrollierte Antenna Group abgestoßen werden.
Es geht ums – Radio!
In Italien war dieses Medienhaus bisher völlig unbekannt, konzentrierten sich doch seine Aktivitäten auf Griechenland und diverse Balkanländer wie Slowenien, Serbien, Montenegro oder Rumänien.
Angeblich sind die Griechen am Kauf vor allem interessiert, weil sie sich die drei Radio- und TV-Sender der Gedi unter den Nagel reißen wollen, Radio DJ, Radio Capital und Radio m20. Einigermaßen desinteressiert scheint Antenna Group dagegen an den beiden Tageszeitungen.
Die Redaktion von La Stampa, die schon am Donnerstag in den Streik getreten war, schreibt in ihrem Communiqué, nach ihrem Kenntnisstand sei „der potenzielle Käufer“ schon „auf der Suche nach einem anderen potenziellen Verleger“ des Turiner Traditionsblatts, und ähnliche Gerüchte machen auch für La Repubblica die Runde.
Dass der Agnelli-Clan aus dem Mediengeschäft aussteigen will, kann nicht wirklich überraschen. Allein im Jahr 2024 machte die Gedi 45 Millionen Euro Verlust, seit 2019 türmte sie ein Minus von insgesamt gut 360 Millionen Euro auf.
Dramatisch abgestürzt
Dass die Situation sich bessern könnte, glaubt in Italien niemand. Dort ist der Zeitungsmarkt dramatisch abgestürzt. Im Land werden täglich nur noch 1,3 Millionen Tageszeitungen verkauft, Digitalabos inklusive (zum Vergleich: In Deutschland sind es rund 10,5 Millionen Exemplare).
Besonders bitter ist der Niedergang für La Repubblica. Das Blatt, das in seinen besten Zeiten, in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, noch täglich 700.000 Exemplare absetzte, das auch in der ersten Hälfte der Nullerjahre noch auf eine verkaufte Auflage von über 600.000 kam, krebst heute bei nur noch gut 100.000 Auflage rum. Und ebenso schwer wie der Auflagen- wiegt der Bedeutungsverlust der einstmals glorreichen Zeitung.
Entstanden war sie 1976 als gewagtes verlegerisches Experiment des Starjournalisten Eugenio Scalfari. Der hatte seit den Fünfzigerjahren schon mit Erfolg das Wochenmagazin L’Espresso aufgebaut, und mit La Repubblica wollte er ganz vorne mitspielen, wollte nicht nur informieren, sondern auch Meinung machen.
Seinerzeit war Italien ein Land, dessen Regierung konstant von den Christdemokraten dominiert wurde, während in der Opposition die Kommunistische Partei das Wort führte.
Eine unabhängige Stimme
In diesem Land wollte Scalfari eine liberale, eine linke, eine unabhängige Stimme platzieren – und es gelang ihm. Scalfari unterstützte in den späten Siebzigerjahren die Annäherung der Kommunisten unter Enrico Berlinguer an die Christdemokraten, er gab dann in den Achtzigerjahren dem zum Dialog mit der Linken offenen Christdemokraten-Chef Ciriaco De Mita ebenso seine Rückendeckung, wie er den Anführer der Sozialisten (und harten Antikommunisten) Bettino Craxi bekämpfte. Damals wurde ihm nachgesagt, er führe seine ganz eigene Partei an, „Il partito de La Repubblica“, er habe seine ganz persönliche Agenda zur Modernisierung Italiens.
Und als dann 1994 Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia in die Politik eintrat, wurde La Repubblica zur wohl wichtigsten Stimme der politischen ebenso wie der gesellschaftlichen Opposition gegen den Medienmogul. Mit Berlusconi hatte Scalfari eine ganz persönliche Rechnung offen. Der Mailänder Unternehmer hatte sich 1989 an einer feindlichen Übernahme der Repubblica ebenso wie des Wochenmagazins L’Espresso versucht, und Scalfari hatte diesem Versuch ebenso erbittert wie erfolgreich widerstanden.
Doch La Repubblica war nicht nur die Anti-Berlusconi-Zeitung Nummer eins in Italien, sie war auch ein Blatt, das es sich erlaubte, Paradejournalisten wie Giorgio Bocca wochen-, ja monatelang auf Reportagereise in den Süden des Landes zu schicken, ein Blatt, das Paolo Rumiz genauso gründliche Reportagen über Mitteleuropa aufschreiben ließ.
Von diesem alten Glanz ist heute wenig übrig, auch wenn La Repubblica sich immer noch einer qualitativ hochwertigen Auslandsberichterstattung rühmen darf, ob aus Deutschland oder aus dem Nahen Osten.
Bis die Redaktion revoltierte
Als Anfang vom Ende wird später wohl das Jahr 2019 erinnert werden: das Jahr, in dem die frühere Eigentümerfamilie De Benedetti dem Agnelli-Clan unter John Elkann die Kontrolle der Gedi und damit auch der Repubblica überließ. Elkann tönte seinerzeit, er habe Großes vor, er wolle mit La Repubblica – nun im verlegerischen Verbund mit La Stampa – die „digitale Offensive“ starten.
Zuerst einmal aber feuerte er den bisherigen Chefredakteur, der mit seinem Kurs ganz in der Tradition der Zeitung gestanden hatte, und inthronisierte stattdessen den bisherigen La Stampa-Chef Maurizio Molinari. Unter ihm wurde La Repubblica zunehmend gesichtslos, und Molinari agierte vor allem als Exekutor der Wünsche Elkanns, unterband dem Eigentümer nicht genehme Artikel, bis die Redaktion vor einem Jahr offen revoltierte.
Molinari musste daraufhin den Chefsessel räumen – doch der Niedergang der Zeitung setzte sich ungebrochen fort. Jetzt zieht Elkann die Notbremse und verkauft, ohne auch nur einmal mit der Redaktion gesprochen zu haben.
Die will jetzt wissen, wohin die Reise überhaupt geht, verlegerisch, ökonomisch, sozial. Und sie weiß diesmal nicht nur die Oppositionsparteien auf ihrer Seite, sondern auch die Rechtsregierung unter Giorgia Meloni. Sie hat schon für Freitag die Gedi-Spitze ebenso wie die Gewerkschaften zu Gesprächen nach Rom einbestellt.
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