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Neuer Wehrdienst in DeutschlandVerweigern will gelernt sein

Der neue Wehrdienst lässt die Nachfrage nach Tipps wachsen, wie man diesen umgeht. Zu Gast bei einem Berater:innen-Lehrgang der Friedensgesellschaft.

In Stellung bringen: Die DFG-VK in Nordrhein-Westfalen berät junge Menschen, die nicht zur Bundeswehr wollen Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Aus Dortmund

Adrian Breitling

Angst allein ist kein guter Ratgeber, das muss selbst Joachim Schramm in diesen Tagen oft erklären. Er leitet die Landesgeschäftsstelle der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegs­dienst­geg­ne­r:in­nen (DFG-VK) in Nordrhein-Westfalen. Schramm unterstützt sowohl angehende Be­ra­te­r:in­nen als auch Menschen, die im Ernstfall nicht kämpfen wollen. Und ja: Allein die Angst vor dem Krieg reicht dafür nicht, so verständlich sie auch ist. „Das müssen die jungen Leute verstehen“, sagt er.

An einem Sonntagnachmittag Ende November sitzt Schramm zusammen mit 14 Neu-Berater:innen unter dem Dach eines Altbaus im Dortmunder Norden. Das Haus beherbergt viele linke Projekte. Es ist die zweite Schulung dieser Art, bei der Schramm die Teilnehmenden darauf vorbereitet, junge Menschen zum Thema Wehrdienst zu beraten.

Die Zahl der Verweigerer stieg in den letzten Jahren stetig an, zuletzt auf 3.034 – ein Rekord seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Auch die Beratungsstellen spüren den Anstieg und bilden zusätzliche Be­ra­te­r:in­nen aus. Der Bedarf dürfte weiter großer werden.

Grund dafür ist das Anfang Dezember verabschiedete Wehrdienstgesetz. Es betrifft alle jungen Männer ab Jahrgang 2008. Sie müssen einen Fragebogen ausfüllen, sich mustern lassen und angeben, wie sie zum Wehrdienst stehen. Für viele wird es vermutlich das erste Mal sein, dass sie sich diese Frage stellen.

Verweigerung als prägende Erfahrung

Die Gruppe erinnert sich daran, wie es damals bei ihnen war. „Früher haben in meinem Bekanntenkreis alle Männer verweigert“, sagt eine Frau, die mit 13 anderen angehenden Be­ra­te­r:in­nen der DFG-VK in dem kleinen Raum sitzt. „Oder sie sind nach Westberlin abgehauen. “ Auch Schramm hat verweigert, Ende der 1970er Jahre. Nach seiner eigenen Beratung wurde er schnell selbst Berater.

Früher wie heute können sich alle, die nicht zur Bundeswehr wollen, auf den Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetztes berufen. Darin steht: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Dieser Satz bildet die Grundlage für die Begründungsschreiben, in denen junge Männer ihre Verweigerung erklären.

Für viele war die Verweigerung eine prägende Erfahrung. Das zeigt sich auch im Schulungsraum. Ein Mann erinnert sich nach über 40 Jahren noch an die Namen der Prüfer, die ihm damals gegenübersaßen. Er überzeugte sie – wie die meisten anderen im Raum. Die einzigen, die hier nicht verweigerten, sind Frauen.

An diesen Beispielen zeigt sich, was heute anders ist: Zum einen können auch Frauen die Fragebögen der Bundeswehr ausfüllen und sich mustern lassen, allerdings freiwillig. Zum anderen tritt den modernen Verweigerern kein Mensch mehr gegenüber, alle Kommunikation läuft per Brief. Umso wichtiger ist deswegen ein überzeugendes Begründungsschreiben.

Friedensbewegung bisher kein Thema bei Jungen

Die DFG-VK, das stellt Schramm klar, hat ein Eigeninteresse, das schon im Namen steht. Sie sind Kriegsdienstgegner:innen. Und diese Haltung wollen sie an die jungen Menschen weitertragen.

Schramm beobachtet eine neue Generation, die sich bislang nicht so sehr für Friedensthemen interessiert hat. Klimaschutz und Antifaschismus, das seien die Themen der Zeit. Doch seit Russlands Angriff auf die Ukraine drehe sich der Wind ein wenig: Die Verweigerungszahlen steigen seit 2022 leicht. Mit dem neuen Gesetz, glaubt Schramm, könnte die Friedensbewegung wieder an Bedeutung gewinnen.

Diesen Hintergrund zu kennen, ist für die Be­ra­te­r:in­nen von morgen wichtig. Denn er bedeutet, dass sich die meisten Beratungssuchenden noch nicht weiter mit dem Wehrdienst beschäftigt haben. Was Schramm beobachtet: „Die Leute sagen oft, dass sie Angst vor dem Tod haben, dabei ist für die Verweigerung viel wichtiger, dass sie Angst vor dem Töten haben.“

Bei allem Verständnis für diese Haltungen ist es also Aufgabe der Berater:innen, ganz neue Gedanken in den jungen Menschen hervorzurufen. Weil ein überzeugendes Begründungsschreiben individuell sein und aus dem Herzen kommen muss, geht das am besten durch Nachfragen. „Ein Beratungsgespräch ist keine Anleitung“, sagt Schramm, sondern ein Dialog.

Die Leute sagen, dass sie Angst vor dem Tod haben. Dabei ist für die Verweigerung viel wichtiger, dass sie Angst vor dem Töten haben.

Joachim Schramm, berater bei der DFG-VK

Dabei geht es um große Fragen wie „Hast du schon einmal eine Gewissensentscheidung getroffen?“ oder „Was fühlst du, wenn du an eine Waffe denkst?“. Gerade für junge Menschen ist das nicht nur ein Test, sondern kann sehr prägend sein. Schramm spricht von einer „Kultur der Verweigerung“, die er und andere früher gelebt hätten und die er nun wiederbeleben möchte.

Dass es vonseiten der jungen Menschen Interesse daran gibt, zeigten zuletzt die Schulstreiks gegen das neue Wehrdienstgesetz. Dafür schwänzten die Schü­le­r:in­nen den Unterricht – und bewiesen, dass sich die Klimabewegung und die vor Jahrzehnten geborenen Ideen der Kriegs­dienst­geg­ne­r:in­nen durchaus miteinander verbinden lassen.

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7 Kommentare

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  • Widerspruch im Grundgesetz.



    Meines Erachtens verstößt das Grundgesetz gegen das Grundgesetz.



    "Artikel 3, Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“. "



    "Artikel 12a, Absatz4: "Frauen.... Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.



    Womit für mich Männer und Frauen eben nicht gleichberechtigt sind. Meines Erachtens sollte dieser Widerspruch vom Bundesverfassungsgericht beseitigt werden.

  • Was waren das für Zeiten, als man vorher einfach eine dicke Tüte geraucht hat und dann ausgemustert wurde. Heute braucht man Beratungen und Workshops, um an Informationen zu gelangen, die nur einen Klick entfernt sind?

  • 1



    Schon einmal gehört? "Du sollst nicht töten!" (Das fünfte Gebot)



    Ich könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn durch meine Hand jemand zu Tode kommen würde.



    2



    In meinem fortgeschrittenen Alter habe ich keine Angst vor dem Tod - er ist unausweichlich!



    Aber ich verstehe die Angst der jungen Menschen, die noch ein ganzes Leben vor sich haben.

  • Ich bin beeindruckt, dass sich anscheinend einiges an Infrastruktur der Kriegsdienstverweigerer erhalten hat. Obwohl es ja schon recht lange praktisch kein Thema für die Jungen war. Ich habe selbst 1982/83 davon profitiert, dass es Beratung gab. Damals war ja noch das volle Programm angesagt für uns: Begründung schreiben (ohne ChatGPT), Leumundszeugen beischaffen, und dann Verhandlung vor einem Tribunal von Leuten, die offenbar Zweifel an einem Gewissen hatten, dass keinen Menschen umbringen wollte. Leute deren Gewissen kein Problem damit hatte zu morden, musste man nicht hinterfragen; die waren in Ordnung.

    Viel Glück und Erfolg an alle, die jetzt leider wieder unter der Propaganda der Rüstungsindustrie und der Unfähigkeit unserer Regierung(en) leiden müssen!

  • „Es ist die zweite Schulung dieser Art, bei der Schramm die Teilnehmenden darauf vorbereitet, junge Menschen zum Thema Wehrdienst zu beraten.“



    Sorry, aber dort wird doch niemand zum Wehrdienst „beraten“.



    Eine „Beratung“ wäre ergebnisoffen - das ist hier nicht die Zielsetzung.

    • @M_Kli:

      Was erwarten Sie eigentlich so zum Thema Wehrdienst zu erfahren, wenn Sie zu einer Beratung bei der "Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegs­dienst­geg­ne­r:in­nen (DFG-VK)" gehen?



      Ich frag für nen Freund. 😉

    • @M_Kli:

      Es geht natürlich nicht um eine Beratung zum Wehrdienst, sondern darüber, wie man ihn am besten erfolgreich verweigert. Kann man doch am Text sehen.