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Normalerweise belebte Orte waren in den ersten Monaten der Pandemie gespenstisch leer, wie der Viktoriapark in Berlin im März 2020 Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Rückblick auf Corona-Pandemie„Bis heute ist Corona für uns allgegenwärtig“

Die Lebensrealitäten in der Corona-Pandemie drifteten in Deutschland stark auseinander. Fünf Menschen blicken zurück auf Frust, Hoffnung und Verluste.

Zara, 19, Fachabiturientin

Dass wir so vieles nicht machen konnten, anders als andere Jahrgänge, fühlt sich bis heute unfair an. Eigentlich war ich 2020 in der Profilklasse für Musik und Kunst und hätte Gitarre lernen sollen. Doch statt praktischem Unterricht gab es nur noch Arbeitsblätter und Zoom-Calls. Nicht alle hatten Laptops und Drucker, oft musste das Handy herhalten. Mein jüngerer Bruder und ich teilten uns einen Laptop und das Zimmer.

Überhaupt war es manchmal herausfordernd, mit meinen vier Geschwistern und meiner Mama in einer Wohnung zu leben. Gleichzeitig war ich froh darum. Als Einzelkind wäre ich vielleicht noch einsamer gewesen. Dank sozialer Netzwerke bin ich zumindest mit meinen Freunden in Kontakt geblieben. Außerdem war ich auch auf Discord – einem Gaming-Server –, um Leute kennenzulernen, dabei habe ich nicht mal gespielt. Das hatte noch etwas Positives: Weil dort alle Englisch sprachen, konnte ich meins auf Top-1-Niveau bringen.

Mit den Onlinecalls war richtiges Lernen unmöglich. Weil ich nur zu Hause war, hatte mich Schule irgendwann nur noch gelangweilt.

Für mich war Corona schwierig, ich hatte riesige Angst, Menschen in meiner Familie anzustecken. Zum Glück habe ich mich selbst nie angesteckt. Und ich habe mich auch impfen lassen zur Klassenfahrt. Trotzdem hatte ich auch Sorge, wie die Impfung bei mir wirkt.

Meinen mittleren Schulabschluss habe ich fast geschenkt bekommen, die Abschlussprüfung bestand nur aus der Klausur. Der Jahrgang über mir, die 2005er, mussten sogar nur eine Präsentation machen.

Bei meinen Prüfungen zum Fachabi merke ich immer noch die Lücken von Corona. Manche Lehrer haben das auf dem Schirm, andere kapieren das nicht und werten einen ab.

Immerhin weiß ich jetzt, wie ich gut lerne. Für mich ist wichtig, morgens rauszugehen und ich brauche eine Person vor mir, bei der ich nach der Stunde nachfragen kann.

Moritz, 29, Medizinstudent

Menschen in meiner Umgebung erinnern sich manchmal daran, wie ihnen während der Pandemie zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Ich kann das überhaupt nicht nachempfinden, weil ich damals mehr gearbeitet habe als je zuvor. Zu Beginn als Pfleger auf der „normalen“ Station für Coronapatient*innen, später auf der Intensivstation. Vor allem die Arbeit auf der Intensivstation war super anstrengend, hat mich aber auch ein Stück weit entlastet. Weil ich mich wirkmächtig gefühlt habe, zumindest irgendetwas tun zu können gegen diese Situation, der wir ja alle erst mal ausgeliefert waren.

Gleichzeitig war es viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Freizeitausgleich. Früher haben wir Kol­le­g*in­nen uns nach einem anstrengenden Dienst abends noch zusammen in eine Kneipe gesetzt, uns ausgetauscht und abgelenkt. In den Hochzeiten der Pandemie konnten wir noch nicht mal zu zweit draußen spazieren gehen. In meiner WG war es auch nicht einfach, ich hatte eine ganz andere Lebensrealität als meine Mitbewohner. Sie wollten sich am liebsten gar nicht mehr mit Corona beschäftigen und ich suchte den Austausch, weil mich die Eindrücke aus dem Krankenhaus belasteten.

Weil sich auch viele meiner Kol­le­g*in­nen mit Corona infizierten, gab es immer mehr zu tun. Zum Teil musste ich neun oder zehn Tage in Folge arbeiten. Anfangs hatte ich Angst, so viel Kontakt mit Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen zu haben. Was passiert, wenn ich meine Eltern besuche und krank bin, ohne es zu merken? Oder meinen Mitbewohner anstecke, der dann zu seiner Oma fährt? Vielleicht war ich auch ein bisschen paranoid, das war bestimmt dem Stress und der großen Ungewissheit geschuldet. Zwischenzeitlich habe ich selbst zu Hause eine Maske getragen.

Die ständige Konfrontation mit dem Tod war für mich nichts Neues. Das ist man als Pfleger in einem Krankenhaus gewohnt. Dramatisch war, wie viele Menschen gestorben sind, ohne ihre Angehörigen bei sich zu haben. Für viele waren wir in unserer Schutzausrüstung die Letzten, die sie in ihrem Leben gesehen haben. Von ihnen Abschied zu nehmen, war nicht wirklich möglich, denn kurz nach ihrem Tod mussten wir sie in schwarze Leichensäcke packen.

Nach der Pandemie wusste ich, dass ich nicht in der Pflege bleiben will. Generell halten nur wenige, die die Ausbildung heute abschließen, den Beruf über viele Jahre aus. Er ist für den Körper einfach sehr anstrengend, die Arbeitsbedingungen sind miserabel. Während der Pandemie wurde dafür an den Fenstern geklatscht. Verändert hat das nichts.

Natascha, 43, Frührentnerin

Vor Corona hatte ich keine Angst. Jedenfalls nicht davor, selbst schwer zu erkranken. Bis zu meiner Infektion im April 2022 war ich schon dreifach geimpft. Ich hatte einen milden Verlauf, nur leicht erhöhte Temperatur, Husten, Schnupfen. Nach einer Woche waren die Symptome wieder weg. Doch dann hatte ich ungefähr alle vier Wochen einen positiven Coronatest. Auch gesundheitlich ging es mir zunehmend schlechter. Ich war immer müde, habe mich krank gefühlt und konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren. Diagnose: Post-Covid mit Fatigue-Syndrom.

Während der Pandemie habe ich im medizinischen Dienst gearbeitet und war dafür zuständig, Patienten zu begutachten und zu bewerten, ob bestimmte Leistungen für sie begründbar sind. Da waren vereinzelt schon Post-Covid-Betroffene dabei. Ich weiß noch, dass ich bei einer jungen Mutter zu Besuch war, die ein Herz transplantiert bekommen sollte, weil ihr eigenes nicht mehr richtig funktioniert hat. Sie war völlig aus dem Leben gerissen. Ich weiß noch, wie sehr mich das berührt hat.

Heute sitze ich im Rollstuhl, weil ich nicht länger als 500 Meter alleine gehen kann. Seit mehr als zwei Jahren kann ich nicht mehr arbeiten, obwohl ich das immer so gern getan habe. Als die Symptome schlimmer wurden, war ich erst im Homeoffice und wurde zeitweise krankgeschrieben, um mich auszuruhen. Leider hat nichts davon geholfen. Ich konnte kaum noch vernünftig mit meiner Familie sprechen, dauernd sind mir Begriffe entfallen. Ich hatte Fieber, obwohl ich gar nicht krank war. Meine Post-Covid-Erkrankung hat sich zur schwersten Form, zu ME/CFS entwickelt.

An besonders guten Tagen kann ich selbstständig ein Brot holen. Ansonsten bin ich in der Regel, egal was ich tue, auf Begleitung angewiesen. Mein Mann arbeitet in Vollzeit und muss trotzdem fast den ganzen Haushalt alleine bewältigen. Meine Kinder müssen auf vieles verzichten, um mir unter die Arme zu greifen. Früher haben wir immer viel zusammen unternommen, das vermisse ich sehr. Auch das Reisen. Inzwischen kann ich das nur noch bedingt und auch nur in bestimmte Gebiete, wo es nicht zu warm und nicht zu kalt ist.

Es ist unwahrscheinlich schwierig, mit gesunden Menschen über diese Erkrankung zu sprechen. Denn ich habe eben kein gebrochenes Bein, ich sehe auch nicht unbedingt immer schlecht aus. Wahrscheinlich hat sich deshalb auch in der Politik lange so wenig bewegt. Viele haben immer noch keine Ahnung, was Post-Covid oder ME/CFS überhaupt bedeutet. Und viele wollen davon auch gar nichts wissen, denn an die Pandemie möchte man lieber nicht erinnert werden.

Wir Betroffene werden das leider jeden Tag.

Natascha, 58, Yogalehrerin

Es gab Phasen, da habe ich überlegt, mich gegen Corona impfen zu lassen. Ich habe damals in einer Grundschule gearbeitet, hatte also als über 50-Jährige jeden Tag Kontakt mit Kindern. Natürlich habe ich mir die Frage gestellt, ob ich das für mich vertreten kann. Ich habe mich jeden Morgen getestet, habe Corona und die damit verbundenen Regeln ernst genommen. Gleichzeitig bin ich, was meinen Körper betrifft und die Einflüsse auf ihn von außen, generell sehr sorgfältig.

Anfangs, als die Pandemie ausgebrochen ist, habe ich mich noch gar nicht so isoliert gefühlt. Los ging es erst, als es den Impfstoff gab und sich in meinem Umfeld viele Menschen impfen ließen. Ich hatte das Gefühl, zu einer Entscheidung gedrängt zu werden, obwohl die Impfstoffe noch neu und wenig erforscht waren. Weil ich mich gegen die Impfung entschied, wurde ich vom Rest der Gesellschaft abgetrennt. Irgendwann konnte ich nicht mehr Yoga unterrichten, trotz Hygieneplan und Abstandsregeln. Ich konnte nicht in Restaurants oder Bars gehen, auch als die schon längst wieder offen waren.

Wenn ich mich daran zurückerinnere, breitet sich eine tiefe Traurigkeit in mir aus. Ich hatte das Gefühl, nirgends zugehörig zu sein. Das Narrativ war ja, entweder man gehörte zur geimpften Mehrheit oder zur Minderheit, den Impfgegnern, den Verschwörungstheoretikern, den Coronaleugnern. Als gäbe es nur Gut und Böse, Schwarz und Weiß.

Während Corona blieb mir eigentlich nichts anderes übrig, als mich auf mich selbst zu fokussieren. Ich bin ohnehin viel in der Natur und selten in großen Menschengruppen unterwegs, von daher kam ich mit meiner Situation schon irgendwie klar. Aber ich weiß noch, dass ich mich in vielen Momenten ohnmächtig gefühlt habe. Und auch Angst bekommen habe, nicht vor dem Virus, sondern vor der fehlenden Menschlichkeit. Zum Beispiel, als ich vor leeren Supermarktregalen stand und an der Kasse ein Schild hing mit der Bitte, nur noch maximal drei Pakete Zucker und Mehl mitzunehmen.

Die Traurigkeit ist immer wieder da, wenn ich an Corona erinnert werde. Ich wünschte, wir würden mehr darüber sprechen, wie es gelingen kann, zukünftige Krisen miteinander zu bewältigen, ohne Menschen auszuschließen.

Ute, 71, Rentnerin

Bis Corona kam, haben mein Mann Frank und ich jeden Tag unsere Mütter im selben Altenheim besucht. Meine Mutter hatte Demenz, Franks Mutter benötigte mit 90 viel Betreuung.

Im Frühjahr 2020 durfte plötzlich niemand mehr ins Heim. Erst brachten sie zu Terminen unsere Mütter ins Freie, bald durften wir sie nur noch am Fenster mit einer Tischlänge Abstand besuchen. Meine Mutter war so dement, sie hat das gar nicht mehr mitbekommen. Meine Schwiegermutter hingegen schon, aber immer hat sie gefragt: Warum kommt ihr nicht mehr rein und besucht mich? Mit jedem Besuch am Fenster wurde sie teilnahmsloser.

Als wir sie dann im harten Lockdown gar nicht mehr sehen durften, lief auch das Telefonieren nicht mehr gut. Nur einmal, als sie nach einem Sturz eine tiefe Platzwunde am Kopf hatte, durften wir sie im Heim sehen. Wenn sie sagte, im Heim gehe es ihr nicht gut, konnten wir nur telefonisch nachforschen. Und dann starb sie auch noch im Krankenhaus – ganz alleine. Bis heute fragen wir uns, was damals im Heim eigentlich passiert war. Meinen Mann hat das richtig aufgefressen. Wir sind noch in der Nacht hingefahren und durften mit Mundschutz aufs Zimmer. Sie war ja schon tot. Wir fragten uns, ob das mit Schutzkleidung nicht vorher gegangen wäre. Vier Wochen später verstarb auch meine Mutter. In der Woche, in der sie im Sterben lag, durften meine Schwestern und ich sie in Schutzkleidung besuchen.

Später haben wir uns auch angesteckt. Im Urlaub, in einem Hotel mit gerade mal sechs anderen Gästen. War es also doch richtig, alles abzusperren? Das hat uns zerrissen: die Angst, jemanden im Heim anzustecken und zugleich die Mutter im Stich zu lassen. Unsere Mütter sind zuletzt nicht an Corona gestorben. Sie starben an Herzschmerz.

Bis heute ist Corona für uns allgegenwärtig. Aber wir versuchen, nach vorne zu gucken. Die Schwiegermutter war 96, ein schönes Alter und vielleicht wäre sie auch so gestorben.

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