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Fake News und Hacker-AttackeRussischer Botschafter wegen Cyberangriff einbestellt

Die Bundesregierung ordnet nun auch eine Desinformationskampagne während der Bundestagswahl Russland zu. Die Grünen fordern härtere Gegenmaßnahmen.

Wurde von der Bundesregierung einbestellt: Sergej Netschajew, russischer Botschafter in Deutschland Foto: Fabian Sommer/dpa

Die Bundesregierung macht Russland für einen großen Cyberangriff und eine Desinformationskampagne im Bundestagswahlkampf verantwortlich. Die Vorfälle seien klar dem russischen Militärgeheimdienst GRU zuzuordnen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes: „Es gibt harte Beweise.“ Der russische Botschafter sei deshalb am Freitag ins Auswärtige Amt einbestellt worden.

Zum einen könne ein Cyberangriff gegen die Deutsche Flugsicherung im August 2024 klar der als „Fancy Bear“ bekannten russischen Hackergruppe APT28 zugeordnet werden. „Unsere nachrichtendienstlichen Erkenntnisse belegen, dass der russische Militärgeheimdienst GRU die Verantwortung für diesen Angriff trägt“, sagte der Sprecher.

Zweitens könne man nun verbindlich sagen, dass Russland durch die Kampagne „Storm 1516“ versucht habe, „sowohl die letzte Bundestagswahl als auch fortlaufend die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland zu beeinflussen und zu destabilisieren“. Bei „Storm 1516“ gebe es „belastbare Informationen“, dass dahinter die Moskauer Denkfabrik Center for Geopolitical Expertise und die Doppelkopfadler-Bewegung stehe. Sie würden vom russischen Geheimdienst GRU unterstützt.

Die Kampagne „Storm 1516“ läuft seit 2024 und zielt vor allem auf die Beeinflussung westlicher Wahlen ab. Im Bundestagswahlkampf standen unter anderem der damalige Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und der Spitzenkandidat der Grünen, Robert Habeck, im Fokus. Kurz vor der Wahl hatte die Bundesregierung mitgeteilt, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten Hinweise, dass Fake-Videos über angebliche Manipulationen bei Stimmzetteln Teil einer russischen Desinformationskampagne seien.

Die Bundesregierung beobachtet nach eigenen Angaben seit geraumer Zeit eine Zunahme hybrider Bedrohungen durch Russland. „Diese reichen von Desinformationskampagnen über Spionage und Cyberattacken bis hin zu Sabotageversuchen.“ Ziel sei es, die Gesellschaft zu spalten, Misstrauen zu schüren, Ablehnung hervorzurufen und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu schwächen.

Grüne finden Reaktion zu schwach

Dem russischen Vertreter sei bei der Einbestellung klar aufgezeigt worden, dass Deutschland Russlands Aktivitäten „sehr genau“ beobachte und dagegen vorgehe, so der Sprecher des Auswärtigen Amtes. Deutschland ergreife „in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern eine Reihe von Gegenmaßnahmen, um Russland einen Preis für sein hybrides Agieren aufzuzeigen“.

Die Bundesregierung unterstütze dabei neue Sanktionen gegen Akteure mit Folgen wie Einreisesperren, dem Einfrieren von Vermögenswerten sowie einem Verbot, wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen.

Dem grünen Sicherheitsexperten Konstantin von Notz reicht das Engagement der Bundesregierung nicht. „Nun ist es auch für die letzten Zweifler amtlich: Russland attackiert Deutschland durch Spionage, Sabotage, aber auch durch gezielte Desinformationskampagnen – auch und gerade im letzten Bundestagswahlkampf“, sagte von Notz der taz. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt heute noch einmal, was wir als Grüne seit Langem sagen: Russland attackiert unsere Demokratie strategisch und strukturell. Hierbei werden erhebliche Summen in die Hand genommen.“

Von Balten und Schweden lernen

Die Bundesregierung, die sich um hybride Bedrohungen viel zu lang viel zu zaghaft gekümmert habe, bleibe in der Pflicht, für dringend notwendige Aufklärung zu sorgen. Die seit Jahren laufenden Kampagnen müssten schnell erkannt, öffentlich gemacht und auch gekontert werden. Dabei könne man von den baltischen und skandinavischen Staaten viel lernen.

„Deutschland muss bei der Abwehr sehr ernster hybrider Bedrohungen endlich aus dem Quark kommen. Als Demokratie und Rechtsstaat müssen wir auf krass gestiegene Bedrohungslagen endlich angemessen reagieren. Das erneute Einbestellen des russischen Botschafters ist ein richtiger Schritt. Weitere müssen dringend folgen“, sagte von Notz.

Warum eine ressortübergreifende Strategie der Bundesregierung, die bereits in Ampelzeiten fertig erarbeitet vorlag, bis heute nicht durch das Bundeskabinett verabschiedet wurde, sei ihm absolut unverständlich. „Ich fordere die Bundesregierung noch einmal mit Nachdruck dazu auf, die Strategie als zentralen Baustein im Kampf gegen hybride Bedrohungen endlich vorzulegen.“

Kritik auch aus der Koalition

„Es ist gut, dass unsere Sicherheitsbehörden nun offenbar mehrere Cyberangriffe und Desinformationskampagnen wie Storm-1516 dem russischen Terrorstaat zuordnen konnten“, sagte auch der CDU-Außen- und Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter auf Anfrage der taz. „Es reicht allerdings bei Weitem nicht aus, nur den russischen Botschafter einzubestellen und Sanktionen gegen Einzelpersonen zu erhöhen.“

Es sei etwa überfällig, russische Diplomaten auszuweisen, die Visavergabe zu verschärfen und das Russische Haus in Berlin zu schließen, für das der deutsche Steuerzahler die Grundsteuer bezahle und das ein Umschlagplatz für Propaganda sei.

Auch müssten Cyberangriffe und Desinformation als Teil des hybriden Krieges und des „Shaping the battlefield“ verstanden werden. „Russland sieht sich längst im Krieg auch mit Deutschland und greift uns auf dem zivilen und dem kognitiven Gefechtsfeld an“, so Kiesewetter. Deutschland brauche mehr eigene Fähigkeiten im Cyberbereich und eine effektivere Cyber-Abschreckung wie digitale Awareness.

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